Tarnkappe gegen Videoüberwachung

System entfacht neue Diskussion über Datenschutz und Privatsphäre – Gesichter werden automatisch unkenntlich gemacht

[derstandard.at] Die
zunehmende Überwachungstätigkeit von staatlichen Behörden aber auch von
Privaten stößt bei Datenschützern auf herbe Kritik. Ein Forscher der Hewlett-Packard Labs 
hat nun eine mögliche Lösung vorgestellt, die Gesichter von Menschen
auf den Aufnahmen automatisch unkenntlich macht. Ein entsprechendes
System hat Jack Brassil vorgestellt. Was zuerst äußerst
datenschutzfreundlich klingt, hat jedoch auch einen Haken. Denn damit
Brassils System weiß, welches Gesicht verzerrt werden soll, müssen sich
die betreffenden Personen zuvor registrieren lassen und schließlich
ihre per GPS ermittelte Position laufend an das Kameranetzwerk melden.

Cloak

Brassil nennt seine Entwicklung "Cloak". Sie soll eine digitale
Tarnkappe bilden, die den Träger vor Kameras im öffentlichen Raum
schützt, berichtet das Wissenschaftsportal NewScientist. Die Position
des Geschützten erfährt das Kameranetzwerk durch einen GPS-Empfänger,
der beispielsweise im Handy verbaut ist und laufend seinen aktuellen
Standort meldet. Das System teilt allen Kameras in der näheren Umgebung
mit, dass sie die entsprechende Person nicht filmen dürfen. Anhand der
exakten Positionsdaten erkennen die Kameras die betroffenen Personen
und verzerren das Gesicht in der Aufnahmen automatisch. Die
Videotarnkappe bietet also Schutz gegen die ungewollte Aufnahmen per
Überwachungssystem. Sollen die Videoaufnahmen weitergereicht werden, so
kann die unkenntlich gemachte Person darauf nicht mehr identifiziert
werden.

Registrierung

Die Tatsache, dass sich die Cloak-Nutzer registrieren lassen
müssen, bevor sie ihre Privatsphäre schützen können, stößt bei
Datenschützern auf Kritik. "Kurz- bis mittelfristig ist ein derartiges
System nicht praktikabel, da die Videosysteme für die GPS-Ortung
ausgestattet werden müssten, was bei bestehenden Systemen nicht ganz
einfach ist", meint der Datenschutzexperte Hans G. Zeger 
gegenüber pressetext. Außerdem stelle sich die Frage, wozu man
überhaupt noch Videoaufzeichnung machen soll, wenn man ohnehin von
jedem Menschen metergenau die Position kennt. In seinem Buch "MENSCH.
NUMMER. DATENSATZ." führt Zeger aus, dass die Überwachungsgesellschaft
abgeschlossen sei und nun in eine Scoringgesellschaft übergehe.

Überwachung

"Immer öfter wird Überwachung als zu belastend und teuer
empfunden, es werden daher ‚vertrauenswürdige‘ Personen und Gruppen,
die sogenannten Valids, davon ausgenommen", erläutert Zeger. Diese
erhalten spezifische Ausweise oder in diesem Fall Equipment, um sie
rascher durch die immer häufigeren Kontrollen durchschleusen zu können
bzw. sie nicht unnötig zu erfassen und damit Verdächtigungen und
Belastungen aussetzen zu müssen. "Die nicht Vertrauenswürdigen, die
In-Valids, müssen mit noch mehr Kontrolle rechnen. Das bringt
problematische Auswirkungen auf Verbrechensbekämpfung und damit auf die
Sicherheit. Die Gruppe der Valids wird in Zukunft sogar einfacher
Verbrechen begehen können, wengleich die Wahrscheinlichkeit zur
Tatbegehung extrem niedrig ist. Gleichzeitig wird sie sich vor den
Folgen besser schützen können. Die andere Gruppe hingegen wird mehr
überwacht und auch mehr von den Delikten betroffen sein", malt der
Datenschützer ein düsteres Bild.

Auch britische Datenschützer orten Probleme. So meint
beispielsweise Ian Brown, vom Oxford Internet Institute, dass Brassils
Ansatz prinzipiell falsch sei. "Menschen sollten nicht zu einer
Registrierung genötigt werden, um ihre Privatsphäre schützen zu
können", so Brown. Brassils System würde sogar noch weiter gehen, als
Bürger bloß zu filmen. Immerhin müsse dem System laufend die aktuelle
Position mitgeteilt werden.

Auseinandersetzung

Die Kritik an seiner Entwicklung nimmt auch Brassil ernst. Seine
Entwicklung stelle natürlich nicht jeden zufrieden. Allerdings sei der
wichtigste Punkt die Auseinandersetzung mit dem Thema Datenschutz. Hier
sei Europa bereits einige Schritte weiter, zumal sich Gesetze mit dem
Schutz der Privatsphäre auseinandersetzen. Überwachungssysteme sollten
von Beginn an mit Datenschutzeinrichtungen konstruiert werden, fordert
der Forscher. "Das Problem ist, dass sich die Technologie schneller
entwickelt als unser Verständnis für deren Auswirkung auf die
Privatsphäre", meint Brassil. (pte)

Source: http://derstandard.at/?url=/?id=1233586503419

One response to “Tarnkappe gegen Videoüberwachung”

  1. Marcus

    Die Zeile: „Außerdem stelle sich die Frage, wozu man überhaupt noch Videoaufzeichnung machen soll, wenn man ohnehin von jedem Menschen metergenau die Position kennt.“ tritt meiner Ansicht nach genau ins Schwarze. Dieses System ist denkbar unpraktisch. Jeder braucht dafür ein GPS Handy, jedes Überwachungssystem muss mit GPS aufgerüstet werden. Und dass in Zeiten, in denen Studien belegen, dass Videoüberwachung nicht annähernd den erhofften Effekt erzielt.