Infos frisch vom BKA

Ich hatte das große Glück, vor einer Woche einen Vortrag des Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes, Prof. Dr. Jürgen Stock,
hören zu dürfen. Der Vortrag war sehr interessant und informativ, und
ich möchte hier einen kurzen Überblick geben, da der Vortrag leider nur
in einem kleinen Rahmen stattfand. Bei dem Vortrag ging es um die
Kriminalitätsbekämpfung im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit.

Zunächst hat Prof. Stock deutlich gesagt, dass Deutschland eines der
sichersten Länder ist und die Kriminalität stetig zurückgeht. Der
Rückgang von 6,75 Mio. Delikten im Jahr 1993 auf 6,3 Mio. im Jahr 2006
wurde leider anhand eines Diagrammes gezeigt, dessen Y-Achse von 6 bis
7 Mio. ging – auf den ersten Blick sah es also so aus, als wäre die
Kriminalitätsrate um über 30% zurückgegangen. Die Jugendkriminalität
soll übrigens entgegen dem Eindruck, den man aus den Medien erlangen
könnte, eher abnehmen, dafür werden immer mehr Bagatellen auf dem
Rechtsweg gelöst (ein Kind, welches einem anderen beim Spielen im
Sandkasten die Schippe wegnimmt, begeht rein rechtlich gesehen unter
Umständen einen Raub).

Der Terrorismus hingegen nimmt zu, so soll es weltweit 2005 zu ca.
2000 Terroranschlägen gekommen sein, während es im Jahr 2001 “nur” ca.
700 waren. Der Großteil davon passiert aber in instabilen Ländern oder
in Afghanistan oder im Irak. In der EU soll es entweder 2005 oder 2006
(bin mir nicht mehr sicher) zu 500 Terroranschlägen gekommen sein.
Leider habe ich vergessen zu fragen, was dabei als Terroranschlag zählt
– schließlich wurden lange Zeit auch die von der “militanten gruppe”
angezündeten leeren Autos dazu gezählt. Es soll derzeit übrigens ca.
230 terrorbezogene Ermittlungen in Deutschland geben.

Noch viel interessanter aber war die Erwähnung der Tatsache, dass
fast jeder Mensch in seinem Leben irgendeine Straftat begeht. Wenn also
alle Straftaten bekannt würden, wäre das nicht unbedingt im Sinne der
Gesellschaft, da sowohl die Polizei überlastet würde als auch fast
jeder betroffen wäre.

Weiterhin wurde erwähnt, dass bei einer repräsentativen Umfrage die
deutsche Bevölkerung ein hohes Vertrauen gegenüber der Polizei hatte –
mehr, als gegenüber dem Bundespräsidenten oder dem
Bundesverfassungsgericht (wobei ich allerdings davon ausgehe, dass das
auch am mandelnden Bekanntheitsgrad bzw. Mangel an Sichtbarkeit in der
Öffentlichkeit liegen könnte – die Polizei kennt jeder und sieht jeder
oft, den Bundespräsidenten hingegen weniger).

Als großes Problem wurde die zunehmende Internetkriminalität
dargelegt. Dabei geht es aber nicht (nur) um ein paar
eBay-Betrügereien, sondern eher um gezielte DDoS-Angriffe (bei denen
Kriminelle fremde Server überlasten, meist wird dann Geld erpresst) und
ähnliche Aktivitäten großen Ausmaßes.

Sehr begrüßenswert fand ich, dass Prof. Stock selbst bei den
Personen, die im September mit einigen hundert kg Wasserstoffperoxid in
Oberschledorn aufgegriffen wurden, (sinngemäß) von “mutmaßlichen
Terroristen” sprach, also die Unschuldsvermutung hochhielt –
schließlich sind diese Personen noch nicht verurteilt. Insbesondere in
diesem Fall hat es mich sehr positiv überrascht – bleibt zu hoffen,
dass es beim BKA und in der Politik noch viele solcher Menschen gibt.

Die “homegrown terrorists”, also erst in Deutschland radikalisierte
Menschen, sollen nicht nur aus eher fundamentalistischen, schlecht
integrierten Kreisen stammen, sondern oft auch vorher gemäßigte, gut
integrierte Bürger gewesen sein. Das bedeutet dann wohl, dass jeder ein
potentieller Terrorist ist.

Auch das Thema Internet, auch bekannt als “Fernuniversität des
Terrors”, wurde aufgegriffen. Diesen neuen “Fachbegriff” für das Netz
hat Prof. Stock auch angemessen gewürdigt, nämlich dargelegt, was es
für eine Übertreibung sei. Das Internet wurde wiederholt als eine sehr
gute Einrichtung bezeichnet, auch wenn Terroristen darüber
Bomebenbaupläne bekommen können, wie es wohl im Kofferbomber-Fall
passiert ist. (Dabei möchte ich nochmals daran erinnern, dass die
Kofferbomben nicht funktionstüchtig waren – das kommt davon, wenn man
jeden Scheiß, den man im Internet findet, gleich nachbauen muss, und
das ist der Grund, warum ich nicht besonders viel Angst vor Terroristen
habe, die sich ihre Bastelanleitungen aus dem Netz holen – eine nicht
zu unterschätzende Gefahr dürfte aber darin liegen, dass sie sich bei
der Herstellung versehentlich selbst in die Luft jagen und noch ein
paar Nachbarn mitnehmen.)

Genauer erläutert wurde auch die Trennung zwischen den
Geheimdiensten (BND, Verfassungsschutz, MAD) und den Polizeibehörden –
obwohl eine strikte organisatorische Trennung herrscht, wird ein sehr
reger Datenaustausch betrieben, z. B. auch über das “Gemeinsame
Terrorabwehrzentrum” und die Anti-Terror-Datei oder europaweit über das
Schengener Informationssystem. Wie stark das jetzt in die – übrigens
nicht im Grundgesetz verankerte – Trennung zwischen Polizei und
Geheimdiensten verletzt, die aufgrund von schlechten Erfahrungen
eingeführt wurde, muss jeder selbst entscheiden. Es werden sicher nicht
Polizei und Geheimdienst zusammengelegt, allerdings entsteht schon eine
gewisse Kooperation.

Sehr interessant fand ich die Aussage, dass die USA Fahndungsdaten
nur bekommen, wenn sie versichern, die unter Zuhilfenahme solcher Daten
gefassten Täter nicht zum Tode zu verurteilen. Allerdings empfand ich
diese Betonung, dass Deutschland auf seinen Werten auch gegenüber den
USA beharrt, nicht wirklich als zufriedenstellende Antwort auf die
Frage, ob denn durch die Anti-Terror-Maßnahmen nicht die Gesellschaft,
die damit geschützt werden soll, zerstört wird. (Stichwort “Freiheit zu
Tode schützen”)

Einsehen musste allerdings auch ich, dass präventive Maßnahmen, so
unschön sie sein mögen, gegen den Terror wohl leider unerlässlich sind.
Einem Selbstmordattentäter ist es weitgehend egal, dass auf Mord eine
lebenslange Haftstrafe steht.

Die Statistik des DNA-Abgleichs mit den Datenbanken aus Österreich
fand ich auch sehr interessant: Von ca. 2000 Treffern (die teilweise
Spuren einer anderen Person, teilweise aber auch nur anderen Spuren
zuordneten) entfielen ca. 120 auf schwere Verbrechen wie
Tötungsdelikte, gemeingefährliche Straftaten, Entführungen etc. – der
Rest entfiel zu einem großen Teil auf Diebstähle und ähnliche
Straftaten.

Zum Thema “Bundestrojaner” gab es ebenfalls Informationen. Auf die
Frage, warum das Teil weiterentwickelt wird, obwohl es offiziell noch
nicht beschlossen sei, und ob es inoffiziell vielleicht nicht doch
schon beschlossen ist, gab es leider wie erwartet nur die Antwort, die
man auch in den Medien zu hören bekommt: Das BKA will für den Fall,
dass die Erlaubnis eintrifft, schon vorbereitet sein. (Schade aber,
dass so Steuergelder verpulvert werden, wenn die Erlaubnis nicht
erteilt wird, und vor allem, dass so Tatsachen und
Missbrauchsmöglichkeiten – z. B. illegale Benutzung – geschaffen
werden.)

Für das Onlinedurchsuchungs-Gesetz aus NRW gab Prof Stock eine
negative Prognose ab, da es schlecht gemacht sei. Dennoch zeigte er
sich zuversichtlich, was den bundesweiten Bundestrojaner betrifft,
allerdings nur unter strengen Auflagen (Richtervorbehalt, nur bei
schweren Straftaten, etc.). Er betonte nochmals die Notwendigkeit von
Online-Durchsuchungen, weil bereits im Oberschleedorn-Fall viele Beamte
gebunden waren, oft die Gefahr herrschte, die Täter zu verlieren und
diese die Beobachtung durch die Polizei sogar bemerkt und ignoriert
haben sollen.

Schön fand ich das “Geständnis”, dass gegen moderne
Verschlüsselungsmethoden das BKA kaum Chancen hat, und das es
aussichtslos ist, das Internet zensieren zu wollen (eine Einsicht, die
sich leider noch nicht weit genug herumgesprochen hat).

Als Prof. Stock erwähnte, dass die Bezeichnung “Bundestrojaner”
eigentlich falsch sei und der korrektere und bessere Begriff “Remote
Forensic Software” lauten würde, überraschte mich das größtenteils aus
nicht sehr IT- und internetnahen Menschen bestehende Publikum positiv
mit lautem Gelächter.

Äußerst bedenklich fand ich allerdings einige Äußerungen aus dem
Publikum, welches durchaus aus nicht gerade dummen oder ungebildeten
Leuten bestand – da wurden Forderungen nach Zensur laut, der
Föderalismus solle aufgegeben werden, da er die Anti-Terror-Maßnahmen
behindern könne, und um Leben zu retten wäre ja jedes Mittel recht,
Unschuldige hätten ja nichts zu verbergen. Sehr begrüßenswert fand ich
die Reaktion von Prof. Stock auf diese Äußerungen, der diese
Forderungen zurückwies und dagegen argumentierte. Er kritisierte dabei
die “Dammbruchgefahr” sowohl durch die “Nichts zu verbergen”-Schreier
als auch durch Projekte wie z. B. den Gesichtserkennungs-Versuch am
Bahnhof in Mainz (der übrigens zum Glück gründlich misslang).

Ebenfalls positiv empfand ich, dass erwähnt wurde, dass immer auch
Unschuldige mit überwacht und/oder ausgeforscht werden, wenn sie ohne
es zu wissen mit einem Terrorverdächtigen Kontakt hatten und dessen
Umfeld geprüft wird. Mindestens genauso gefiel mir die Aussage, dass
das BKA kein Interesse daran hätte, die Vorratsdaten für minder schwere
Fälle einzusetzen (es sei hier nochmal daran erinnert, dass die meisten
Menschen sich irgendwann irgendwie strafbar machen) – die Entscheidung
des Gesetzgebers, den Zugriff auf die Vorratsdaten zur Aufkärung aller
mittels Telekommunikation begangener Straftaten (also auch z. B.
Beleidigungen per E-Mail oder Urheberrechtsverletzungen) kommentierte
Prof. Stock damit, dass dies möglicherweise ein korrekturbedürftiger
Fehler sei, den er sich nur durch die vergleichsweise geringe
Eingriffstiefe erklären konnte (da “nur” die Verbindungsdaten und keine
Inhalte erfasst werden). Ebenso begrüßenswert fand ich, dass klar
wurde, dass er durchaus die Bürgerrechte berücksichtigte und ihm einige
Einschränkungen selbiger sichtlich missfielen.

Weniger schön fand ich hingegen die Äußerung, dass die
Online-Durchsuchung wünschenswert sei, weil sie verdeckt ist (und nicht
nur, weil man so an verschlüsselte Daten kommt). So ein klares
Bekenntnis zu geheimen Durchsuchungen hätte ich nicht erwartet, da das
ein grundlegendes Prinzip unseres Rechtsstaats auf den Kopf stellt. Auf
den Hinweis, dass die Forderung nach verdeckten physikalischen
Durchsuchungen da naheliegend sei, gab es eine quasi-Bestätigung und
die Aussage, dass es politisch ja ungeschickt wäre, zu viel auf einmal
zu fordern. (Geheime Durchsuchungen sind in Deutschland aufgrund der
Erfahrungen mit der Stasi 1.0 nicht erlaubt.) Offenbar ist diese
Meinung beim BKA nicht sehr verbreitet, denn genau diese Forderungen wurden gestern bekannt. Das Ganze hinterlässt daher einen sehr fahlen Nachgeschmack, genauso wie die Aussage, der Bundestrojaner sei vorerst nur gegen den Terrorismus gerichtet. Mal schauen, wie lange sich Schäuble an seine Aussage, die Onlinedurchsuchung nicht für die Steuerfahnung zu nutzen, noch erinnern kann.

Zum Fall rund um Andrej Holm und die “militante gruppe” erhielt ich
leider keine Stellungnahme, da es sich um ein laufendes Verfahren
handelt.
Der Vortrag und vor allem die (leider natürlich aufgrund der
interessanten Themen nicht ausreichend lange) Möglichkeit, Fragen zu
stellen, war sehr interessant, sehr überzeugend und erlaubte es mir,
mich auch mal in die Position des BKA zu versetzen. Leider habe ich zu
meinem großen Missfallen aber inzwischen gelernt, dass sich Worte und
Taten oft unterscheiden.

Quelle: http://janschejbal.wordpress.com/2007/12/13/infos-frisch-vom-bka/