Jäger und Sammler im Daten-Dschungel

Einen EU-weiten Schleuserring zerschlagen? Kein Problem: Der Ermittler loggt sich in die Polizei-Datenbank ein und erhält sofort alle Informationen. Im Krimi klappt das auf Knopfdruck. Um die Realität geht es ab heute beim Europäischen Polizeikongress in Berlin. 1600 Experten aus 60 Ländern beraten zwei Tage über die Zusammenarbeit auf EU-Ebene. tagesschau.de gibt einen Überblick über die Möglichkeiten und Risiken des polizeilichen Datenaustausches in Europa.

Von Wenke Börnsen, tagesschau.de

[tagesschau.de] Die DNA-Analysedatei, das Schengener Informationssystem SIS, die EURODAC-Datenbank, das Automatisierte Fingerabdruck-Identifizierungssystem AFIS – wer beim Bundeskriminalamt BKA nach den Möglichkeiten der polizeilichen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene fragt, stellt fest: Es gibt viele verschiedene Datenbanken. "Viel zu viele", wie Jan Vellemann von der europäischen Polizeigewerkschaft EuroCOP in Luxemburg im Gespräch mit tagesschau.de  bemängelt. Zudem basieren die Datenbanken häufig auf unterschiedlichen Abkommen: Mal sind es EU-weite Verträge, mal gelten sie nur für den Schengen-Raum, mal nur bilateral.

Als Meilenstein für die internationale Zusammenarbeit europäischer Polizeibehörden gilt der Vertrag von Prüm, der im Mai 2005 zwischen sieben EU-Staaten, darunter Deutschland geschlossen wurde. Inzwischen sind weitere EU-Staaten dem Abkommen beigetreten.

Kernelement von Prüm ist die gegenseitige Vernetzung nationaler Datenbanken, etwa DNA- und Fingerabdruck-Datenbanken. "Rechtlich und politisch ist das alles prima, aber in der praktischen Umsetzung hakt es" sagt der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG), Rainer Wendt, auf tagesschau.de-Anfrage. Denn: "Es gibt keine zentrale Datei, auf die alle Mitgliedsstaaten Zugriff haben." Die Kritik teilt BKA-Sprecher Christian Brockert nicht: "Der Datenaustausch ist sehr erfolgreich. Der gegenseitige Abgleich offener DNA-Spuren mit Österreich brachte seit Dezember 2006 mehr als 6000 Treffer, mit Spanien waren es mehr als 2000."

"SIS-Software stammt aus den 80er-Jahren"

Neben dem Vertrag von Prüm gilt das Schengener Informationssystem (SIS) als Grundlage für europäische Polizeizusammenarbeit. SIS ist eine grenzüberschreitende automatisierte Personen- und Sachfahndungsdatei, die mit dem Wegfall der Grenzkontrollen geschaffen wurde. Der Zentralrechner steht in Straßburg. In den Mitgliedsländern stehen nationale Systeme, so genannte NSIS, über die jeder Beamte Informationen über gesuchte Personen oder gestohlene Gegenstände bekommen kann. In Deutschland ist das NSIS beim BKA angesiedelt.

Das Problem bei SIS: Das System ist völlig veraltet. "Die Software stammt aus den 80er-Jahren", sagt EuroCop-Sprecher Vellemann. Schon die Erweiterung auf 27 EU-Mitglieder sei technisch unmöglich gewesen. Auch die inhaltliche Weiterentwicklung stocke seit Jahren.

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft hält von SIS nicht viel. "Die Datenbank ist lückenhaft, da nicht alle Länder ihre Daten einspeisen", kritisiert Wendt. Teils aus technischen, teils aus rechtlichen Gründen. Lob des Polizeigewerkschafters kommt dagegen für Europol, die europäische Polizeibehörde in Den Haag. "Dort arbeiten zwar eher Sammler als Jäger, aber die sammeln Daten und Informationen hochprofessionell", urteilt Wendt. Europol helfe den nationalen Ermittlungsbehörden erheblich.

"Wir haben wahrscheinlich die besten Analysten Europas", bestätigt Europol-Sprecher Gerald Hesztera im Gespräch mit tagesschau.de. Aber: "Wir können uns keine Daten holen. Die Staaten müssen sie für uns gemäß ihrer Gesetze bereitstellen." Dann würden die Daten bei Europol analysiert, etwa mit Hilfe von Analysedateien, auch "Analysis Work Files" genannt. Sie gibt es unter anderen zu den Bereichen Drogenhandel, Geldwäsche und Terrorismus. Hesztera betont, dass Europol keine exekutiven Befugnisse habe, sondern lediglich koordinieren, analysieren und unterstützen könne.

Der Überblick fehlt

Angesichts der vielen verschiedenen Datenbanken fehlt laut EuroCop-Sprecher Vellemann vielen Beamten der Überblick über die Möglichkeiten EU-weiter Recherche. "Alles ist sehr intransparent." Vellemann nennt ein Beispiel: "Ein deutscher Fahrer eines in Lettland zugelassenen Autos gerät in Frankreich in eine Verkehrskontrolle. Die französischen Beamten wollen wissen, ob der Führerschein gefälscht ist." Sie hätten nun mindestens vier Möglichkeiten: Die Abfrage im Schengener Informationssystems SIS, die nationalen Behörde informieren, damit diese eine Anfrage bei Europol stellt, den Kontaktbeamten der französischen Polizei (wenn vorhanden) beim BKA einschalten oder über die gemeinsame französisch-deutsche Dienststelle an der Grenze Informationen bekommen.

Vellemanns Fazit: "Die internationale Recherche ist sehr aufwendig bei ungewissen Erfolgschancen." Nötig sei daher eine einzelne Anlaufstelle. Europol? "Nein", stellt Vellemann klar, "Europol ist kein europäisches FBI." Niemand wolle, dass Fahndungsdaten in einen Topf gelangten. Er plädiert für ein gemeinsames Portal, über das sich die Beamten informieren können, welche Möglichkeiten sie zur EU-weiten Fahndung haben.

Ruf nach einheitlich hohen Datenschutzstandards …

Thilo Weichert Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Ein "hohes Risiko" sieht Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragter Weichert in dem unkontrollierten Informationsaustausch. ]
Den Datenschützern sind die vielen verschieden Datenbanken und damit der mangelnde Überblick über den Informationsaustausch ebenfalls ein Dorn im Auge. "Die gemeinsame Nutzung von Datenbanken wie SIS bergen ein hohes Risiko", sagt der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert im Gespräch mit tagesschau.de. Vor allem wegen der unterschiedlichen Datenschutzstandards. "Großbritannien und Irland zum Beispiel garantieren nur einen Minimalschutz, während das Niveau in Deutschland recht hoch ist." Seine Forderung lautet daher: "Wir brauchen einen EU-weiten einheitlichen Datenschutzstandard, der mindestens auf dem Niveau Deutschlands ist."

…und nach einheitlichem Lohn

Polizeigewerkschafter Velleman sieht noch ein ganz anders Risiko beim EU-weiten Datenaustausch: die Korruption. "Die lettischen Kollegen bekommen 30 Prozent weniger Lohn als beispielsweise ihre deutschen Kollegen." Aus Misstrauen, dass die Daten an Schleuserbanden verkauft werden, würden Informationen an diese korruptionsanfälligen Länder oft nicht weitergegeben. Es fehle an vergleichbaren Standards bei Gehalt oder Ausbildung, sagt Vellemann. "Aber ohne eine integre Polizei in allen EU-Ländern sind alle Diskussionen über besseren Datenaustausch reine Luftschlösser."

Source: http://www.tagesschau.de/inland/polizeikongress100.html