Bei Europol geht die Ära der Deutschen zu Ende

von Thorsten Jungholt 

[welt.de] Europol wurde immer von einem Deutschen geleitet, jetzt steht ein Führungswechsel an. Der Brite Rob Wainwright ersetzt Max-Peter Ratzel als Chef der Polizeibehörde. Seine Ablösung könnte lediglich nationalen Proporzerwägungen zugrunde liegen – oder seinem nicht unumstrittenen Führungstil.

In der letzten Folge der erfolgreichsten deutschen Krimiserie aller Zeiten wechselte Oberinspektor Stephan Derrick vom Münchener Morddezernat zu Europol nach Den Haag. Es war die erste Beförderung in der 281 Episoden währenden Fernsehkarriere des von Horst Tappert verkörperten Vorzeigepolizisten der Republik.

Mit der Realität hat "Derrick" in zweierlei Hinsicht etwas zu tun. Zum einen haben die Drehbuchschreiber treffend erkannt, dass die Zeiten einsamer Ermittler vor Ort angesichts der Globalisierung des Verbrechens zu Ende gehen. Wenn sich die Straftäter zunehmend international verknüpfen, muss auch die Polizei grenzüberschreitend zusammenarbeiten – genau deshalb wurde Europol ins Leben gerufen.
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Zum anderen wurde die in den Niederlanden residierende europäische Polizeibehörde bislang tatsächlich ausschließlich von Deutschen geleitet. Gründungsdirektor war der Flensburger Jürgen Storbeck, der Europol von 1999 bis 2004 führte. Ihm folgte 2005 der Saarländer Max-Peter Ratzel. An diesem Mittwoch geht diese deutsche Dekade zu Ende: Der nächste Europol-Chef ist ein Brite.

Einstimmig haben sich die 27 Innenminister der EU auf Rob Wainwright festgelegt, der früher als Leiter des britischen Verbindungsbüros bei Europol arbeitete. Bereits in der vorigen Woche trafen sich Ratzel und Wainwright in Den Haag, um die Amtsübergabe informell zu besprechen. Jetzt erfolgt die offizielle Zeremonie. Einen "erfahrenen Kollegen, der die Materie und die Behörde gut kennt", nennt Ratzel seinen Nachfolger im Gespräch mit WELT ONLINE.

Wahr ist, dass Ratzel den Briten fachlich durchaus schätzt. Allerdings wissen enge Vertraute, dass der Deutsche sich auch eine andere Entscheidung hätte vorstellen können: nämlich eine Verlängerung seiner Amtszeit. Tatsächlich wollte Innenminister Wolfgang Schäuble seine EU-Kollegen dafür gewinnen, Ratzel zumindest für eine Übergangszeit weiterarbeiten zu lassen. Einige wichtige Vorhaben seien zwar begonnen, aber noch nicht abgeschlossen worden, argumentierte Schäuble – vergebens.

"Es wäre gut gewesen für die Behörde, wenn Ratzel noch eine begrenzte Zeit hätte weitermachen können", sagt auch ein deutscher Europol-Mitarbeiter. 2010 wird die europäische Polizei eine offizielle EU-Institution, damit sind rechtliche und personelle Umwälzungen verbunden, die Ratzel kompetenter hätte begleiten können als sein Nachfolger. Doch die Europol-Konvention sieht zeitlich befristete Verlängerungen nicht vor: Es sind nur Vierjahresverträge möglich. Für diese volle Mandatszeit aber wollten mehrere Staaten nicht erneut einen Deutschen benennen.

Ob lediglich nationale Proporzerwägungen oder, wie der "Spiegel" berichtet, auch die Unzufriedenheit einiger Europol-Mitarbeiter mit dem Führungsstil des Direktors hinter der Verweigerungshaltung der anderen EU-Länder stecken, sei dahingestellt. Die schwierigste Aufgabe eines Europol-Direktors lässt sich ohnehin nicht in ein paar Jahren erreichen. Denn die Erkenntnis, dass der Globalisierung des Verbrechens auch ein internationales Netzwerk an Ermittlern entgegengesetzt werden muss, ist das eine. Das andere ist, dieses Netzwerk durch einen regelmäßigen Austausch an Wissen auch handlungsfähig zu machen.

Da liegt bei Europol noch einiges im Argen. Die nationalen Strafverfolger müssten "noch stärker akzeptieren, dass die wichtigste Waffe bei der Bekämpfung international organisierter Kriminalität und des Terrorismus die Information ist", sagt Ratzel. Viele Behörden aber sind noch sehr zögerlich, wenn es um die Übermittlung ihrer Erkenntnisse an Europol geht – sei es, weil sie die Behörde gar nicht kennen, sei es, weil sie ihre Datenschätze eifersüchtig hüten. "Da ist noch längst nicht alles so, wie es sein sollte", sagt Ratzel. Er selbst wird den Prozess nun nicht weiter forcieren können: Am Jahresende geht er mit 60 Jahren in den Ruhestand.

Source: http://www.welt.de/politik/article3559070/Bei-Europol-geht-die-Aera-der-Deutschen-zu-Ende.html