Dass
Hacker neulich in das Stromnetz der USA eingedrungen sind, könnte nur
der Anfang gewesen sein. IT-Experten fürchten den Angriff auf so
genannte kritische Infrastrukturen durch Cyberkriminielle. Auch viele
große Unternehmen benutzen in ihren Fertigungsanlagen Techniken des
Internets.
[stern.de] Früher
war die die industrielle Welt noch übersichtlich: Da gab es in der
Automobilindustrie, der Gas- und Wasserwirtschaft oder bei den
Energieerzeugern eine Steuerung der Anlagen und die Verwaltung des
jeweiligen Unternehmens hat diese Steuerung unterstützt – mit
Karteikarten, Aktenordnern und der Rohrpost. Das alles war beschwerlich
und vielfach umständlich aber gleichzeitig auch sicher.
Diese Zeiten sind vorbei: Nicht nur der PC hat Einzug gehalten.
Wolfgang Morr von der "Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik
der Prozessindustrie" Namur
schätzt, dass 90 Prozent der Unternehmen der chemischen Industrie in
Deutschland ihre Produktion mit Hilfe des Internet Protokolls (IP)
steuern. Von diesen wiederum habe etwa die Hälfte die Verwaltung mit
der Produktion vernetzt. Bei seinem Arbeitgeber, der Bayer AG, sei
dieser Prozentsatz sicher noch höher – womöglich 70 Prozent. "Ich
vermute aber, dass noch nicht alle Unternehmen soweit sind wie wir.",
so Morr. Der Grund für diese Entwicklung: Die Kosten sollten gesenkt
und die Produktion effizienter werden. Beides schien mit
Standardkomponenten bei Hard- und Software möglich. Der Haken dabei:
Die ursprünglich streng abgeschotteten Steuerungen waren nie für den
Einsatz in einem öffentlichen Netz konzipiert worden und enthielten
dementsprechend auch keine Sicherungen gegen mutwillige Störungen.
Viele
in der Branche sind zwar der Meinung, dass die Kontrollnetze nicht ans
Internet gekoppelt werden. Es gibt aber Sicherheitsexperten, die noch
nicht einmal einen Drucker oder ein noch so unscheinbares Gerät von
Steuerungs- und Verwaltungsnetz gemeinsam benutzt sehen möchten: "Es
gibt auch kein ‚bisschen schwanger‘ – entweder die Netze sind getrennt,
oder sie sind es eben nicht", formulierte es ein Teilnehmer der "Conference on Terrorism and Cyber Security" des Europarats.
Gefahr droht auch von Botnetzen
Zu den potenziellen Angreifern gehören Jugendliche, die sich mal einen
"Spaß" erlauben, gewöhnliche Kriminelle, Geheimdienste oder auch
Militärs feindlicher Länder. Eine Angriffsmöglichkeit besteht darin,
dass der Täter – zum Teil in wochenlanger Kleinarbeit – durch eine
Schwachstelle in ein Unternehmensnetz eindringt und sich dabei von
einem Server zum nächsten Drucker "durchhangelt" bis er endlich am Ziel
sein Vorhaben ausführen kann. Eine andere Möglichkeit ist, so viele
Anfragen gleichzeitig an einen Rechner zu schicken, bis der endlich
unter der Überlast den Geist aufgibt. Besonders gut funktionieren
Angriffe dieser Art, wenn die Anfragen nicht nur von einem Computer
stammen, sondern von vielen verteilten. Zur Vorbereitung des Angriffs
bringen die Kriminellen zunächst möglichst viele Computer ahnungsloser
Anwender unter ihre Kontrolle, indem sie ihnen eine Schadsoftware
unterschieben. Auf diese Weise kommt ein virtuelles Heer williger
Drohnen zu Stande, das jederzeit die Befehle des Betreibers ausführt.
Eine aktueller Schädling dieser Art heißt Conficker. Fachleute halten
es für denkbar, dass Conficker über zehn Millionen Windows-Rechner rund
um den Globus infiziert hat. Die Leistungsfähigkeit dieses
Schadprogramms scheint jede Größenordnung bisheriger Angriffsnetze zu
übertreffen.
Es gibt bereits Beispiele
Ein früherer Computerschädling beispielsweise legte in einigen
US-Werken von Daimler vor Jahren die Bänder lahm. 50.000 Arbeiter
konnten 50 Minuten zusätzlich Pause machen. Reinhard Hüppe vom
Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI)
stellt fest: "Wenn bei Volkswagen ein Band wegen eines Computer-Virus
steht, dann ist das teuer, und der Produktionsleiter bekommt eins auf
den Deckel – das ist aber alles nicht gefährlich. Wenn aber bei der
BASF ein Kessel wegen des gleichen Virus platzt, dann streicht die BASF
gleich ganz Ludwigshafen neu. Wir reden hier schließlich von
Reaktionszeiten im Millisekundenbereich."
An
den Reaktionszeiten ist auch ein weiteres Problem erkennbar: Die
Produktion in der chemischen Industrie läuft rund um die Uhr. Da kann
nicht eben der Computer mal neu gestartet werden, weil Windows sich
grade mal verschluckt hat.
Besondere Sorgen bereiten den
Experten die "kritischen Infrastrukturen": Die Strom-, Gas- und
Wasserversorgung, die Telekomnetze und die Banken. Raphael Perl von der
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist der
Meinung, gegenüber den Möglichkeiten der Cyberkriminellen seien die
Terroranschläge vom 11. September "nichts" gewesen.
Source: http://www.stern.de/computer-technik/computer/:Kritische-Infrastrukturen-Einfacher,–/661509.html