BKA will für Online-Razzien in die Wohnungen Verdächtiger

[heise] Der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, pocht auf einer
Lizenz zur Installation des "Bundestrojaners" auf Zielrechnern
Verdächtiger direkt vor Ort. "Natürlich wünsche ich mir eine Regelung,
um Wohnungen betreten zu können", sagte der Präsident der Wiesbadener Behörde gegenüber der Welt.
An dieser Frage könne sich die Effektivität heimlicher
Online-Durchsuchungen entscheiden. Zugleich bezeichnete es Ziercke als
"unlogisch", dass Ermittler für den großen Lauschangriff in den
Wohnraum "hineindürfen", bei der Netzüberwachung dagegen nicht. In
Berlin wird der Unterschied unter anderem mit dem neuen Grundrecht auf Integrität und Vertraulichkeit von IT-Systemen
begründet, welches das Bundesverfassungsgericht im Februar aufstellte
und sich dabei direkt auf den Schutz der Menschenwürde bezog.

Technisch will das BKA Ziercke zufolge mit Inkrafttreten des entsprechendes Gesetzes zur Novelle der Befugnisse
der Polizeibehörde in der Lage sein, Computer auszuspähen. "Damit nicht
jede Behörde für sich technisch aufrüsten muss, planen wir ein rein
technisches Servicezentrum und ein Kompetenzzentrum von BKA,
Bundespolizei und Nachrichtendiensten", kündigte Ziercke an. Dabei
werde das Gebot der Trennung zwischen Kompetenzen von Ermittlern und
Geheimdienstlern aber "natürlich strikt eingehalten". Die Überlegungen
von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Einrichtung einer Bundesabhörzentrale nach Vorbild des technischen US-Nachrichtendienstes National Security Agency (NSA) sind Ziercke nach eigenen Angaben unbekannt.

Generell verteidigte Ziercke den Entwurf für das neue BKA-Gesetz, der am Mittwoch im Kabinett ohne große Änderungen beschlossen
werden soll. Korrekturwünsche aus der SPD-Bundestagsfraktion
bezeichnete er als nicht nachvollziehbar. "Man kann über einige Punkte
sicher noch reden, aber aus meiner Sicht sind das keine gravierenden
Änderungsvorschläge." Anders als der SPD-Rechtsexperte Klaus Uwe
Benneter sehe er auch keine "Grausamkeiten" in dem Vorschlag, "sondern
einen deutlichen Zugewinn an Rechtsstaatlichkeit bei der
Gefahrenabwehr". Es würden Dinge umgesetzt, die in den
Landespolizeigesetzen längst Standard seien. "Verfeinert" würden diese
durch die Einarbeitung der jüngsten Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts", erklärte das langjährige SPD-Mitglied.
"Mehr geht nicht." Die Zahl terroristischer "Gefährder" hierzulande gab
Ziercke als zweistellig an, "mit steigender Tendenz".

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier,
bemühte derweil auf einer Tagung in Tutzing am Freitag den
niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza zur Betonung des
Hinweises, dass "der Zweck des Staates in Wahrheit die Freiheit ist".
Der Staat dürfe und müsse "terroristischen Bestrebungen – etwa solchen,
welche die Zerstörung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
zum Ziel haben und die planmäßige Vernichtung von Menschenleben als
Mittel zur Verwirklichung dieses Vorhabens einsetzen – mit den
erforderlichen rechtsstaatlichen Mitteln wirksam entgegentreten", heißt
es in einer Dokumentation des Vortrags. Auf diese Mittel habe sich der Staat unter dem Grundgesetz jedoch auch zu beschränken.

"Die Grundrechte sind dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des
Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind
Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat", betonte Papier. Die sich aus
dem Grundgesetz ergebenden staatlichen Schutzpflichten seien dagegen
prinzipiell unbestimmt. Die Wahl könne so immer nur auf solche Mittel
fallen, die mit der Verfassung in Einklang stehen. Dabei gebe es zwei
Schranken: die absolute der Menschenwürdegarantie, die etwa im Schutz
des Wohnraums und des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie
teils im Telekommunikationsgeheimnis sowie im neuen digitalen
Grundrecht berührt werde, und der nicht weniger eng gefasste Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit. "Nicht alles, was technisch machbar ist, muss
auch rechtlich erlaubt sein", gab der Verfassungshüter dem Gesetzgeber
noch mit auf den Weg. Der Staat müsse vor allem Freiheit ermöglichen. (Stefan Krempl) /
(vbr/c’t)

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