Einleitung
…vor dem 11. September
…und danach
Göteborg, 17.
Juni 2001: Die Polizei schießt mit scharfer Munition auf Protestierende
gegen den EU-Gipfel. Ein 19jähriger schwebt wochenlang in Lebensgefahr.
Die Verletzten und andere willkürlich Herausgegriffene landen in Untersuchungshaft
und werden zu Haftstrafen verknackt. Nach dem Gipfel schlägt Bundesinnenminister
Schily „Sicherheitskonzepte“ wie Reiseverbote für „Polit-Hooligans“
vor. Darüber, die Cops nicht mehr mit scharfen Knarren auf Demos zu
schicken, wird nicht verhandelt. Bereits die Einreise nach Schweden gestaltete
sich schwierig, zahlreichen AktivistInnen wurde die Einreise verweigert.
Genua, 20. Juli:
Carlo Giuliani wird von Carabinieri erschossen und dann von ihrem Fahrzeug
überrollt. Es sei Notwehr gewesen, heißt es, da Carlo einen
Feuerlöscher auf das Polizeifahrzeug habe werfen wollen. Zwei Tage
später stürmt die Polizei die Unterkunft des Genova Social Forum
(GSF) unter dem Vorwand, hier befänden sich Mitglieder des „schwarzen
Blocks“, den die italienische Regierung und Öffentlichkeit für
eine internationale Terrororganisation hält. Die Polizei geht so brutal
vor, dass es erstaunlich ist, dass es keine Toten gab. Die Leute in der
Schule werden alle verhaftet, viele sind erheblich verletzt, müssen
ins Krankenhaus. Die anderen kommen sofort in die Polizeikaserne Bolzaneto,
wo sie tagelang Alleinsein, Ungewissheit, Prügel, Erniedrigungen,
Schmerzen, Folter ertragen müssen. Viele ItalienerInnen sind geschockt,
verstehen nicht, was in ihrem Land passiert, haben – sechs Wochen nach
Berlusconis Amtsantritt – Angst vor der Rückkehr des Faschismus. Aber
nicht nur Berlusconi rechtfertigt die Brutalität der Cops. Schröder
forderte noch nach Carlos Tod, der Gewaltanwendung der Demonstrierenden
(!) müsse „mit aller Härte von der Polizei begegnet werden“.
Den Militanten müsse „mit allen Konsequenzen deutlich“ gemacht werden,
wo die Grenzen seien. Im Vorfeld des Gipfels hatten etliche Deutsche Post
vom BKA bekommen mit der Auflage, sich täglich bei der Polizei zu
melden. Es handelt sich angeblich um gewaltbereite Linksextreme.
New York, 11. September:
Zwei entführte Passagiermaschinen werden in die beiden Türme
des World Trade Center geflogen, die kurz darauf zusammenbrechen. Ein weiteres
Flugzeug setzt das US-Verteidigungsministerium Pentagon in Washington DC
in Brand. Schnell wird verkündet, dass islamische Fundamentalisten
um Osama bin Laden verantwortlich seien. Amerika und die Welt reagieren
geschockt, betroffen, es ist aber auch viel vom Angriff auf die „zivilisierte
Welt“ und von Rache die Rede. Auch in Europa geht die Angst um vor weiteren
Anschlägen. MigrantInnen aus dem arabischen Raum unterliegen einem
Generalverdacht, werden auf der Straße beschimpft oder angegriffen.
Nach dem 11. September werden sich alle
vorher kontrovers diskutierten Repressionsmaßnahmen in verschärfter
Form problemlos durchsetzen lassen – unter Hinweis auf Terrorismusbekämpfung.
Treffen wird dies MigrantInnen, aber auch eine Anti-Globalisierungsbewegung,
die Genua noch nicht verarbeitet hat, keine angemessene Antwort auf den
11. September weiß und plötzlich eine marginale Position einnimmt,
während die Öffentlichkeit wenig über Globalisierungskritik
und viel über Repression und law and order nachdenkt.
Nach Genua bedürfen folgende Komplexe
dringender Aufarbeitung:
-
Unterstützung und Solidarität mit
denen, die nach wie vor in italienischen (und schwedischen und tschechischen)
Knästen sitzen, und denen unter absurden Vorwänden krasse Haftstrafen
drohen. -
Umgang mit staatlicher Repression mittels
Polizeigewalt bis hin zum Schusswaffengebrauch, elektronischer Datenverarbeitung,
Beeinflussung der Presse und der öffentlichen Meinung mit dem Ziel
der Spaltung der Bewegung, Einsatz von Provokateuren in Demos etc. -
Diskussion der Spaltungstendenzen und Gräben
innerhalb der Bewegung. Wie konnte es geschehen, dass z.B. Attac oder das
GSF die Militanten (den „schwarzen Block“) als „Feinde der Bewegung“ bezeichnen?
Wie ist das vorherrschende Bild zu verschieben, wonach die NGOs mit ihren
reformistischen Forderungen „die Bewegung“ repräsentieren, während
radikale Kritik mit inhaltsloser Zerstörungswut gleichgesetzt wird?
Und was ist von Wertkritikern zu halten, die z.B. in der jungle world mit
brillianten Analysen reformistische Forderungen bloßstellen, dann
aber alles, was nach Bewegung riecht, in einen Sack stecken und draufhauen,
ohne dabei ein einziges Wort über die derzeitige Repressionsverschärfung
zu verlieren? Und schließlich: Wie kann in Zukunft ein Umgang der
verschiedenen Strömungen miteinander erreicht werden, der die Berechtigung
aller anerkennt und keiner schadet?
Dieser Text bietet eine Übersicht über
die geplanten und bereits beschlossenen Maßnahmen, staatliche Repression
zu verschärfen. Der erste Teil ist aus einem Gespräch kurz nach
Genua entstanden, der zweite Teil aus diversen Presseartikeln nach dem
11. September zusammengestellt.
Verschärfung
der Repression vor dem 11. September
BRD:
BKA-Datenbanken und Ausreiseverbote sind
die Instrumente, mit denen deutsche Politiker die Grundrechte von GlobalisierungsgegnerInnen
einschränken wollen.
EU:
Bundesinnenminister Schily möchte,
dass die EU diese deutschen Instrumente übernimmt, was auf einem Sondertreffen
der EU-Innenminister am 13. Juli (also vor Genua) abgelehnt worden war.
1. Datenbanken
2. Ausreiseverbote/Meldeauflagen
3. europäische
Anti-Krawall-Polizei
4. Gesetzesverschärfungen
und Terrorismusbegriff, z.B. England
5. Black Block-Konstrukt
6. krasse
Haftstrafen für angebliche Rädelsführer
7. Elektronische
Hilfsmittel zur Überwachung von Telefon, Email und Internet
Wichtiger Hintergrund dieser Prozesse sind
Pläne der EU, Protestierende zu kriminalisieren und ihre Überwachung
und die Weitergabe von Informationen zu legalisieren. Diese Pläne
werden seit 1997 verfolgt, aber besonders intensiv von „StrafverfolgungsexpertInnen“
seit dem EU-Gipfel in Göteborg (14.-16. Juni 2001) diskutiert. Bezüglich
der meisten der vorgesehenen Maßnahmen zeigen sich sieben Regierungen
als Hardliner (Schweden, BRD, Portugal, Italien, Belgien, Luxemburg, UK),
acht lehnen vieles ab (Österreich, Spanien, Griechenland, Frankreich,
Finnland, Dänemark, Irland, Niederlande). Der Rat der Innen- und JustizministerInnen
hat am 13. Juli 2001 einen Maßnahmenkatalog beschlossen.
Ein Großteil dieser Maßnahmen
dient der Einschüchterung und dem Sammeln von Informationen oder legitimiert,
was ohnehin bereits geschieht. Darüber hinaus muss natürlich
ein Umgang damit gefunden werden, dass bei Demonstrationen auf Großevents
nicht nur krass geknüppelt, sondern scharf geschossen wird, willkürliche
Verhaftungen passieren und absurde Vorwürfe und Konstrukte zu jahrelangen
Haftstrafen führen können. Mit anderen Worten: Wer in Zukunft
zu Großdemos fährt, muss damit rechnen, dass sein/ihr Leben
hinterher nicht mehr so sein wird wie vorher. Es muss ein individueller
und kollektiver Selbstschutz entwickelt werden, aber es muss auch politische
dagegen agiert werden, indem die Legitimität unserer Ziele und Mittel
deutlich gemacht und der Fortbestand von Grundrechten für DemonstrantInnen
eingefordert werden. In der Öffentlichkeit (und vor Gericht) werden
Demonstrierende als Gewalttäter, Hooligans, Terroristen diffamiert.
Die Wortwahl klingt nach Bedrohung und blendet politische Anliegen aus.
Es lässt sich eine Tendenz erkennen,
dass es in Zukunft weniger um die Frage schuldig oder unschuldig geht,
sondern um die Zughörigkeit zu einer verdächtigen Gruppe. Schleichend
wird hier die Unschuldsvermutung zum Generalverdacht, StaatsbürgerInnen
werden zu Sicherheitsrisiken, es werden nicht mehr begangene Taten verfolgt
und bestraft, sondern künftige Taten behauptet und daraufhin Menschen
kriminalisiert.
Datenbanken
Das „Schengen Information System“ (SIS)
ist, wie der Name andeutet, Teil des Schengener Abkommens
der EU. Im allgemeinen denkt mensch beim Schengener Abkommen an nichts
anderes als den Wegfall von Grenzkontrollen innerhalb der EU. Sein Schwerpunkt
liegt aber auf der EU-weiten Zusammenarbeit bei der „Verbrechensbekämpfung“.
SIS ist eine EU-Datenbank, die von 30.000
Grenzposten abgefragt werden kann. Zweck von SIS ist die „Aufrechterhaltung
der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ (was sonst?). SIS speichert
Namen, Beschreibungen, Spitznamen, Sexualverhalten (vermutlich in den Kategorien
heter@/schwul), Gewohnheiten, FreundInnen, politische Einstellung und Mitgliedschaft
in Organisationen und laufende Strafverfahren. Um in SIS gespeichert zu
werden, genügt der bloße Verdacht einer Straftat, es werden
also nicht etwa nur rechtskräftige Verurteilungen registriert. So
können im Prinzip alle, die irgendwie mit dem Gesetz oder der Polizei
schon Mal zu tun hatten, drin sein. Dazu enthält SIS abgelehnte AsylbewerberInnen
und zur Einreiseverweigerung ausgeschriebene MigrantInnen. Die Abwehr von
Migration ist der eigentliche, ursprüngliche Zweck von SIS, bis Ende
1995 war 18.500 Personen die Einreise in ein „Schengenland“ verweigert
worden.
15 Länder sind (bis jetzt) an SIS
beteiligt. Ende 2001 werden 14 Millionen Einzelinformationen (viele davon
falsch) über 1,9 Millionen Personen gespeichert sein. Eine Weiterentwicklung
unter dem Namen SISNET soll in der Lage sein, Fingerabdrücke, Fotos,
DNA und eventuell sogar Videos zu speichern und verfügbar zu machen.
Bekannt wurde SIS im Zusammenhang mit
dem EU-Gipfel in Göteborg. Artem Chlenov war 1997 bei der Einreise
von der BRD nach Tschechien kontrolliert worden. Er durfte Aus- und Einreisen,
aber der Besitz einer Radikal als Souvenir, die er nicht einmal lesen kann,
weil er kein Deutsch spricht, verhalf ihm zu einem Eintrag in SIS. Vier
Jahre später genügt das der schwedischen Polizei, die ihn im
Rahmen einer Demo gegen Polizeigewalt festnahm, ihn als „potenziellen Terroristen“
einzuknasten.
Diverse Länderdatenbanken sind in
SIS enthalten, z.B. die Landfriedensbruch-Datei
der BRD. Andere Institutionen wie BKA, LKAs, BGS haben eigene Datenbanken.
Es ist unklar, wer legal und de facto Zugriff auf welche hat. Unklar ist
weiterhin, wer da reinkommt, welche weiteren nationalen Dateien drin sind,
und ob z.B. eine ED-Behandlung in SIS verzeichnet ist. Die Definition von
„Gruppen und Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ darstellen, ist jedenfalls äußerst
vage. Tatsache scheint, dass man nicht aus SIS gestrichen wird, wenn ein
Verfahren eingestellt oder mensch freigesprochen wurde. Es scheint, als
solle im Rahmen einer öffentlichen Debatte über diese Art Datenbanken
legitimiert/legalisiert werden, was eh schon polizeiliche Praxis ist: die
unbegrenzte Erhebung, Weitergabe und Aufbewahrung persönlicher Daten.
Ausreiseverbote/Meldeauflagen
Die Ausreiseverbote, kombiniert mit Meldeauflagen,
sind eine BRD-Spezialität und wurden bisher auf polizeibekannte Fußball-Hooligans
angewendet, um z.B. deren Ausreise während der letzten Europameisterschaft
zu verhindern. Jetzt traf das auch eine angeblich gewaltbereiter "Polit-Hooligans",
die in der neuen „Gewalttäterdatei“ gespeichert sind und die während
Genua sich z.T. zweimal täglich bei ihrem heimischen Polizeirevier
melden mussten und somit nicht nach Genua und auch nirgendwo anders hin
reisen konnten. Der Berliner Innensenator Körting kommentierte Kritik
an diesem Vorgehen so: „Es gibt kein Grundrecht auf Ausreise“. Das Oberverwaltungsgericht
Berlin begründete die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen
damit, dass dem „öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten“
Vorrang gebühre vor den Interessen der Betroffenen, von Meldeauflagen
verschont zu bleiben.
Dies symbolisiert die selbe Willkür
der Repression wie auch die Bullengewalt in Genua, die sich potenziell
gegen alle richten konnte. Es ist aber politisch wichtig, nicht so zu argumentieren,
als sei das ok, wenn´s die Richtigen trifft, sondern dass das immer
abzulehnen ist, dass es ein Recht auf Bewegungsfreiheit gibt. Die Maßnahme
hebelt nicht nur dieses aus, sondern auch die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung:
Leute werden festgesetzt für Taten, die gar nicht begangen wurden,
es wird schlicht behauptet, dass sie sie begehen würden, wenn sie
nicht brav zuhause blieben.
Diese Verschiebung in Richtung einer generellen
Verdächtigung aller drückt sich auch in Videoüberwachung
und Polizeikontrollen öffentlicher Räume immer stärker aus.
Um diesen Sicherheitsdiskurs aufzubrechen wäre es wichtig zu verdeutlichen,
dass es tatsächlich alle treffen kann, dass es sinnlos ist zu behaupten,
wer "nichts macht" profitiert davon, weil seine/ihre Sicherheit erhöht
wird. Dies wird schwieriger angesichts der neuen Angst vor Terroranschlägen.
Neben Ausreise- sind auch Einreiseverbote
eine beliebte Maßnahme. Artikel 2.2 des Schengener Abkommens bietet
die Möglichkeit, vor Massenprotesten Grenzkontrollen wieder aufzunehmen.
Auf der Grundlage von SIS-Abfragen kann dann die Einreise verweigert werden.
Bei allen diesen Maßnahmen geht es darum, die Bewegungsfreiheit und
das Demonstrationsrecht einzuschränken.
Europäische
„Anti-Krawall“-Polizei
Der Vorschlag einer europaweiten Anti-Krawall-Polizeieinheit
ist ein populistischer Vorschlag von Bundesinnenminister Schily, der vielleicht
mit der "neue deutschen Rolle" in der EU zusammenhängt. Schily versucht
ja auch gerade, das Ausreiseverbot-Konzept anderen EU-Staaten schmackhaft
zu machen. Die Einschätzungen zu Schilys Vorschlag klingen eher negativ,
Frankreich zweifelt an der juristischen Legitimation, die taz an der praktischen
Durchführbarkeit. Allerdings gibt es ja schon eine Zusammenarbeit
in Einzelfällen, z.B. waren deutsche Cops in Genua und bei der Fußball-Europameisterschaft
dabei. Angesichts der Schwierigkeiten mit Europol erklärt auch Schily,
die „Anti-Krawall-Polizei“ sei erst „langfristig“ denkbar, weil EU-Verträge
geändert werden müssten. Nur die italienische Regierung ist begeistert
von dem Vorschlag.
Inzwischen ist die Bundesregierung zu dem
Vorschlag übergegangen, jedes EU-Mitgliedsland solle seine eigene
„Spezialeinheit“ zur Bekämpfung von Protesten bei EU-Gipfeln und anderen
treffen aufbauen. Ein Bericht vom 20. September fordert dies als Reaktion
auf Göteborg und Genua, es ist von gemeinsamen Maßnahmen gegen
„reisende Gewalttäter“ die Rede.
mehr Info in englischer Sprache bei Statewatch
„Black
Block“-Konstrukt
Deutsche PolitikerInnen argumentieren gerne
mit dem Bild des "Polit-Hooligans", der keine politischen Inhalte vertritt,
sondern- ähnlich wie dem "Fußball-Hooligan" Fußball egal
ist – politische Events und Demos nutzt, um Spaß an der Randale zu
haben. In Italien wurde nun die Existenz einer internationalen Terrororganisation
"Black Block" behauptet.
Ob das Konstrukt einer kriminellen oder
terroristischen Vereinigung vor Gericht Bestand haben wird oder dort überhaupt
weiterverfolgt wird, ist unklar. Ebenfalls unklar und abhängig von
der politischen Entwicklung ist, ob das Konstrukt "Black Block" in Zukunft
auch in der BRD eingesetzt wird.
Das Konstrukt hatte bisher die Funktion,
-
einen Vorwand zu liefern, Leute festzunehmen,
denen unterstellt wurde, Mitglied des Black Block zu sein. Vor Gericht
stellen konnte man sie später mit anderen Vorwürfen aufgrund
inzwischen gefundener oder erfundener Beweise; -
die Möglichkeit zu bieten, die friedlichen
Teile der Bewegung zur Distanzierung vom Black Block zu nötigen und
damit die Bewegung zu spalten, bzw. das Ausbleiben der Spaltung als Vorwand
dafür zu nutzen, dass alle unterschiedslos aufs Maul kriegen.
Gesetzesverschärfungen
und Terrorismusbegriff
Im Februar 2001 trat in UK der „Terrorism
Act 2000“ in Kraft. Das Problem an diesem Gesetz ist die umfassende Definition
von Terrorismus, die wenig mit dem zu tun hat, woran man dabei üblicherweise
denkt. Der Terrorism Act richtet sich unterschiedslos gegen bewaffneten
Widerstand weltweit und die meisten Formen zivilen Ungehorsams. Die Regierung
hat offenbar insbesondere die radikale Tierrechts- und Anti-Gentech-Szene
im Auge, aber auch die Anti-Globalisierungsbewegung. Außerdem ist
es nach diesem Gesetz möglich, gegen ausländische „Terrorgruppen“
und ihre britischen SympathisantInnen vorzugehen. Dies ermöglicht
nicht nur ein Verbot z.B. der PKK, sondern die Kriminalisierung der gesamten
Kurdistan-Solizszene. Nicht nur Verhaftungen von AktivistInnen sind nun
zu befürchten, die Polizei hat vor allem umfassende Möglichkeiten,
Informationen zu sammeln, Leute zu überprüfen und zu überwachen
und auf diese Weise Menschen von politischer Arbeit abzuschrecken. Mit
anderen Worten: „It´s more about terrorising people than it is about
protecting us from terrorism“.
Auch in Griechenland gibt es ein neues
„Anti-Terror-Gesetz“ (jungle
world 21.3.2001). Weniger Problemdruck als die Olympischen Spiele 2004
dürften die Entscheidung motiviert haben. Neben „genetischem Fingerabdruck“
und anderen Standards steht die Erhöhung des Strafmaßes für
Bildung einer „kriminellen Vereinigung“ im Vordergrund – dem Hauptvorwurf
an HausbesetzerInnen und andere Linke.
Rädelsführerschaft
In Göteborg werden krasse Urteile
gefällt, indem Leuten unterstellt wird, "Rädelsführer" bei
"Krawallen" gewesen zu sein. Ein Deutscher hat dafür gerade 8 Monate
zusätzlich gekriegt, nachdem er schon zu 6 Monaten Haft verurteilt
war. Jemand anderes ist zu 4 Jahren Haft verurteilt worden. Die Strafmaße
stünden selbst dann in keinem Verhältnis zu den behaupteten Taten,
selbst wenn man die Berechtigung von Strafen anerkennen würde. Natürlich
ist das nicht unsere Argumentation, sondern es müssen alle raus, weil
die Demos und was dort passiert ist, legitim ist und nicht bestraft gehört.
Trotzdem wäre es schön zu wissen, welche Rechtsgrundlage und
welchen Stellenwert die Strafmaße und das Konstrukt Rädelsführerschaft
haben, ob das Schweden-spezifisch ist oder künftig auch in der BRD
greifen wird. Hier lässt sich nur spekulieren.
Elektronische
Hilfsmittel zur Überwachung von Telekommunikation und Videoüberwachung
Ende Januar 2001, Tampa, Florida: 75000
ZuschauerInnen werden beim Eintritt in ein Football-Stadion gefilmt. Die
"Gesichtserkennungssoftware" der Firma Viisage Technologies vergleicht
die Aufnahmen mit Fotos aus Verbrecherkarteien. 19 Kleinkriminelle werden
erkannt und festgenommen.
Auch in der BRD werden solche Programme
bereits ausprobiert. Sie machen sich unter anderem zunutze, dass der Abstand
der Pupillen eines Menschen so unverwechselbar ist wie ein Fingerabdruck.
Sie lassen sich nicht durch einfache Veränderungen des äußeren
wie Bart oder Sonnenbrille überlisten.
Im Mai änderte der Bundestag das Gesetz,
das die Abhörrechte der Geheimdienste regelt. Der Bundesnachrichtendienst
(BND) darf im Prinzip nur Gespräche mit dem Ausland und Emails dorthin
überwachen. Angeblich werden täglich 100.000 solche Telekommunikationen
erfasst und nach bestimmten Stichworten ausgewertet. Von diesen bleiben
im Schnitt drei übrig, bei denen weiter ermittelt wird. Bisher durfte
nur die Kommunikation per Satellit gescannt werden, nach dem neuen Gesetz
auch die über Kabel. Damit werden aber auch Inlands-Emails erfasst,
die über einen ausländischen Provider laufen. Der BND gibt „Zufallsfunde“
wie Erkenntnisse über Castor-GegnerInnen an die Polizei weiter, was
der im Grundgesetz festgelegten Trennung von Geheimdiensten und Polizei
widerspricht.
Die Polizei setzt (seit Jahren) den sogenannten
„IMSI-Catcher“ ein, mit dem sie den Standort einer Person ermitteln kann,
die gerade per Handy telefoniert. Der Bundesbeauftrage für den Datenschutz,
Jacob, meint, dass es dafür keine Rechtsgrundlage gibt.
Die USA betreiben mit „Echelon“ ein System,
das sämtliche elektronische Datenübertragung überwachen
kann. Großbritannien ist daran beteiligt, was zu Diskussionen in
der EU geführt hat.
Repression und
Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September
Nach dem 11. September hat die Diskussion
um Repression eine ganz neue Dimension und auch ein anderes Ziel angenommen:
BRD
Die Bundesregierung hat in einem ersten
"Anti-Terror-Paket" folgende Maßnahmen bereits beschlossen:
-
Erhöhungen der Tabak- und Versicherungssteuer
(außer Lebens- und Krankenversicherung) zum 1.1.2002; dadurch sollen
3 Mrd. DM für die „innere und äußere Sicherheit“ eingenommen
werden. Deren genaue Verwendung ist noch nicht klar, der größte
Teil wird wohl an die Bundeswehr gehen und dort für bessere Aufklärung
genutzt. Aber auch Geheimdienste (BND, MAD), BGS, BKA usw. kriegen etwas
davon ab, das Sparprogramm beim Verfassungsschutz wird ausgesetzt. Diesen
geht es vor allem um die bessere Kontrolle „illegaler Finanzströme“,
wozu auch eine „Geldwäschebehörde“ ins Leben gerufen werden soll. -
Ausweitung des § 129 auf vom Ausland
agierende Gruppen (§ 129b), Abschaffung des Religionsprivilegs im
Vereinsrecht. Diesen beiden Maßnahmen muss der Bundestag zustimmen.
Per Verordnung soll die Sicherheit an den
Flughäfen verbessert werden (u.a. Kontrolle des Bodenpersonals, s.u.).
Am 8. Oktober
stellte Innenminister Schily ein zweites "Anti-Terror-Paket" vor, das aber
von der Bundesregierung erst noch beschlossen werden muss (s.u.). Darin
enthalten sind:
-
Mit jedem Visaantrag werden künftig Fingerabdrücke
genommen und in einer Datei gespeichert. Bisher werden Fingerabdrücke
bei Asylanträgen genommen und in einer europaweiten Datei gespeichert
– diese, sowie Sprachanalysen der AsylbewerberInnen, werden in Zukunft
10 Jahre lang gespeichert. Die Religion soll ins Ausländerzentralregister
aufgenommen werden. Schilys Entwurf für das Einwanderungsgesetz enthält
„Personenüberprüfungen im Visaverfahren vor der Einreise bei
den deutschen Auslandsvertretungen“. -
Auch von allen BürgerInnen der BRD werden
Fingerabdrücke genommen und im Pass gespeichert. Eine solche Regelung
wird z.B. auch in Großbritannien diskutiert. Der damit verbundene
Aufwand (neue Pässe, die alten sind 10 Jahre gültig) dürfte
die Wirksamkeit ziemlich verzögern, aber das macht´s nicht besser… -
Auch diejenigen, die Menschen aus dem Ausland
"einladen" (Voraussetzung für den Visaantrag, die einladende Person
erklärt sich vor allem bereit, für alle Kosten des Aufenthalts
aufzukommen), sollen in Zukunft regelmäßig überprüft
werden. Wer "Ausländer" zu sich einlädt, macht sich also verdächtig! -
Der BGS soll mehr Personal erhalten, sein
Aktionsgebiet von 30 km auf 50 km entlang der Grenzen der BRD ausgeweitet
werden. -
Das Ausländer- und Asylrecht ändert
sich: Flüchtlinge, die im Rahmen der "Genfer Flüchtlingskonvention"
eingereist sind, werden schon beim Verdacht (!) einer "schweren Straftat"
abgeschoben. Abschiebungen werden auch in Länder möglich, in
denen es die Todesstrafe gibt. -
Die Kronzeugenregelung, die 1999 weitgehend
abgeschafft wurde, wird wieder eingeführt. -
Es soll eine weitere Datenbank eingerichtet
werden, eine "Verbunddatei" zum Austausch zwischen Bundekriminalamt und
Geheimdiensten. Der Zugriff auf das Ausländerzentralregister
soll von Ausländerbehörden auf Ermittlungsbehörden ausgeweitet
werden
Schily will darüber hinaus
-
die Bundeswehr zur Verstärkung der inneren
Sicherheit einsetzen; -
„Abhilfe schaffen, wo Datenschutz Terroristenschutz
ist“, dazu gehört ein Datenbankabgleich des Ausländerzentralregisters
mit anderen Datenbanken (der Polizei etc.). Was er sonst noch meint, hat
er bisher nicht gesagt. Datenschutzbeauftragte wehren sich dagegen vor
allem mit dem Hinweis, das bringe nix gegen „wirklich intelligente“ Terroristen. -
ins Bankgeheimnis eingreifen, z.B. eine Auskunftspflicht
von Banken, bei denen des Terrorismus verdächtige Personen oder Organisationen
Konten haben, einführen.
Die CDU fordert
- die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung
-
die Überwachung des Mobilfunkverkehrs
(das passiert in UK und USA seit neuestem ohne datenschutzrechtliche Grundlage) - einen Generalverdacht gegen Einreisende (!)
Offensichtlich wünscht eine Mehrheit
der Bevölkerung noch viel weitergehende Maßnahmen. Bei einer
Spiegel-Umfrage sprach sich die Mehrheit dafür aus, Einschränkungen
der Freiheit in Kauf zu nehmen, um die Sicherheit zu erhöhen. Und
das Ergebnis der Schill-Partei bei der Bürgerschaftswahl muss man
auch so einordnen, dass viele Menschen nun einen starken Mann gegen „den
Terrorismus“ vorgehen sehen wollen. Der „Generalverdacht gegen MigrantInnen“
besteht in den Köpfen vieler Deutscher ohnehin, Muslime werden beschimpft,
eingeschüchtert, zu Bekenntnissen gegen Gewalt und Terror genötigt
oder tätlich angegriffen. Die Debatte um das Zuwanderungsgesetz wird
jetzt vom Sicherheits-Teil überlagert. Zum Beispiel ähnelt das
Täterprofil der Rasterfahndung (junge
Männer arabischer Herkunft, die eine technische Ausbildung haben oder
machen usw.) dem Wunschprofil für Green Card-Kandidaten. Bayerns Innenminister
Günther Beckstein (CSU) lehnt das Zuwanderungsgesetz ab, den man könne
jetzt nicht mehr ernsthaft darüber diskutieren, "Menschen aus der
arabischen Welt" den Zugang nach Deutschland zu erleichtern. Er glaube
nicht, dass man über eine Zuwanderung aus dem arabischen Raum "noch
ernsthaft diskutieren kann".
In den Bundesländern laufen weitere
Diskussionen:
-
Die Innenministerkonferenz (Schily + Länder-Innenminister)
fordert strengere Visaauflagen (z.B. Angabe von Besuchszweck und Adresse
in der BRD), mehr Rasterfahndung und verstärkten Einsatz der Bundeswehr
zum Objektschutz. -
Hamburg, Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg
führen Rasterfahndungen nach Tatverdächtigen und sogenannten
„Schläfern“ (künftigen Attentätern) durch. Niedersachsen
will Rasterfahndung ins Gefahrenabwehrgesetz aufnehmen. Zur Zeit ist nur
dort und in Schleswig-Holstein keine Rasterfahndung vorgesehen. Das Täterprofil
ähnelt stark den Kriterien der Green Card. Die Bundesregierung will
die Rasterfahndung erweitern. -
Berlin will 13 Mio. DM für die „innere
Sicherheit“ zusätzlich ausgeben, davon 5,9 Mio. für zusätzliche
Polizei -
In NRW sind sogar die Grünen für
eine Verstärkung der Geheimdienste und des Staatsschutzes. Es werden
arabischsprechende Menschen gesucht, die als Informanten in islami(sti)schen
Gruppen agieren sollen. -
Bayern hat ein 12-Punkte-Programm vorgelegt,
das (natürlich) noch krasser ist als alles bisher aufgelistete.
Inzwischen wird aber auch deutlich, dass diese
Maßnahmen nicht so widerstandlos umgesetzt werden können, wie
es zunächst schien. Gegen das "2. Terrorbekämpfungspaket" hat
das Bundesjustizministerium Bedenken geäußert. Manche der vorgesehenen
Maßnahmen seien verfassungswidrig, außerdem solle man doch
bitte nur Mittel ergreifen, die zur Terrorismusbekämpfung geeignet
seien, und keine, die unnötigerweise weit darüber hinausgingen.
Schilys Ministerium hat den Vorschlag erstmal zurückgezogen, die Bundesregierung
wird am 7. November darüber verhandeln, und es ist dann mit Abschwächungen
zu rechnen.
EU
Am 20. bzw. 21.9. trafen sich die Innen-
und Justizminister bzw. Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten zu Sondergipfeln.
Die EU-Kommission präsentierte dort ihren Vorschlag einer „Rahmenentscheidung
zur Terrorismusbekämpfung.“ Im Rahmen einer künftigen einheitlichen
Terrorismusbekämpfung sollen bis Dezember 2001
- ein europaweiter Straftatbestand „Terrorismus“
- ein „europäischer Haftbefehl“
klargemacht werden.
Bisher ist „Terrorismus“ nur in UK, Frankreich,
Portugal, Spanien definiert, aber jeweils unterschiedlich. In der BRD
und Italien gibt es die „terroristische Vereinigung“. Nach dem diskutierten
Entwurf könnte sich laut Statewatch „Terrorismus“ auch auf Störungen
der „öffentlichen Ordnung“ beziehen; vgl. Terrorism Act in UK. Die
EU-Kommission definiert Terrorismus wieder anders
und nennt deutlich höhere Strafmaße als zur Zeit in der BRD
festgelegt. Über die Definition von „Terrorismus“ wird auch innerhalb
der UN nachgedacht, wo allerdings die Meinungen weiter auseinander gehen,
weil viele Staaten gerne des Staatsterrorismus der anderen, nicht aber
ihren eigenen, darunter gefasst sehen würden. Beispielsweise dürfte
sich zur Zeit Russland die Unterstützung der USA im „Kampf gegen den
Terror“ damit bezahlen lassen, in Tschetschenien künftig die dortigen
„Terroristen“ unbehelligt bekämpfen zu können.
Der europäische Haftbefehl soll eine
EU-weite Fahndung ermöglichen. Ein Haftbefehl, der in einem EU-Staat
ausgestellt wird, wird in Zukunft EU-weit anerkannt. Wird einE GesuchteR
daraufhin in einem anderen EU-Staat festgenommen, soll die Person einfach
„überstellt“ werden. Bisher war ein relativ kompliziertes Auslieferungsverfahren
notwendig, bei dem u.a. geprüft wurde, ob der Haftbefehl auch im Land
der Festnahme rechtmäßig wäre. Die EU-Konvention über
Auslieferung ist noch nicht von allen Mitgliedsstaaten umgesetzt.
Es sollen keine Grenzkontrollen wieder
eingeführt werden. Stattdessen sollen „die vorhandenen Möglichkeiten
besser genutzt“ werden:
-
Öffnung nationaler Visa-Dateien und Eurodac
(Fingerabdruckdatei für Asylverfahren) für die Polizei, ebenso
Öffnung von SIS für Polizei und Staatsanwaltschaft - europäische Rasterfahndung
-
Ratifizierung der bestehenden Abkommen über
Auslieferung von 1995 und1996 bis Ende 2001 -
Die beschlossene „Task Force der Polizeischefs“
soll ihre Arbeit aufnehmen -
Die staatsanwaltschaftliche Zusammenarbeit
Eurojust soll endlich in die Gänge kommen. -
Europol soll mehr mit Polizeiaufgaben betraut
werden, eine Anti-Terroreinheit erhalten und mit dem FBI kooperieren. -
Über Rechtsbeistand und ein Auslieferungsabkommen
mit den USA (das es bisher nicht gibt wegen der Todesstrafe dort) soll
nachgedacht werden. Die Regeln des Datenschutzes und des Bankensektors
sollen „geprüft“ werden. Ansonsten bekennt die EU sich zu UN-Konventionen
gegen Terrorismus und gegen Kleinwaffen und will zur Lösung von Konflikten
(Nahost etc.) beitragen zu wollen und dem gemeinsamen Außenpolitik
mehr Aufmerksamkeit zu geben, um „Gerechtigkeit, Demokratie, Wohlstand“
in die Welt zu bringen.
Das Problem, das eigentlich alle Strafverfolgungsbehörden
mittlerweile haben, ist der Umgang mit der riesigen Datenmenge – das wird
sich verschärfen. Zusätzlich werden auf EU-Ebene immer weitere
Gremien und Behörden gegründet, was den Koordinationsaufwand
erhöht. Zu hoffen ist also, dass sich dieser ganze Repressionsapparat
selbst stark blockieren wird.
Großbritannien und die USA haben
am 13. September Internetprovider dazu angehalten, die Mailadressen und
Telefonnummern von Sender und Empfänger aller Emails/Telefongespräche
durch ihr Netz zu speichern.
Zusammenfassung
Zunächst treffen die angedachten Maßnahmen
vor allem MigrantInnen. Aus Sicht der Anti-Globalisierungsbewegung ist
aber klar, dass die gegenwärtige Stimmung dazu genutzt werden, die
vorher kontrovers diskutierten Maßnahmen (Überwachung, Datenbanken,
EU-weite Kooperation, Anti-Terrorismusgesetze mit weiter Terrorismusdefinition)
nun unter Hinweis auf den Anschlag vom 11. September widerstandslos umzusetzen.
Diese Szenario relativiert sich ein wenig (!) dadurch, dass 1. viele der
angedachten Maßnahmen nur legalisieren und institutionalisieren,
was eh schon gemacht wird, und 2. der anwachsende
Datenberg die Behörden total überfordern wird. Andererseits aber
werden z.B. Demo-Verbote bei events in Zukunft leicht durchzusetzen sein,
und selbst wenn man wirklich nichts anderes will als Attentate von anderer
Seite verhindern, wird selbstverständlich dazugehören, dass größere
Menschenmengen ferngehalten werden.
Erläuterungen
Schengener Abkommen
Das Schengener Abkommen trat 1995 zunächst
in sieben Staaten in Kraft und wurde mit dem Vertrag von Amsterdam 1997
auf alle EU-Staaten ausgedehnt. Es sieht die Abschaffung von Grenzkontrollen
innerhalb der EU vor, aber diese vermeintliche Freiheit ist mit einer Reihe
von „Ausgleichsmaßnahmen“ des Schengener Durchführungsabkommens
(SDÜ) verbunden. Man befürchtete nämlich ein Anwachsen von
illegaler Einwanderung, Drogenhandel und „Organisierter Kriminalität“.
Deswegen wurden die EU-Außengrenzen durch scharfe Kontrollen, neue
Visaregelungen und neue Asylgesetze abgeschottet („Festung Europa“). Außerdem
begann man, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei voranzutreiben.
Grenzkontrollen können vorübergehend wieder eingeführt werden,
z.B.: anlässlich „politischer Großereignisse“.
europäisches
Repressionsregime
SIRENE („Supplementary Information Request
at the National Entries“)
EUROPOL
Europol wurde gegen grenzüberschreitende
Straftaten wie Drogenhandel oder Zwangsprostitution eingerichtet. Europol
darf selbst keine Durchsuchungen oder Verhaftungen vornehmen.
Zurzeit in der Entwicklung befindet sich
ein EU-System zur Überwachung aller Kommunikationsmedien (ENFOPOL)
nach Art des vom FBI benutzten ECHOLON. Großbritannien ist an Echolon
beteiligt, was zu Unmut in der EU Anlass gibt.
EUROJUST
Eurojust ist die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften.
Je ein Vertreter jedes Mitgliedslandes soll dort die Ermittlungen zu „organisierter
Kriminalität“, Computerkriminalität, Umweltdelikten, Geldwäsche
und Betrug auf Kosten der EU-Kasse koordinieren. Eurojust soll auch Ermittlungen
auf Staatenebene anstoßen können.
EURODAC
Eurodac ist eine europäische Datei,
in der die Fingerabdrücke und Daten aller AsylbewerberInnen gespeichert
werden.
Datenbanken in
der BRD
Im November 2001 beschloss die Innenministerkonferenz
(IMK, also Schily und die Innenminister der Bundesländer) drei „zentrale
Gewalttäterdateien“ beim Bundeskriminalamt (BKA) zu den Bereichen
„Rechtsextremismus“, „Linksextremismus“ und „politisch motivierte Ausländerkriminalität“.
Gespeichert werden dort die Daten nicht nur von rechtskräftig Verurteilten,
sondern alle Platzverweise, Ingewahrsamnahmen und Verfahren, die mit Einstellung
oder Freispruch endeten. Der Eintrag in diese „Gewalttäterdatei“ erfolgt
also relativ willkürlich.
Schon länger existiert die Datei „Landfriedensbruch“,
in der entsprechende Verurteilungen gespeichert werden.
Es ist möglich, beim BKA (???) formell
anzufragen, mit welchen Einträgen man in den verschiedenen Datenbanken
verzeichnet ist. Dies ist aber nur sinnvoll, wenn man sicher ist, auf jeden
Fall Einträge zu haben, da man sonst unnötig auf sich aufmerksam
macht.
Landfriedensbruch,
Straftat, die vorliegt, wenn die öffentl.
Sicherheit dadurch gefährdet wird, dass aus einer Menschenmenge heraus
mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen
begangen werden oder Menschen mit Gewalttätigkeiten bedroht werden
oder wenn mit dieser Zielsetzung auf eine Menschenmenge eingewirkt wird.
L. wird nach § 125 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe bestraft, in bes. schweren Fällen (beim Führen von
Waffen, bei schweren Körperverletzungen, Tötungen oder Plünderungen)
mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (§ 125a StGB).
Hintergrund Meldeauflagen/Ausreiseverbote
Reisebeschränkungen und Meldeauflagen
wurden in der BRD mit dem sogenannten „Hooligan-Gesetz“ nach der Fußball-Weltmeisterschaft
in Frankreich 1998 eingeführt. Damals hatte eine Gruppe von Deutschen
einen französischen Polizisten brutal angegriffen und schwer verletzt.
Bei der Europameisterschaft 2000 in Belgien und den Niederlanden wurden
dann bekannte gewaltbereite Hools davon abgehalten, überhaupt dorthin
zu fahren.
Das „Hooligan-Gesetz“ bedeutete eine Änderung
des Pass- und Personalausweisrechts. Meldeauflagen sowie eine Eintragung
in den Reisepass, der seine Gültigkeit für bestimmte Länder
zeitweise aufhebt, sind dadurch möglich. Wer die ihm/ihr aufgelegten
Beschränkungen missachtet, kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr
bestraft werden.
Terrorism Act
In diesem Gesetz wird Terrorismus definiert
als
„The use of threat of action, designed
to influence the government or to intimidate the public or a section of
the public, made for the purpose of advancing a political, religious or
ideological cause, where the action (a) involves serious violence against
a person, (b) involves serious damage to property, (c) endangers a person’s
life, other than that of the person committing the action, (d) creates
a serious risk to the health or safety of the public or a section of the
public, or (e) is designed seriously to interfere with or seriously disrupt
an electronic system“ (zitiert in SchNEWS 268).
Frei übersetzt:
Terrorismus ist eine Handlung oder die
Androhung einer Handlung, die dazu geeignet ist, die Regierung zu beeinflussen
oder die Öffentlichkeit zu bedrohen.
Zweck der Handlung ist, ein politisches,
religiöses oder ideologisches Ziel voranzutreiben.
Die Handlung
(a) beinhaltet schwere Gewalt gegen Personen
oder (b) schwere Sachbeschädigung
oder (c) gefährdet das Leben von
Personen
oder (d) gefährdet die öffentliche
Gesundheit oder Sicherheit
oder (e) ist geeignet, elektronische Systeme
ernsthaft zu stören
Es handelt sich nach Einschätzung
von Amnesty International um die „drakonischste“ Gesetzgebungsmaßnahme
der Labour-Regierung. Bei Verdacht auf „Terrorismus“ kann die Polizei einfach
Durchsuchungsbefehle erhalten, Fingerabdrücke und DNA-Analysen nehmen,
und muss diese bei Einstellung des Verfahrens nicht vernichten.
Die Notwendigkeit eines neuen Anti-Terror-Gesetzes
ergab sich einerseits aus dem Friedensprozess in Nordirland, andererseits
aus der Unterzeichnung von zwei UN-Konventionen für die Verhinderung
von Bombenanschlägen und der Finanzierung von Terrororganisationen.
Beide Gründe legten ein weniger krasses Gesetz nahe, aber inzwischen
war der Erfolg direkter Aktionen in Großbritannien wohl zu groß
geworfen…
Die britischen Behörden arbeiten eng
mit denen der USA zusammen, und ein Blick dorthin verrät, worum es
dem Terrorism Act zumindest unter anderem geht: Das FBI hat Reclaim the
Streets, die Animal Liberation Front und andere Gruppen im Bereich direkte
Aktion als „Terroristen“ bezeichnet.
Terrorismusgesetzgebung
der BRD: § 129/129a StGB
terroristische Vereinigung,
nach § 129a StGB eine Vereinigung,
deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord, Totschlag,
Völkermord, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme oder gemeingefährliche
Straftaten (z.B. Angriff auf den Luftverkehr) zu begehen. Gründung
einer terroristischen Vereinigung und Mitgliedschaft in ihr werden mit
Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren (Rädelsführer und Hintermänner
nicht unter drei Jahren), Unterstützung und Werbung für sie mit
sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft.
kriminelle Vereinigung,
eine Vereinigung, deren Zweck oder Tätigkeit
darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen; wer eine kriminellen Vereinigung
gründet, an ihr als Mitgl. beteiligt ist, für sie wirbt oder
sie unterstützt, wird nach § 129 StGB mit Freiheitsstrafe bis
zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Anwendbarkeit des
§ 129 StGB erstreckt sich auch auf ausländische kriminelle Vereinigungen,
deren Tätigkeit auf den Vertrieb illegalisierter Drogen gerichtet
ist (§ 30b Betäubungsmittel-Gesetz).
Der § 129a entstand in den 70er Jahren,
als die RAF und die Bewegung 17. Juni mit ihren Aktionen Aufsehen erregten
und den Staat herausforderten. Er diente vor allem dazu, UnterstützerInnen
und allgemein Linke strafrechtlich verfolgen zu können, ohne dass
sie an konkreten Strftaten beteiligt waren. Über die Abschaffung damals
wegen der RAF beschlossener Sondergesetze wurde in den vergangenen Jahren
immer mal wieder nachgedacht.
Der § 129b ist nun eine Art rassistische
Neuauflage des § 129a. Wie dort wird auch hier die bloße Mitgliedschaft
in oder „Werbung“ für eine ausländische Organisation, die als
„terroristische Vereinigung“ gilt. Die Entscheidung darüber liegt
bei der Bundesregierung, klare Kriterien dafür gibt es nicht und kann
es auch gar nicht geben.
Rasterfahndung
Bei der Rasterfahndung wird ein „Profil“
des gesuchten Personenkreises erstellt, also eine Liste von Merkmalen (Raster),
die diese vermutlich aufweisen. Dieses Raster wird dann mit Datenbanken
wie dem Einwohnermelderegister oder dem Ausländerzentralregister abgeglichen.
Die Rasterfahndung muss richterlich angeordnet oder in Eilfällen nachträglich
bestätigt werden und ist nur zulässig bei Straftaten „von erheblicher
Bedeutung“ (§98a ff. der Strafprozessordnung). Rasterfahndung ist
in allen Bundesländern außer Schleswig-Holstein und Niedersachsen
vorgesehen, wobei Niedersachsen sein Gefahrenabwehrgesetz demnächst
entsprechend ändern wird. In mehreren Bundesländern wurde nach
dem 11. September 2001 eine Rasterfahndung nach Beteiligten am Anschlag
und sogenannten „Schläfern“ (künftigen Attentätern in Warteposition,
von denen ca. 100 in der BRD vermutet werden) durchgeführt.
Terrorismus nach
dem Vorschlag der EU-Kommission
Laut taz (27. September) , „definiert die
Kommission ‚terroristische Straftaten‘ unter zwei Gesichtspunkten. Zum
einen werden bestimmte Straftaten aufgezählt, die von Mord und Geiselnahme
über Raub und Waffenlieferung bis hin zur ‚Ermutigung einer terroristischen
Vereinigung‘ reichen. Zum anderen wird aber auch eine Zielrichtung des
Täters oder der Gruppe vorausgesetzt. Danach müssen die Taten
darauf gerichtet sein, staatliche Institutionen oder die Bevölkerung
einzuschüchtern oder ihre Strukturen zu schädigen oder zu zerstören.
Zwei Unterschiede zum deutschen Strafrecht fallen dabei ins Auge. Erstens
können nach dem Kommissionsvorschlag auch Einzeltäter als Terroristen
angesehen werden. Zweitens stellt der deutsche Paragraph 129 a nicht auf
die Zielsetzung der Täter ab.“ Statewatch zitiert den Entwurf so,
dass die aufgelisteten Straftaten als Terrorismus bestraft werden sollen,
wenn sie eine bedeutende Änderung oder Schädigung der politischen,
ökonomischen oder sozialen Strukturen in dem betroffenen Land zum
Ziel haben. Terrorismus soll auch „urban violence“ beinhalten. Der englische
Guardian (19.9.2001) kommentiert den Entwurf als mögliche Bedrohung
von Freiheit und fürchtet, dass der Terrorismusvorwurf ziemlich willkürlich
ins Spiel gebracht werden kann, möglicherweise nach rassistischen
Kriterien, so dass Widerstand von MigrantInnen verstärkt kriminalisiert
und mit den höheren Strafmaßen belegt wird.
Gefahrenabwehrgesetze
Die Gefahrenabwehrgesetze der Bundesländer
geben der Polizei schon jetzt die Möglichkeit, bei besonderen Lagen
Menschen wegen Taten zu überprüfen und einzusperren, die noch
nicht begangen wurden. In vielen solcher Gesetze ist die Möglichkeit
vorgesehen, Menschen 2, 3 oder sogar 4 Tage ohne richterliche Prüfung
in „Unterbindungsgewahrsam“ zu nehmen, um zu verhindern, dass die z.B.
an Demonstrationen teilnehmen. In Niedersachsen entstand das heute gültige
Gefahrenabwehrgesetz als Reaktion auf die Chaostage in Hannover, macht
nun aber die Organisation und Durchführung des Widerstands gegen Castor-Transporte
nach Gorleben schwierig.
Ausländerzentralregister
Das Ausländerzentralregister ist mit
12 Millionen Datensätzen eine der größten Datensammlungen
in der Bundesrepublik. Es wird zentral vom Bundesverwaltungsamt in Köln
geführt. Zusätzlich gibt es noch dezentrale Dateien bei den Ausländerbehörden.
Rechtsgrundlage ist das Gesetz über das Ausländerzentralregister
von 1994. Das Register wurde bereits 1953 zunächst als Karteikartensystem
eingerichtet und 1967 auf die moderne Datenverarbeitung umgestellt. Das
Ausländerzentralregister umfasst einen allgemeinen Datenbestand und
eine Visadatei. Der allgemeine Bestand erfasst Daten von Ausländern,
die nicht nur vorübergehend ihren Aufenthalt in Deutschland haben.
Daten werden auch in folgenden Fällen gespeichert: bei Asylanträgen,
Ausweisungen und Abschiebungen, bei Einreisebedenken oder bei Ausschreibungen
zur Festnahme. Daten von Ausländern, die ein Visum beantragen, werden
in der Visadatei erfasst. Diese enthält Angaben zur Person des Antragstellers
und die zuständige Auslandsvertretung. Das Ausländerzentralregister
wird von mehr als 5400 öffentlichen Stellen genutzt. Mehr als 27 000
Mitarbeiter in rund 1700 Verwaltungsstellen sind online mit dem Zentralregister
verbunden. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes
20 Millionen Fälle (Auskünfte, Meldungen) bearbeitet.