Bürgerrechtler kritisieren Bundesjustizministerin

Die Humanistische Union wirft Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vor,
in der Debatte um das heftig umstrittene Gesetz zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung
und zur Vorratsspeicherung von Telefon- und
Internetdaten viele Punkte beschönigt und das Ausmaß der neuen Befugnisse
falsch dargestellt zu haben. Die SPD-Politikerin, die im Vorfeld der
Entscheidung Kritikern wenig
Sachkunde und Panikmache
vorgeworfen hatte, habe selbst im Rahmen der Endabstimmung im Bundestag
über den Entwurf noch "eine ganze Reihe von Nebelkerzen" geworfen, moniert der Geschäftsführer der
Bürgerrechtsorganisation, Sven Lüders. Damit habe die Ministerin "das Ausmaß
der Überwachung des Kommunikationsverhaltens klein reden" wollen.

Falsch gewesen sei zum Beispiel die Behauptung Zypries‘, dass nur "für
Abrechnungszwecke gebrauchte" Daten künftig sechs Monate verdachtsunabhängig
vorgehalten werden müssten. Vielmehr seien bald etwa auch Verbindungsdaten
bei Flatrates sowie bei E-Mail-Diensten oder im Mobilfunk Standortdaten
sowie die Gerätenummern der Handys zu erfassen. Darüber hinaus würden selbst
Anonymisierungsdienste gezwungen, die IP-Adressen ihrer Nutzer
aufzubewahren. Nicht richtig sei auch die Ansage der Ministerin, dass es
einen Zugriff auf die Vorratsdaten nur bei einem "Verdacht auf eine
erhebliche Straftat" mit einem richterlichen Beschluss gebe. Vielmehr
dürften Strafverfolger auch bei Delikten wie einer Beleidigung am Telefon
oder Urheberrechtsverletzungen Zugang zu den Datenbergen verlangen. Bei
Gefahr im Verzug könne dies auch die Staatsanwaltschaft erlauben.

Für Geheimdienste würden offiziell zwar zunächst weiter nur
Auskunftspflichten und Zugriffsrechte auf die für Abrechnungszwecke
gespeicherten Verbindungsdaten bestehen. Kein Provider würde diese aber wohl
gesondert vorhalten, sodass de facto auch den Nachrichtendiensten der Zugang
zu den Vorratsdaten weit offen stehe. Auch über das manuelle
Auskunftsverfahren könnten diese allgemein an die Datenberge heran.

Weiter sieht Lüders zahlreiche Änderungen in den Regeln der Strafprozessordnung im Widerspruch zu den von Zypries genannten alleinigen "Verbesserungen" der Rechte der Bürger "im Hinblick auf Datenüberwachung oder Abhörmöglichkeiten". So setze die neue
Vorschrift etwa zur Standortdatenabfrage in Echtzeit keinen konkreten
Kommunikationsvorgang voraus. Somit könne der Aufenthaltsort eines
Mobiltelefons im eingeschalteten Zustand auch ohne Gesprächsführung oder den
Versand einer "stillen SMS" ermittelt werden. Gleiches gelte für Computer,
die sich über eine Netzwerkschnittstelle mit ihrer Umgebung verbinden.
Ferner dürften die Fahnder nun in der Praxis auch selbsttätig mit
entsprechender Technik Verbindungs- und Standortdaten erheben und sofort
auswerten. Der Umweg über teils widerspenstige Provider sei nicht mehr
nötig.

In Reihen der SPD wächst derweil der Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung. So hat der
Thüringer Landesverband einen Antrag verabschiedet, wonach die pauschale
Aufzeichnung der Nutzerspuren als "vollkommen unverhältnismäßig" und der
"Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung
und Weitergabe von Daten“ als Grundrecht verteidigt wird. Der Beschluss geht
nun an die Bundestagsfraktion und den Bundesvorstand. Der SPD-Ortsverein
Lobeda unterstützt zudem die Verfassungsbeschwerde gegen die Massendatenhaltung durch den Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung. (Stefan Krempl)/
(dz/c’t)

Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/99863