Bedenken gegen „Rasterfahndung“ im Holzklotz-Fall

[heise.de] Die Ermittler im Oldenburger Holzklotz-Mord sollen anhand gespeicherter
Verbindungsdaten bis zu 10.000 Menschen und knapp 13.000
Handy-Gespräche oder Kurzmitteilungen in ihr Fahndungsnetz einbezogen
haben. Dies berichtet der Spiegel
in seiner aktuellen Ausgabe. Der Fall zeige, wie selbstverständlich
sich Staatsanwaltschaft und Polizei inzwischen der massenhaften
Auswertung von Telefondaten bedienen würden und es dabei mit den
gesetzlichen Auflagen etwa in der Strafprozessordnung nicht allzu genau
nähmen.

Dem Bericht zufolge beantragten die Beamten bereits am Morgen nach
der Attacke an der Autobahnbrücke, bei der eine Frau tödlich verletzt
wurde, den Zugriff auf sämtliche möglicherweise relevanten
Verbindungsdaten. Der Tatort sei einem Sendemast zugeordnet und alle
Mobiltelefone in einem Bereich von 1,3 Kilometern nördlich der Brücke
und 1,8 Kilometern in westlicher Richtung seien einbezogen worden.
Jedes Gespräch oder jede SMS, die am Unglückstag am 23. März zwischen
17 und 22 Uhr in diesem Gebiet geführt wurden, seien erfasst worden. Es
seien Beschlüsse zum Abhören der Telekommunikation ohne jede Begründung
und ohne jeden Erfolg ergangen.

Experten haben große Zweifel, ob die Abfrage und Auswertung von
Verbindungs- und Standortdaten gesetzlich als
Standardermittlungsmaßnahme vorgesehen ist. In den Anfang 2008 in Kraft
getretenen Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung etwa heißt es, dass
ein Zugriff auf die sensiblen Informationen nur bei einem durch
bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht erfolgen darf, dass jemand
eine schwerwiegende Straftat begangen habe. Den Oldenburger
Kriminalbeamten reichte offensichtlich die reine Annahme aus, dass der
Täter über sein Handy kommuniziert haben könnte.

"Die juristische Grundlage der Strafprozessordnung erfordert nach
meiner Interpretation einen Anfangsverdacht, um die Verkehrsdaten von
Teilnehmern erheben zu dürfen", hält dem Andy Müller-Maguhn vom Chaos
Computer Club (CCC) entgegen. Der Hacker hat den Fall für eine
Anwaltskanzlei als technischer Sachverständiger untersucht. Zu den
fachspezifischen Details darf er zunächst nichts sagen, da es sich um
ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt. Es erscheine ihm aber
allgemein legitim die Frage zu stellen, "ob die reine Anwesenheit in
zeitlicher wie räumlicher Umgebung eines Tatortes ausreicht, um einen
Tatverdacht gegen alle Teilnehmer von Telekommunikationsverbindungen zu
stellen". Würde man dies gelten lassen, wäre "die Unschuldsvermutung de
facto aufgehoben".

"Verbindungsdaten fallen prinzipiell nur bei einem aktiven oder
passiven Kommunikationsvorgang an, nicht aber bei einem reinen
Einbuchen ins Netz", will sich Müller-Maguhn gegenüber heise online
nicht Vermutungen anschließen, dass auch die Standortdaten nicht
benutzter Handys erfasst und gespeichert worden seien. "Allerdings sind
auch ankommende SMS-Nachrichten oder andere Datenverbindungen
Kommunikationsvorgänge, die als solche erfasst werden."

"Im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung wird die im Rahmen des
Kommunikationsvorganges genutzte Funkzelle und der jeweilige
geographische Sektor, der sich aus dem Antennenabstrahlwinkel ergibt,
bei Beginn des Gespräches protokolliert", erläutert der Experte weiter.
Die Genauigkeit der Ortung ergebe sich dabei nicht nur aus der Größe
der Funkzelle und des Antennensektors, sondern sei auch im Kontext von
Witterung und veränderter Bebauungssituation zu sehen. Durch die
Auswertung der Verbindungs- und Standortdaten bekomme man zunächst nur
einen Anhaltspunkt, wer sich wo ungefähr aufgehalten haben könnte. Um
einen solchen möglichen Beleg mit der gebotenen forensischen Sicherheit
als Beweismittel nutzen zu können, sei es erforderlich, die genauen
Umstände der Datenermittlung zu prüfen.

Von einer "rechtlichen Grauzone" und einem "Bereich, der juristisch
nicht wirklich definiert ist", spricht laut dem Magazin auch der
Bielefelder Staatsrechtsprofessor Christoph Gusy. In der Rechtsprechung
finde sich der Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit, die gewahrt bleiben
müsse. Treffe ein Ermittlungsschritt zu viele unbeteiligte Personen,
sei die Handy-Datenabfrage unrechtmäßig. Die Bestimmungen in der
Strafprozessordnung sind Gusy zufolge nicht für die praktizierte Form
der "Breitbandaufklärung" geschaffen.

Die Telefondaten des mutmaßlichen Täters, Nikolai H., prüfen die
Beamten dagegen angeblich erst, nachdem der Aussiedler auf der Wache
erschienen war und die Möglichkeit des Verbleibs seiner DNA-Spuren auf
dem Holzstück zu erklären suchte. Zur ungefähren Tatzeit sollen sie
einen Eintrag für ein von seinem Handy geführtes Gespräch im Umkreis
der Brücke gefunden haben. Der drogenabhängige Verdächtige habe nach
einem Verhör auf Entzug ein Geständnis abgelegt, dieses später aber
widerrufen. Seine Anwälte wollen sich nun gegen die "rechtsstaatlich
nicht korrekte" Ermittlungstaktik der Polizei wehren. (Stefan Krempl) /
(vbr/c’t)

Source: www.heise.de