»Polizei handelt überwiegend rechtswidrig«

Die Zurückweisungen von NATO-Gegnern an der Grenze zu Frankreich in der Regel reine Willkür. Gespräch mit Martin Heiming.
Interview: Peter Wolter

[jungewelt.de] Unser Gesprächspartner
Martin Heiming ist Rechtsanwalt in Heidelberg und
Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwaltsvereins

Die Bundespolizei hat bis zum gestrigen Donnerstag
über 40 Personen, die zur Demonstration gegen den NATO-Gipfel
nach Strasbourg fahren wollten, die Ausreise nach Frankreich
verboten. Wie wird das begründet?

Unterschiedlich, je nach Einzelfall. Meistens wird in solchen
Fällen bei der Grenzkontrolle auf »polizeiliche
Erkenntnisse« aus obskuren Dateien zurückgegriffen. Eine
solche »Erkenntnis« kann dann mitunter sein, daß
jemand bei einer früheren Demonstration mal einen schwarzen
Kapuzenpullover getragen hat. Das gilt als
»Vermummungsgegenstand«.

Ist das nicht Willkür, wenn solche
Einschränkungen der Freizügigkeit ohne Gerichtsurteil
verfügt werden?

In der Praxis ist es so, daß die Polizei erst einmal solche
Verbote verhängt. Erst danach kann man dagegen klagen. Aber
dafür fehlt dann oft die Zeit. Im konkreten Fall ist es ja so,
daß die Demonstrationen am heutigen Freitag und am Samstag
stattfinden – es nützt also wenig, wenn das Gericht nach
Abschluß des NATO-Gipfels verkündet, daß die
Polizei rechtswidrig gehandelt hat.

Bei den Zurückweisungen der letzten Tage lag gegen
die Betroffenen unseres Wissens nichts vor, was strafrechtlich
relevant sein könnte. Mit welchem Recht kann eine
Bundesbehörde derartige Willkürentscheidungen
treffen?

Die für die Grenzen zuständige Bundespolizei kann laut
Gesetz die Ausreise kontrollieren. Das Paßgesetz wiederum
besagt, daß in bestimmten Fällen ein Paß
verweigert oder die Ausreise unterbunden werden kann. Das gilt
für alle Fälle, in denen »erhebliche Belange«
der Bundesrepublik auf dem Spiel stehen.

Und darüber entscheidet irgend­ein
Polizeikommissar?

Der »erhebliche Belang« wird meist ungefähr so
begründet: »Aufgrund unserer Erkenntnisse würden
Sie in Frankreich als Gewalttäter auffallen. Das aber
würde das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland
beeinträchtigen – deswegen lassen wir Sie erst gar nicht
über die Grenze.«

Einigen der zurückgewiesenen NATO-Gegnern wurde zur
Begründung gesagt, ihr Halstuch sei ein
»Vermummungsgegenstand«. »Vermummung« ist
in Frankreich aber gar nicht strafbar, was geht das die deutsche
Polizei an?

Das ist eine gute Frage. Leider kann ich die nicht beantworten.

Einige NATO-Gegner berichteten, die Polizei habe ihre
Zurückweisung damit begründet, sie seien nicht
»kooperativ« gewesen. Seit wann gibt es eine rechtliche
Verpflichtung, der Polizei gegenüber kooperativ zu
sein?

Meines Wissens gibt es kein Gesetz, das so etwas vorschreibt. Die
Absurdität dieser Forderung wird aber dadurch auf die Spitze
getrieben, daß in einem Fall ein NATO-Gegner sogar deswegen
zurückgewiesen wurde, weil er kooperativ war. Begründung:
Er habe so seine bösen Absichten verschleiern wollen.

Handelt die Polizei bei ihren Zurückweisungen
rechtswidrig?

In den überwiegenden Fällen ja. Sie ist auf das Ziel
»Sicherheit« getrimmt – alles andere bleibt dabei
auf der Strecke: Grundrechte, Menschenrechte, Freizügigkeit
nach dem EU-Vertrag usw.

Bin ich als Bürger gezwungen, mir eine offenkundig
rechtswidrige Handlung gefallen zu lassen?

Ich würde auf gar keinen Fall zum Widerstand raten.

Ob das angesichts von Polizeiknüppeln ratsam ist, ist
eine andere Frage. Aber könnte ich nicht vor Gericht bestehen,
wenn ich mich wehre?

Damit wären wir im strafrechtlichen Bereich – das
heißt dann »Widerstand gegen die Staatsgewalt«.
Die Gerichte gehen in der Regel davon aus, daß man sich das
erst einmal gefallen lassen muß.

Für mich riecht das nach Polizeistaat. Was kann man
gegen diese Willkür tun?

Es ist wichtig, ein solches Vorgehen anschließend gerichtlich
überprüfen zu lassen. Und es muß in die
Öffentlichkeit gebracht werden – etwa durch Interviews
wie dieses.

Wir haben leider nicht die Resonanz der Bild-Zeitung, die
in Millionenauflage gegen die NATO-Gegner hetzt.

Das ist richtig. Bild hat vor der Demonstration am Montag in
Freiburg den Lesern suggeriert, die Stadt werde in Schutt und Asche
gelegt. Passiert ist überhaupt nichts – die
Demonstration verlief meines Wissens völlig friedlich.