Grenzenlose Sicherheit – Rüstungskonzernen Forschungsmittel in dreistelliger Millionenhöhe zugesagt


(Eigener
Bericht/german-foreign-policy) – Auf einer hochrangig besetzten
Konferenz ("Future Security") hat die deutsche Regierung nationalen
Rüstungskonzernen Forschungsmittel in dreistelliger Millionenhöhe
zugesagt. Die von ihnen entwickelte Technologie kommt unter anderem bei
der Abwehr von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen und bei der
polizeilichen Personenfahndung zur Anwendung. Sie dient der
vorauseilenden Aufstandsbekämpfung ("Crowd Control") und soll den
westlichen Life-Style absichern. Wie Bildungsministerin Annette Schavan
anlässlich der von der staatlichen Fraunhofer-Gesellschaft
veranstalteten Tagung ausführte, will ihr Haus bis Ende des Jahres eine
"nationale Sicherheitsstrategie" konzipieren. Diese sieht die
Verzahnung ziviler und militärischer Forschungseinrichtungen ebenso vor
wie die Vernetzung der "Nutzer" – Polizei, Katastrophenschutz, Militär,
Geheimdienste und private Unternehmen. Die Ministerpläne
korrespondieren mit der Absicht der Berliner Regierungsparteien, die
Befugnisse der Sicherheitsbehörden weiter auszudehnen, und entsprechen
den Wünschen der Rüstungsindustrie: Das Geschäft mit der Repression
gilt als gigantischer Wachstumsmarkt, auf dem deutsche Konzerne
gegenüber US-Firmen noch unterrepräsentiert sind.
Wie
der Verbund der Fraunhofer-Institute für Verteidigungs- und
Sicherheitsforschung mitteilt, diente das am 4. und 5. Juli in
Karlsruhe veranstaltete Symposium als "Kommunikationsplattform" für
Verantwortliche aus Politik, Exekutive, Wirtschaft und Forschung. Die
selbst gestellte Aufgabe bestand darin, das nationale "Potential der
Sicherheitstechnik und
Vorsorgeforschung" im Vergleich zur internationalen Konkurrenz
aufzuzeigen. Anwesend waren neben Wissenschaftlern und Vertretern des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auch
Generalbundesanwalt a.D. Kay Nehm, Angehörige des
Verteidigungsministeriums (BMVg) und des Bundeskriminalamts (BKA) sowie
Repräsentanten deutsch-europäischer Rüstungsunternehmen – darunter
EADS, Dynamit Nobel, Diehl, Rheinmetall und Siemens.[1] Ihnen wurden
von Bildungsministerin Schavan nationale Fördergelder im Umfang von 100
Millionen Euro zugesagt; in den nächsten Jahren sollen nach Berliner
Vorstellungen weitere 250 Millionen Euro aus EU-Mitteln hinzukommen.[2]
 
Lebensstil
 
Wie
Schavan in ihrer Eröffnungsrede erklärte, entwickelt ihr Ministerium
zur Zeit eine "nationale Sicherheitsstrategie", die der Sicherung des
westlichen "Lebensstils" dient. Dabei müssten neben
naturwissenschaftlich-technischen
Erkenntnissen auch die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen
Forschung über die Entstehung gesellschaftlicher Krisen im In- und
Ausland einbezogen werden. Analog zu den Konzeptionen aus dem
Auswärtigen Amt, dem Innen- und dem Verteidigungsministerium sprach sie
sich für einen "erweiterten Sicherheitsbegriff" aus, der zwischen
"Bedrohungen" im In- und Ausland nicht mehr differenziert.[3] Ein
solcher Sicherheitsbegriff wird auch von der Fraunhofer-Gesellschaft
geteilt: So befasste sich die aktuelle Konferenz ihres Verbundes
"Verteidigungs- und Sicherheitsforschung" [4] mit der Abwehr von
Flüchtlingen ("Grenzsicherung"), der Überwachung der eigenen
Bevölkerung ("Personen-Screening", "Crowd-Control") und der Abwehr von
Angriffen gegen kritische Infrastruktur oder den Warenverkehr.[5] Die
forschungsstrategische Ausrichtung des Verbundes zielt nach eigener
Aussage auf Anwendungen für die Auslandsoperationen des deutschen
Militärs. Zu optimieren seien "Führungsfähigkeit",
Spionage ("Aufklärung"), Mobilität und Wirksamkeit sowie die
"Durchhaltefähigkeit" und "Überlebensfähigkeit" auf fremdem
Territorium, heißt es wortgleich mit Bundeswehr-Veröffentlichungen.[6]
 
Nutzer
 
Nach
den Vorstellungen des BMBF sollen nicht nur die mit Sicherheitstechnik
befassten zivilen und militärischen Forschungseinrichtungen miteinander
verzahnt werden, sondern auch die "Nutzer" der hier entwickelten
"Anwendungen". Zu diesen zählt Ministerin Schavan Polizei, Feuerwehr,
Technisches Hilfswerk (THW), Einrichtungen des Katastrophenschutzes und
private Betreiber sicherheitsrelevanter Infrastrukturen wie
Energieversorger, Transport- und Kommunikationsunternehmen. "Nutzer"
seien aber auch die deutschen Geheimdienste ("für die Sicherheit
verantwortliche Behörden und Dienste"); gemeinsam habe man gerade erst
die "große Herausforderung" der Fußballweltmeisterschaft "mit Bravour
gemeistert".[7] Damit
beteiligt sich Schavan an der systematischen Beseitigung des von den
westlichen Alliierten nach 1945 verfügten absoluten Verbotes, die
deutschen Sicherheitsapparate zu zentralisieren; aktuelle
Gesetzesvorhaben der Berliner Regierungsparteien sehen vor, bisher
bestehende Beschränkungen der Zusammenarbeit zwischen den deutschen In-
und Auslandsgeheimdiensten (Bundesnachrichtendienst, Militärischer
Abschirmdienst, Verfassungsschutz) aufzuheben und ihnen weitgehende
Überwachungs- und Kontrollbefugnisse zukommen zu lassen.[8]
 
Optimale Unterstützung
 
Von
der beschriebenen Entwicklung profitieren sollen in erster Linie
deutsche Rüstungskonzerne, die das Geschäft mit der so genannten
Sicherheit als einen Wachstumsmarkt mit einem jährlichen Volumen von 35
Milliarden Euro identifiziert haben, sich aber gegenüber der
US-amerikanischen Konkurrenz im Nachteil sehen.[9] Zur Stärkung der
nationalen
Wettbewerbsfähigkeit versprach ihnen Schavan "optimale Unterstützung"
bei der Einwerbung von Forschungsgeldern der EU. Zu diesem Zweck werde
die Bundesregierung zeitgleich mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
2007 eine "nationale Kontaktstelle" einrichten. Nach Gesprächen mit
EU-Kommissar Günter Verheugen geht Ministerin Schavan davon aus, dass
zwanzig Prozent des europäischen Budgets für Sicherheitsforschung in
Höhe von 1,3 Milliarden Euro nach Deutschland fließen.[10]
 
Dialog
 
Um
Proteste gegen ihre Pläne von vornherein zu verhindern, hat Schavan in
Form einer PR-Strategie vorgesorgt: Man strebe einen
"gesellschaftliche(n) Dialog" an, heißt es, "um das Bewusstsein in der
Bevölkerung für Sicherheitsfragen zu schärfen und letztlich für den
Erfolg der Sicherheitsforschung zu nutzen".[11]
 
Mehr Informationen zur deutschen
Rüstungs- und Sicherheitsforschung finden Sie hier: Forschen für den Krieg, Rüstungsforschung, Ein Gebot der Zeit, Beschleunigter Transfer, Interview mit Prof. Jürgen Kirschner und Wunderwaffen
 
[1] www.ict.fraunhofer.de/deutsch/events/futsec20060704.html
[2],
[3] Bundesministerium für Bildung und
Forschung: Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr.
Annette Schavan, MdB, zu "Sicherheitsforschung – Herausforderung und
Notwendigkeit zum Schutz der Gesellschaft" anlässlich der Konferenz
"Future Security" am 04. Juli 2006 in Karlsruhe
[4]
Der Forschungsverbund existiert seit November 2002 und umfasst fünf
Fraunhofer-Institute, von denen vier in Baden-Württemberg angesiedelt
sind: die Institute für Kurzzeitdynamik (EMI) und Angewandte
Festkörperphysik (IAF) in Freiburg, das Institut für Chemische
Technologie (ICT) in Pfinztal und das Institut für Informations- und
Datenverarbeitung (IITB) in Karlsruhe. Hinzu kommt das
Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen
(INT) mit Sitz in Euskirchen (Nordrhein-Westfalen).
[5] www.ict.fraunhofer.de/deutsch/events/futsec20060704.html
[6] www.vvs.fraunhofer.de/de/verbund/index.htm
[7]
Bundesministerium für Bildung und Forschung: Rede der Bundesministerin
für Bildung und Forschung
Dr. Annette Schavan, MdB, zu "Sicherheitsforschung – Herausforderung
und Notwendigkeit zum Schutz der Gesellschaft" anlässlich der Konferenz
"Future Security" am 04. Juli 2006 in Karlsruhe
[8]
So sollen die Geheimdienste Zugriff auf Fahrzeughalter- und Bankdaten
erhalten und sowohl den "internationalen Terrorismus" als auch
"verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland" beobachten. Koalition
will BND-Befugnisse ausweiten; Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.07.2006
[9] EADS baut auf innere Sicherheit; Handelsblatt 03.02.2006. Drohnen für die EU-Grenzen; www.heise.de 05.06.2006
[10],
[11] Bundesministerium für Bildung und Forschung: Rede der
Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr. Annette Schavan, MdB, zu
"Sicherheitsforschung – Herausforderung und Notwendigkeit zum Schutz
der Gesellschaft" anlässlich der Konferenz "Future Security" am 04.
Juli 2006 in Karlsruhe
 
Source: http://de.groups.yahoo.com/group/palaestina_forum/message/1109