„Ich fürchte der Datenklau wird Schule machen“

Gerhart Baum, FDP-Innenminister von 1978 bis 1982,
warnt im Gespräch mit Martina Fietz über die "Steuer-CD", vor
Nachahmungstätern und sieht vor allem den Datenschutz vernachlässigt.

[cicero.de] Halten Sie die Entscheidung für klug, die CD mit den Daten über vermeintliche Steuersünder anzukaufen?
Nein. Die Entscheidung ist natürlich populär. Wer will nicht
Steuersünder verfolgen? Das will ich auch. Doch handelt es sich um eine
sehr negative Entscheidung. Wir erleben hier eine massive Schwächung
des Datenschutzes.

Stehen wir vor der Frage Datenschutz oder Steuergerechtigkeit?
Wir stehen vor der Frage, ob wir unsere Privatheit schützen können. Da
stehen wir ohnehin national und international mit dem Rücken an der
Wand. Nahezu jede Person bezogene Angabe wird heute gesammelt und
gespeichert. Speicherungsgrenzen sind endgültig entfallen – und das
alles global. Die Entscheidung hat eine fatale Präzedenzwirkung. Es
wird nämlich mit diesem Vorgang ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht
durch die Bundesregierung staatlicherseits legitimiert. Dadurch werden
Nachahmungstäter ermuntert. Denn schließlich geht der Hinweis auf
vermeintliche Steuersünder zurück auf einen Datenklau. Ich fürchte, es
wird weiter Schule machen, dass Daten unrechtmäßig erworben und dann
zum Kauf angeboten werden.

Sie geben also dem Datenschutz einen höheren Stellenwert als dem Recht des Staates, Steuern einzuziehen?
Das ist eine Güterabwägung. Ich möchte dem Staat nicht über Umwege
Befugnisse einräumen, die er nicht hat. Der Staat selbst dürfte, so wie
das hier geschieht, nie an diese Daten heran. Man stelle sich nur vor,
Hacker durchsuchten private Computer und würden die dort gewonnenen
Daten dem Staat zum Kauf anbieten. Damit würde der Staat ein Verbot
umgehen, das ihm das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat. Nämlich:
eine Online-Durchsuchung nur unter strengen Voraussetzungen
durchzuführen. Wir sind hier im sensiblen Bereich des Grundrechts
Datenschutz. Das ist das Besondere an diesem Fall.

Also würden Sie in der Abwägung dafür plädieren, die Steuersünder nicht zu verfolgen.
Nein. Wir müssen in dieser Frage bei unserer Beziehung zur Schweiz
ansetzen. Mit der Schweiz muss ein Abkommen ausgehandelt werden, so
dass Auskünfte über deutsche Staatsangehörige mit Konten in der Schweiz
möglich sind. Das Ziel muss genereller Informationsaustausch sein. Man
darf sich nicht auf ein paar Daten beschränken, die man dann auch noch
kaufen muss.

Es ist bereits die Rede davon, weitere Daten anzukaufen. Gerät der Rechtsstaat hier auf eine schiefe Bahn?
Natürlich. Dann kaufen wir nicht nur die Daten aus der Schweiz, sondern
auch die aus anderen internationalen Datenbanken, die geknackt werden.
Daten, die ungetreue Angestellte aus Anwaltskanzleien oder Arztpraxen
anbieten. Hier wird ein Fass geöffnet, das eines Tages überquellen
könnte. Unsere persönlichen Daten sind millionenfach gespeichert. Und
sie sind verwundbar. Wenn wir anfangen, diejenigen zu belohnen, die die
Datenbanken plündern, um einen persönlichen Vorteil zu erzielen, werden
wir noch böse Überraschungen erleben.

Es heißt, die rechtliche Prüfung habe ergeben, die Amtsträger
machten sich nicht strafbar, wenn sie diese CD kaufen. Teilen Sie diese
Einschätzung?

In diesem Zusammenhang operiere ich nicht mit dem Argument der
Strafbarkeit. Strafbar ist jedenfalls derjenige, der die Daten klaut.
Meine Argumentation ist vor allem datenschutzschutzpolitisch motiviert.
Wir haben es hier weniger mit einer juristischen Frage zu tun als mit
einer politischen Entscheidung.

Doch noch eine Frage an den Juristen: Es heißt, die gekauften Daten
seien sowohl in Besteuerungsverfahren als auch in Strafverfahren
verwertbar. Was sagen Sie dazu?

Das mag sein. Aber auch das ist für mich kein Entscheidungskriterium.
Das Entscheidungskriterium lautet: Hier wird fundamental gegen den
Schutz der Privatheit verstoßen, den das Bundesverfassungsgericht in
zwei Grundsatzurteilen 1983 und 2006 nachdrücklich gestärkt hat. Nur in
Ausnahmenfällen darf das individuelle Selbstbestimmungsrecht über Daten
aufgehoben werden. Die Bundesregierung verletzt hier den Grundsatz des
Schutzes der Privatheit, wie er aus dem Menschenwürde-Prinzip unserer
Verfassung abgeleitet wurde.

Sehen Sie eine Möglichkeit, den Vorgang zu stoppen – durch einen
Einspruch der Bundesjustizministerin oder eine gerichtliche
Entscheidung?

Im Grunde kann man hier nur auf Einsicht setzen. Das schlimmste
Argument lautet: Wir haben das einmal im Fall Liechtenstein mit
Finanzminister Steinbrück gemacht, deshalb müssen wir jetzt
weitermachen. Ich warne davor, ein Klima des Denunziantentums zu
erzeugen. So wichtig es ist, an die Steuersünder heranzukommen. Man
darf sich den Blick nicht trüben lassen. Und man darf Volkes Stimme
nicht zum Maßstab machen. Es geht um rechtsstaatliche Prinzipien, die
nun manchmal schwer zu vermitteln sind.

Source: http://www.cicero.de/259.php?kol_id=11040