Stimmungsmache und mehr – GipfelgegnerInnen im Visier des Staates

Knapp fünf Monate vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm
bringen sich die staatlichen Akteure immer vernehm- und sichtbarer
an den Start. Der Landesverfassungsschutz in Berlin verbreitet etwa
eine "Lageanalyse" unter dem Titel "Linksextremistische
Protestvorbereitungen gegen den G8-Gipfel 2007" mit dem Zusatz
"Stand: Januar 2007", währenddessen in Bayern gleich eine härtere
Gangart eingelegt wird. Am 17. Januar durchsuchte ein Großaufgebot
der Polizei mehrerer linke Projekte in München. Der Vorwurf:
"Aufruf zu Straftaten". Fünf Tage später legten die KollegInnen der
politischen Polizei in Erlangen mit der Durchsuchung eines
selbstverwalteten Jugendzentrums nach.

 

Über 150 PolizistInnen und zwei StaatsanwältInnen waren in
München aufgeboten. Rund drei Wochen vor der jährlichen
NATO-Sicherheitskonferenz sperrten sie zum Teil ganze Straßen ab,
durchsuchten linke Projekte, Betriebe und Privatwohnungen der
Betreiber zweier Webseiten, beschlagnahmten mindestens zwölf
Computer und nahmen neun Menschen zur erkennungsdienstlichen
Behandlung mit. Gesucht wurden die Broschüre "In Bewegung bleiben –
Zwischenstand der Mobilisierung gegen die
NATO-Sicherheitskonferenz" und Flugblätter mit dem Aufruf "SIKO
& G8 angreifen".

Angeblich – so das Münchner Staatsschutzdezernat 14 – solle mit
beiden Schriften, "eine Vielzahl von Personen" dazu bewegt werden,
"dass der Flughafen Rostock-Laage am 5.6.2007 gestürmt wird". In
den inkriminierten Schriftstücken ist zwar von einer Blockade,
nicht aber von einer "Stürmung" des Flughafens die Rede. Mittels
eigenmächtiger und eigentümlicher Interpretation konstruierte der
Staatsschutz daraus – mit Segen der zuständigen
Ermittlungsrichterin – den Vorwurf des "Aufrufs zu Straftaten".

Auf welch wackliger rechtlicher Grundlage das Ganze steht, zeigt
ein Beschluss der selben Münchner Ermittlungsrichterin vom
19. Januar. Darin wird eine Beschlagnahmung der dritten
Ausgabe der Kampagnenzeitung G8Xtra abgelehnt. Der Aufruf zu
Blockaden könne keinesfalls als Androhung oder Aufruf zu Straftaten
gewertet werden, da auch straffreie Möglichkeiten der Blockaden,
"z.B. durch die schiere Menge an Gipfelgegnern", denkbar seien.

In verwegener Textinterpretation üben sich auch die Schlapphüte
des Berliner Verfassungsschutzes (VS). Auf acht Seiten machen sie
einen Rundumschlag über die linke Mobilisierung nach Heiligendamm –
unter spezieller Berücksichtigung Berliner Akteure, um angeblich
die "Gefahrenlage in Berlin" zu bewerten. (1) Besonderer
Aufmerksamkeit gilt den drei bundesweiten linken
Netzwerken/Bündnissen gegen den G8. Dabei kommen die
VS-"AnalytikerInnen" zu dem Ergebnis, dass die strategischen und
politischen Unterschiede der Gruppen zum Teil sehr groß seien, um
nichtsdestotrotz festzustellen, dass es allen darum geht, "den
Gipfel maßgeblich zu stören", auch wenn – wie sie einräumen – die
Form der Proteste noch gar nicht "spezifiziert" sei.

"Auch der Zusammenhang zu einer tatsächlich gewalttätigen Gruppe
ist schnell konstruiert", bringt die taz das Vorgehen des
Berliner VS auf den Punkt. "In einem Satz wird die Gruppe Libertad
zitiert, die bei den Protesten auf ein ,produktives Chaos` hofft.
Gleich im folgenden Absatz werden die tatsächlich verübten
Anschläge der Militanten Gruppe (mg) detailliert aufgezählt."
(taz Berlin lokal, 1.2.07)

Dass der Wind rauer wird, zeichnet sich seit geraumer Zeit ab.
Ende November 2006 trafen sich in Rostock-Warnemünde 50
PolizeiführerInnen und SicherheitsexpertInnen aus dem In- und
Ausland. Auf der internationalen Konferenz SECON MV 2006 ging es um
Sicherheitsfragen bei Großereignissen. Der Präsident des
Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, nutzte die Gelegenheit zur
Stimmungsmache. "Der G8-Gipfel ist ein Ereignis, das für
islamistische Terroristen interessant sein könnte", so der
BKA-Chef. Immerhin sei es das erste Zusammentreffen der G8 in
Deutschland nach dem 11. September 2001.

Als zweites, großes Gewaltpotenzial benannte Ziercke auf der
Tagung die Gegenaktionen der "linksextremen Szene". "Es gibt eine
breite, auch militante Kampagne gegen den Gipfel", stellte der
BKA-Präsident fest. "Wir müssen uns auf die entsprechende Planung
von Straftaten einstellen." Dabei gebe es eine zunehmende
Vernetzung zu Extremisten aus dem Ausland. Wie da im Hintergrund
gearbeitet wird, macht ein Bericht des Berliner Tagesspiegel
klar: Da hieß es in der Ausgabe vom 15. Januar: "Nach Erkenntnissen
deutscher Sicherheitsbehörden vernetzt sich die ETA zunehmend auch
europaweit mit linksextremistischen Terrorgruppen, die zum Beispiel
versuchen könnten, den bevorstehenden G8-Gipfel im Ostseebad
Heiligendamm zu stören." Beweise für diese abstruse Behauptung
bleibt man natürlich schuldig.

Ganz in diesem Sinne sprach Ziercke dann auch in
Rostock-Warnemünde von einer "Anti-Terrorstrategie", die die
Sicherheitsbehörden während des G8-Treffens umsetzen werden. Dass
heutzutage demokratischer Protest auf der Straße schon als
"Terrorismus" diffamiert wird, macht der Dreiklang aus
Einreisebeschränkung, Einsatz von szenekundigen BeamtInnen zur
Identifizierung von "Störern" und Einschränkung der
Bewegungsfreiheit im Inneren deutlich, mit dem diese
"Anti-Terrorstrategie" umschrieben wurde. Da wundert es auch nicht
mehr, dass der BKA-Chef davor warnte, eine vermehrte Zahl von
kriminellen Handlungen sei in nächster Zeit zu erwarten: "Die
bisherigen Straftaten geben Anlass zu größter Besorgnis." Schon
jetzt gebe es Farb- und Brandanschläge. Dass er gleichzeitig
einräumen musste, das Gewaltpotenzial beim G8-Treffen sei nicht
vorhersehbar, interessiert dann nicht mehr. Die Lageanalysen von
Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz entfalten wie gewünscht
ihre Wirkung.

mb.

Anmerkung:

1)
www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/verfassungsschutz/stand2005/lage_g8_2007.pdf

Quelle: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis
/ Nr. 514 / 16.2.2007