Präsident Ziercke wirbt in Altenholz für Rasterfahndung und Online-Durchsuchung

BKA warnt: „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“

[segeberger-zeitung.de] Das Internet ist nach Überzeugung des Bundeskriminalamtes der Tatort der Zukunft.

Um die Täter zu überführen, brauche die Polizei neue Ermittlungsmethoden und mehr Befugnisse, sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke gestern in Altenholz.

Am 31. Juli 2006 entging Deutschland nur knapp einem verheerenden Terroranschlag. Zu diesem Fazit kamen die Richter des Oberlandesgerichts Düsseldorf zweieinhalb Jahre später, als sie die Kofferbomber von Köln wegen versuchten vielfachen Mordes zu langjährigen Haftstrafen verurteilen. Youssef El Hajdib, der in Kiel Elektrotechnik studierte, und sein Komplize Jihad Hamad hatten im Kölner Hauptbahnhof zwei Kofferbomben in Regionalzügen deponiert. Die Sprengsätze, die sie nach Anleitungen aus dem Internet gebaut hatten, explodierten nur deshalb nicht, weil das Gemisch nicht explosionsfähig war – ein glücklicher Zufall für Hunderte, vielleicht Tausende Menschen, die sonst wahrscheinlich getötet worden wären.

Dies ist nur der brisanteste von Zehntausenden Fällen jährlich, in denen sich die Täter des Internets bedienen. Und der Terrorismus nur das gefährlichste Feld der Internet-Kriminalität: Phishing, also der Versuch, über gefälschte Internet-Adressen an Daten der Nutzer zu gelangen, Kreditkarten-Kriminalität, Wirtschaftsspionage, Kinderpornografie, politischer Extremismus und organisierte Kriminalität finden zu einem großen Teil in den neuen Medien statt oder werden dort vorbereitet.

Die Steigerungsraten sind alarmierend: Die Internet-Kriminalität stieg in den vergangenen sieben Jahren um über 60 Prozent. Die Täter sind hoch spezialisiert und auf dem neuesten Stand der Technik: So versuchen Räuber kaum noch wie früher, über Emails an die Bankdaten ihrer Opfer zu kommen, sondern indem sie Computer mit Schadstoff-Software – so genannten Trojanern – infizieren und das ITAN-Verfahren für Überweisungen knacken. Allein 2008 ermittelte das BKA 1800 Fälle dieser Art von „Phishing“.

Beispiel Kreditkarten-Betrug: Wurden 2001 noch 28 Fälle gezählt, waren es 2008 schon 809 Fälle – entstandener Schaden: rund 40 Millionen Euro. Nicht zu beziffern ist der Vertrauensverlust bei den Kunden, die sich nicht sicher sein können, ob beim Überweisungsvorgang am Terminal eine rechtswidrig installierte Minikamera mitläuft und Aufsätze auf der Tastatur oder am Kartenschlitz Daten abgreifen. Beispiel Kinderpornografie: Das Internet ermöglicht ein ganz neues Betätigungsfeld für Pädophile. Auch deshalb dürfte das Durchschnittsalter der Opfer gesunken sein: Jedes fünfte missbrauchte Kind in Deutschland ist inzwischen jünger als drei (!) Jahre.

Das „digitale Zeitalter der Kriminalität“ erfordere völlig neue Ermittlungsmethoden und Hilfsmittel der Strafverfolgung. Zwar wurden Rasterfahndung und Online-Durchsuchung unter strengen Auflagen mit der Reform des BKA-Gesetzes seit Jahresbeginn erlaubt, doch sind sie unter Datenschützern weiter umstritten und Klagen bei Gericht anhängig. Wer diese Ermittlungsmethoden ablehne, der müsse zugeben, dass ein weiter Bereich der Kriminalität in Deutschland nicht verfolgt werde, warnte Ziercke gestern auf einer Fachtagung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und des Fachbereichs Polizei der Verwaltungsfachhochschule Altenholz. Ziercke: „Wir brauchen das Internet – aber es darf kein rechtsfreier Raum sein.“

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