Mit militärischen Mitteln

[german-foreign-policy.com]
Die Bundesregierung legalisiert den "Einsatz militärischer Mittel" im
Inland. Wie das Innen- und das Justizministerium am gestrigen Montag
übereinstimmend mitteilten, haben sich die Regierungsparteien in Berlin
auf eine entsprechende Änderung von Artikel 35 des Grundgesetzes
geeinigt. Demnach wird die Bundeswehr künftig im Falle nicht näher
definierter "besonders schwerer Unglücksfälle" auf deutschem
Territorium operieren dürfen – zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Die
Intervention kann vom Bundeskabinett, bei "Eile" vom
Verteidigungsminister allein angeordnet werden. Damit treibt Berlin die
Entgrenzung militärischer, polizeilicher und geheimdienstlicher
Aktivitäten voran, die bislang vor allem bei Polizeien und
Geheimdiensten forciert worden ist. Erst vor wenigen Tagen enthüllten
Berichte die Dimension, welche die Zusammenarbeit von Bundeskriminalamt
(BKA), Bundespolizei sowie Inlands- und Auslandsgeheimdienst inzwischen
erreicht. Auch das BKA-Gesetz, das in Kürze verabschiedet werden soll,
wird wegen Verstoßes gegen das Trennungsgebot scharf kritisiert. Auf
aktuelle polizeilich-militärische Zusammenarbeit weist eine soeben
erschienene Publikation hin. Kooperation und umfassende Verschmelzung
sämtlicher deutscher Repressionsapparate im In- und Ausland bilden die
Grundlage für eine flexible Bekämpfung von Unruhepotenzialen in aller
Welt.

 

Sämtliche Waffengattungen
 

Die Bundesregierung bereitet zur Legalisierung von
Militäreinsätzen im Inland eine Änderung von Artikel 35 des
Grundgesetzes vor. Demnach soll der Artikel, der die Amts- und
Katastrophenhilfe regelt, um zwei Absätze ergänzt werden. "Reichen zur
Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls polizeiliche Mittel nicht
aus, kann die Bundesregierung den Einsatz von Streitkräften mit
militärischen Mitteln anordnen", heißt es in dem Gesetzentwurf. Dabei
ist Berlin gegenüber den Bundesländern weisungsbefugt. Bei "Gefahr im
Verzug" kann der Verteidigungsminister allein über die
Militärintervention entscheiden. Berichten zufolge muss der
"Unglücksfall" nicht eingetreten sein oder unmittelbar bevorstehen; es
genügt, wenn "Indizien" für einen Anschlag vorliegen.[1] Eine
Einschränkung der "militärischen Mittel" wird offenbar nicht
vorgenommen. Demnach können bei Bedarf sämtliche Waffengattungen, über
die die Bundeswehr verfügt, im Inland eingesetzt werden. Ein
Parlamentsbeschluss ist nicht nötig.
 

Von gestern
 

Mit der Öffnung des deutschen Hoheitsgebietes für
Operationen der deutschen Streitkräfte treibt Berlin die Entgrenzung
von militärischen, polizeilichen und geheimdienstlichen Aktivitäten
voran. Die Trennung zwischen innerer und äußerer Repression sei "von
gestern", hatte Bundeskanzlerin Merkel bereits im Juli 2007 erklärt.[2]
Abgesehen vom Luftsicherheitsgesetz, dessen Bundeswehr-Paragraphen (§
14 Absatz 3) das Bundesverfassungsgericht vor über zwei Jahren
kassierte [3], kam es in diesem Zusammenhang vor allem zur
Kompetenzerweiterung bei den Polizeien. Jüngstes Beispiel ist das
BKA-Gesetz, das in Kürze verabschiedet werden soll. Es verleiht dem
schon lange auch im Ausland tätigen BKA präventive Kompetenzen, mit
denen es "dem Verfassungsschutz ins Gehege kommen kann", warnt der
Publizist Dieter Schenk im Gespräch mit german-foreign-policy.com.
Zudem hebelt es de facto die Polizeihoheit der Bundesländer aus –
mittels weitreichender Rechte bei der sogenannten Gefahrenabwehr.[4]
Der entstehende Inlands-Repressionsapparat sei deshalb in mehrfacher
Hinsicht "verfassungswidrig", kritisieren Abgeordnete der Opposition.[5]
 

Von allen durchleuchtet
 

In die zunehmende Entgrenzung polizeilicher und
geheimdienstlicher Aktivitäten ist auch die deutsche Auslandsspionage
einbezogen. Dies belegt ein Bericht über das "Gemeinsame Analyse- und
Strategiezentrum illegale Migration" (GASIM). Die Einrichtung, die vor
zwei Jahren ihre Tätigkeit aufgenommen hat, dient offiziell der Abwehr
unerwünschter Einwanderer. In ihr kooperieren Mitarbeiter von
Bundespolizei und BKA mit geheimdienstlichem Personal
(Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst).[6] Interne Dokumente
sowie Aussagen von Insidern lassen erkennen, wie dort Spionage und
Polizeitätigkeit ineinanderfließen. Demnach werden etwa BND-Hinweise
"einfach auf den Schreibtischen der Polizei abgelegt", Polizisten
recherchieren dann "in den eigenen Datensystemen zu diesen
Personen".[7] Selbst "auf vage Verdächtigungen hin", heißt es, "werden
auch Deutsche (…) von allen beteiligten Behörden durchleuchtet". Die
Kooperation erstreckt sich auch auf operative Maßnahmen. "Das heißt",
berichtet ein GASIM-Insider über die gemeinsame Arbeit von Polizei und
Diensten, "dort werden Informationen angereichert, Ermittlungsverfahren
vorbereitet, teilweise sogar begleitet und mit Polizeidienststellen
weitere Ermittlungsschritte geplant."
 

Spionagesatelliten
 

Der Insider-Bericht über das GASIM verstärkt
Befürchtungen, laut denen die polizeilich-geheimdienstliche Kooperation
auch im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ, Berlin-Treptow)
gegen das Trennungsgebot verstößt.[8] Zudem geraten auch die Grenzen
zwischen dem BKA, das im Rahmen von GASIM und GTAZ offiziell mit
Inlands- und Auslandsspionage zusammenarbeitet, und dem Militär ins
Schwimmen. Der Publizist Dieter Schenk, der mit mehreren kritischen
Analysen über das BKA hervorgetreten ist, spricht in seiner jüngsten
Publikation von einer "Vereinheitlichung polizeilich-militärischer
Ressourcen".[9] Wie Schenk berichtet, hat das BKA im Juni 2005 eine
Kooperation mit dem Zentrum für Transformation der Bundeswehr
vereinbart – um "interdisziplinär vernetzte Analysen über die Ursachen,
Ausprägungen, Konsequenzen sowie Bekämpfungsmöglichkeiten von
Bedrohungen" zu erstellen. Dabei geht es unter anderem um
Aufklärungsbilder von Spionagesatelliten der Bundeswehr, die das BKA
"zur Erstellung von Gefährdungsanalysen oder für polizeiliche
Überwachungsmaßnahmen" nutzen will.[10]
 

Militäraufgaben
 

Während dies offenkundig der Repression im Inland
dient, hat der BKA-Präsident auch die Zusammenarbeit mit dem Militär in
von Deutschland besetzten Gebieten im Blick. Demnach könnten
Polizeikräfte dort die Besatzungstätigkeit der Bundeswehr unterstützen
und dabei "Teile der Infrastruktur der Bundeswehr, wie
Kommunikationsmittel, Schutzwesten, Transportlogistik nutzen".[11]
Insgesamt müssten "polizeiliche und militärische Ressourcen auf dem
Feld der strategischen Planung gezielt aufeinander abgestimmt werden".
Ähnliches hatte bereits Christian Schmidt, Parlamentarischer
Staatssekretär beim Bundesministerium der Verteidigung, verlangt. "Eine
betonierte Trennung von äußerer und innerer Sicherheit ist nicht mehr
aufrechtzuerhalten", hatte Schmidt schon vor Jahren erklärt; die
Polizei müsse bereit sein, künftig "typische Militäraufgaben in
Auslandseinsätzen, zum Beispiel auf dem Balkan, wahrzunehmen".[12]
 

Flexibel
 

Die Entgrenzung militärischer, polizeilicher und
geheimdienstlicher Tätigkeiten, die in den deutschen Besatzungsgebieten
erkennbar fortschreitet [13], schlägt mit dem BKA-Gesetz und mit der
Legalisierung militärischer Gewalt im Inland auf deutsches
Hoheitsgebiet zurück. Damit wird künftig auch innerhalb Deutschlands
möglich, was bislang in Südosteuropa und Afghanistan mit wechselndem
Erfolg praktiziert wird: Die flexible Bekämpfung unterschiedlichster
Unruhepotenziale auf der Basis geheimdienstlicher Erkenntnisse mit den
jeweils adäquat erscheinenden Mitteln – von polizeilichen Instrumenten
bis zu schwerem Militärgerät.
Bitte lesen Sie auch unser Interview mit Dieter Schenk sowie unsere Rezension seines soeben erschienenen Bandes BKA – Polizeihilfe für Folterregime.
 

[1] Bundeswehr gegen den inneren Feind; taz 05.10.2008
[2] Einsatz der Bundeswehr im Inneren?; www.tagesschau.de 02.07.2007
[3] s. dazu Freie Fahrt für die "zivil-militärische" Bundeswehr und Klarstellung
[4] "Das Bundeskriminalamt kann die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des
internationalen Terrorismus wahrnehmen, in denen eine
länderübergreifende Gefahr vorliegt" (§ 4a, Absatz 1 BKA-Gesetz).
[5] Widerstand gegen BKA-Gesetz. Warnung vor deutschem FBI; n-tv 16.09.2008
[6] s. dazu Lagebilder
[7] Was passiert in Schäubles Vorzeigeprojekt "GASIM"?; Report Mainz 29.09.2008
[8] s. dazu Alle Kräfte bündeln
[9], [10], [11] Dieter Schenk: BKA – Polizeihilfe für Folterregime, Bonn 2008
[12] Martina Harder: Polizeisoldaten; Wissenschaft und Frieden 4/2006. S. auch Sammelrezension: Polizeisoldaten
[13] s. dazu Paramilitärs, Söldner und Spezialkommandos

Source: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57357