Versammlungsrecht auf abschüssiger Bahn

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–>[Komitee Grundrechte und
Demokratie] Die Föderalismusreform hat 2006
neben dem Strafvollzug auch das Versammlungsrecht in die Obhut der
Länder gegeben. Dass die Grundrechte dort nicht in guter Hand
sind, war zu erwarten. Neben dem Wettlauf um die schärfsten
Polizeigesetze beginnt nun der um die einengendsten
Versammlungsgesetze. Bayern ist Vorreiter im Erlass eines –
grundrechtswidrigen – Gesetzes. Sachsen macht einen ersten Schritt im
„Zerfleddern“ des Grundrechts. Als wichtiger Anknüpfungspunkt
wird in beiden Fällen die Einschränkung „rechtsextremer“
Versammlungen zur Legitimation verwendet.

Seit einigen Jahren wird zwischen den
Ländern, einigen Gerichten, insbesondere dem
Oberverwaltungsgericht in Münster, und dem
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Streit um die Möglichkeiten
des Verbots von Demonstrationen der extremen Rechten mit ihrer
nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und
fremdenfeindlichen Ideologie ausgetragen. Das BVerfG ist hier immer
erneut wider die Einschränkung des Grundrechts eingetreten. Der
Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der am 2. April 2008 aus
Altersgründen entlassen wird, hat Ende März in einem
Interview noch einmal betont, dass er „ein bisschen stolz“ sei,
nicht auf die aktuelle Rechtsprechung zur Terrorismusbekämpfung,
sondern auf jene zur Demonstrationsfreiheit, mit dem sie ein
„Grundrecht gerettet“ hätten. Denn wenn dieses „wegen der
Neonazis zerfleddert worden wäre, dann wäre es für
alle zerfleddert worden“. (FR, 22.3.08) Der Damm, den sie zu
errichten versuchten, birst unterdessen. Während Sachsen an
einem Versammlungsgesetz arbeitet, das ausschließlich den
„Schutz der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“
regelt, geht Bayern sofort einen Schritt weiter. Ungebührliches
Demonstrieren von rechts und links soll verboten werden.

Der Streit um das Recht auf
Versammlungsfreiheit ist fast so alt wie die alte BRD. Die Zweifel an
der uneingeschränkten Geltung eines Grundrechts, dessen
Inanspruchnahme fast zwangsläufig für Unruhe sorgt, kommen
schon im Grundgesetz zum Ausdruck. Zwar haben „alle Deutschen“
„das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne
Waffen zu versammeln“ (Art. 8, 1 GG), aber Absatz 2 lässt
bereits Einschränkungen für „Versammlungen unter freiem
Himmel“ zu. Dieser Möglichkeit kam das Parlament 1953 nach und
erließ ein Versammlungsgesetz, das Demonstrationen als
staatliches Sicherheitsrisiko vorstellt, die es zu kontrollieren und
zu beschränken gilt. Erst in den späten 60er und in den
70er Jahren entfalteten sich so langsam all die vielfältigen und
kreativen Formen selbstbewussten bürgerlichen Protests. Der
Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985 setzte
einen deutlichen Meilenstein in der Neubewertung des
Demonstrationsrechts. Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien
„unentbehrliche und grundlegende Funktionselemente eines
demokratischen Gemeinwesens“. Die aufgestellten Kriterien gelten
seither als Maßstab. Aber die Ordnungsbehörden beziehen
sich meist nur floskelhaft darauf, um im nächsten Satz
Versammlungen dennoch einzuschränken oder zu verbieten.

Das bayerische Versammlungsgesetz,
dessen 1. Lesung am 3. April 2008 erfolgte, macht nun den Versuch, in
einer Rolle rückwärts den Brokdorf-Beschluss zu überwinden
und an das Preußisch-Allgemeine Landrecht von 1794 anzuknüpfen.
Selbstverständlich betont es zunächst die „elementare
Bedeutung“ der Versammlungsfreiheit. „Richtige“, gute und
ordentliche Versammlungen sollen selbstredend geschützt sein.
Die Ausführungen aber stehen für den staatsautoritären
Gedanken der Abschreckung. Die Gefahr von unten, der in Versammlungen
steckende aufrührerische Geschmack soll mit dem bayerischen
Gesetz bekämpft werden.

Um dieses Ziels willen werden die Opfer
der „nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“
instrumentalisiert. Um ihrer „Würde“ willen können
Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten beschränkt oder
verboten werden (Art. 15). Die Möglichkeiten der Einschränkung
werden ausgedehnt auf potentielle Meinungsäußerungen, die
die Würde der Opfer beeinträchtigen (Art. 15, 2).

Das bayerische Gesetz gilt aber nicht
einseitig, sondern richtet sich auch gegen „linksextremistische
Versammlungen“, deren Teilnehmer das Grundrecht „missbrauchen“
(einleitende Problembeschreibung). In Art. 7 wird das
„Uniformierungsverbot“ um ein allgemeines „Militanzverbot“
erweitert. Wie Uniformen eine „einschüchternde Wirkung“
haben können und deshalb verboten sind, sind auch andere Formen,
die „den Eindruck von Gewaltbereitschaft“ (Art. 7,2) vermitteln,
verboten. Begründung und einleitende Problembeschreibung
erläutern, dass sich der Artikel auch gegen „linksextremistische
Versammlungen“ und „militante Autonome“ richte. Nicht jede
gleichartige Bekleidung sei verboten. Dies sei nur immer dann der
Fall, wenn sie den „Eindruck von Militanz“ erwecke. Das aber
liegt im Ermessen der Ordnungsbehörden, die darauf aufbauend
Beschränkungen erlassen können. Als Beispiel wird das
Verbot von schwarzen Fahnen angeführt (vgl. S. 36). Der Artikel
macht das Verbot der Militanz zu einem Bestandteil der
(geschriebenen) Rechtsordnung und erlaubt somit einen Verstoß
als unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu
ahnden.

Wenige andere Beschränkungen des
Grundrechts seien aus Platzgründen nur kurz angeführt:

(1) Nicht nur bei einer unmittelbaren
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann eine
Versammlung beschränkt oder verboten werden, sondern schon wenn
dies die öffentliche Ordnung betrifft (Art. 15,1). Denn diese
Ausweitung, die die Rechtmäßigkeit von Versammlungen in
das Ermessen der Behörden legt, stellt „einen wichtigen
Auffangtatbestand“ dar, um gegen neuartige oder atypische
Gefahrentatbestände einschreiten zu können, die (noch)
nicht die öffentliche Sicherheit berühren“ (S. 50).

(2) Auch wenn „Rechte Dritter
unzumutbar beeinträchtigt“ werden, kann beschränkt und
verboten werden (Art. 15,1). Versammlungen unter freiem Himmel stören
nicht nur aufgrund der mit ihnen öffentlichkeitswirksam
transportierten Inhalte, sie stören oft auch andere in ihren
alltäglichen Belangen und sie stören vor allem diejenigen,
gegen die sich Versammlungen richten. Diese Rechte Dritter können
nun ganz legal mit der Versammlungsfreiheit abgewogen werden, denn
leider „spielten die Rechte Dritter“ bisher nur eine
„untergeordnete Rolle“. Die Gleichgewichtigkeit der Rechte war
von Bedeutung. Explizit wird nun festgehalten: „Die schutzwürdigen
Drittrechte müssen der Versammlungsfreiheit nicht gleichrangig
sein.“ (S. 51)

(3) Zwingend braucht jede Versammlung –
Ausnahmen gibt es für Spontanversammlungen – einen polizeilich
angemeldeten Leiter. Diesem wird die Verantwortlichkeit für das
gesamte Geschehen aufgebürdet. Angesichts der bunten Vielfalt,
die Versammlungen auszeichnen, kann man diese kaum übernehmen.
Strafbefehle und Ordnungswidrigkeitsbescheide drohen nach Art. 20 und
21. Das Gebot der Zusammenarbeit ist als „einseitige
vertrauensbildende Maßnahme“ vorgestellt, die
Eingriffsmaßnahmen der Polizei rechtfertigen wird, wenn dieser
die Kooperation nicht ausreicht.

(4) Auf Anforderung müssen die
persönlichen Daten der vorgesehenen Ordner, auch im Vorhinein,
bekannt gegeben werden. Das Maß der staatlicher Regie in die
Demonstration hinein, wird daran deutlich, dass der Behörde das
Recht zugestanden, diese abzulehnen.

(5) Der Polizei wird pauschal das Recht
zugebilligt, „personenbezogene Daten von Teilnehmern“ zu erheben
und Bild- und Tonaufzeichnungen anzufertigen (Art. 9). Angesichts der
vielen zuvor eingeführten vagen Begriffe scheint die
Einschränkung „wenn tatsächliche Anhaltspunkte die
Annahme rechtfertigen, dass von ihnen (den Versammlungen, d.V.)
erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung ausgehen“ unbedeutend.

(6) Ausufernd werden Straf- und
Bußgeldvorschriften erlassen, die ahnen lassen, in welchem Maße
gerichtlich gegen all diejenigen vorgegangen werden soll, die gegen
eine der unbestimmt definierten Vorgaben verstoßen sollten. Wer
gegen Nazi-Demos demonstriert, wird in erhöhtem Maße von
Strafen bedroht sein. Versammlungsleiter gehen das Risiko einer
Verurteilung nach dem Strafrecht ein, wenn sie eine Versammlung nicht
rechtzeitig für beendet erklären. Schon die nicht
ordnungsgemäße Kennzeichnung der Ordner kann für den
Leiter zum Bußgeld führen. Die Teilnahme an einer
Versammlung im befriedeten Bezirk um den Landtag kann mit einer
Geldbuße bis zu zwanzigtausend Euro belegt werden.

Dieses Gesetz soll streng legal die
Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit außer Kraft
setzen. Der Ermessensspielraum der Exekutive wird unendlich
ausgedehnt, der Bürger zum gehorsamspflichtigen Untertan. Gegen
dieses Gesetz ist jetzt Opposition notwendig. Wir können nicht
darauf hoffen und warten, dass das BVerfG dieses Gesetz irgendwann
für grundgesetzwidrig befindet. Grundrechte leben von ihrer
Inanspruchnahme.

Elke Steven

(Komitee für Grundrechte und
Demokratie)