Rasterfahndung mit Telekom-Kundendaten

[fr-online.de] Die Deutsche Telekom habe dem Bundeskriminalamt (BKA) nach dem 11. September 2001 ohne ersichtliche Rechtsgrundlage Millionen von Kundendaten für groß angelegte Rasterfahndungen bereitgestellt, berichten gut informierte Konzernkreise der FR. Dabei sei es jedoch nicht um die Suche nach bestimmten Straftätern oder konkrete Gefahren gegangen, sondern um eine umfassende Durchrasterung von nahezu allen Kunden-Datenbeständen der Telekom, berichten Zeugen.
Hatte das Privatunternehmen Telekom überhaupt das Recht, seine vertraulichen Kundendaten für den massenhaften Abgleich den Behörden zur Verfügung zu stellen? "Datenschutz und Datensicherheit für Kunden und Nutzer haben für die Deutsche Telekom konzernweit eine hohe Priorität", heißt es in den Richtlinien des Unternehmens. "Deshalb ist uns auch der Schutz personenbezogener Daten während aller Geschäftsprozesse sehr wichtig."

Doch es gibt Zweifel daran, ob diese Grundsätze eingehalten wurden. In den Kundendaten sei nach den Terroranschlägen von New York 2001 anhand bestimmter Kriterien nach potenziellen "Schläfern" gesucht worden, heißt es aus dem Konzern. Die Rasterfahndung habe unter anderem in einem Rechenzentrum der Telekom stattgefunden. Führungskreise des Unternehmens sehen bis heute keine ausreichende Rechtsgrundlage für das heimliche Durchforsten von Millionen Kundendaten.

Rasterfahndung
Die Rasterfahndung ist eine besondere polizeiliche Fahndungsmethode, bei der die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung genutzt werden. Die Polizei lässt sich von öffentlichen oder privaten Stellen personenbezogene Daten übermitteln und gleicht diese massenhaft per Computer mit anderen Daten ab.

Durch den Abgleich soll die Schnittmenge von Personen ermittelt werden, auf welche bestimmte, vorab festgelegte und für die weiteren Ermittlungen als bedeutsam angesehene Merkmale zutreffen.

Bei der Bekämpfung des RAF-Terrorismus in den 70er Jahren spielte die Rasterfahndung eine große Rolle. Die Polizei nahm beispielsweise an, dass die Terroristen ihre Stromrechnungen nicht von Konto zu Konto bezahlen. Über die Rasterfahndung nach Barzahlern von Stromrechnungen mit falschen Namen konnte schließlich ein RAF-Mitglied festgenommen werden.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 starteten die Landespolizeibehörden unter Mitwirkung des Bundeskriminalamtes (BKA) eine bundesweit koordinierte Rasterfahndung nach islamistischen Terroristen. Das Ziel war die Erfassung sogenannter "Schläfer", die man als potenziell terrorverdächtig ansah.

Das BKA bekam Daten von Universitäten, Einwohnermeldeämtern und dem Ausländerzentralregister und rasterte die Datenbestände nach den Kriterien: männlich, Alter 18 bis 40 Jahre, (ehemaliger) Student mit Schwerpunkt technische Fächer, Muslim, Geburtsland.

Das BKA ermittelte aber auch bei privaten Unternehmen und bat etwa den Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW), den Bundesverband der Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) und den Verband Chemische Industrie (VCI), Daten aus ihren Personaldatenbanken an das BKA weiterzuleiten. Insgesamt wollte das BKA an Datenbanken von 4000 Unternehmen wie Siemens, Bayer oder Lufthansa.

Die so gewonnenen Daten wurden anschließend mit weiteren, durch das BKA erhobenen Datenbeständen abgeglichen. Die Rasterfahndung führte jedoch nicht dazu, dass "Schläfer" aufgedeckt wurden.

Das Bundesverfassungsgericht stellte 2006 fest: Eine solche präventive polizeiliche Rasterfahndung sei mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar und deshalb verfassungswidrig. Rasterfahndungen seien nur gerechtfertigt, wenn eine konkrete Gefahr für hohe Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben sei.

Als bloße Vorfeldmaßnahme sei eine solche Rasterfahndung nicht erlaubt. Eine allgemeine Bedrohungslage oder außenpolitische Spannungslagen reichten für die Anordnung einer Rasterfahndung nicht aus.
"Zum Schutz Ihrer bei uns vorgehaltenen personenbezogenen Daten vor unberechtigtem Zugriff und Missbrauch haben wir umfangreiche technische und betriebliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen", versichert die Telekom ihren Kunden. Doch wenn in der Vergangenheit der Staat anklopfte, öffnete sich fast jede Tür in dem Unternehmen, berichten Konzernkreise.

Lange gingen Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz in der Telekom ein und aus, beklagen die Insider. Informationen würden oft auf dem kleinen Dienstweg beschafft – ohne schriftliche Verfügungen oder Richter-Beschlüsse. "Amtshilfe", werde dann gemurmelt – und die ehemaligen Beamten bei der Telekom widersetzten sich selten einem solchen Ansinnen.

Die Folge sei eine massive Aushöhlung des Fernmeldegeheimnisses durch die Ermittlungsbehörden, hieß es schon des öfteren aus der Telekom. Im Bereich der Strafverfolgung habe der Hunger der Ermittler nach Verbindungsdaten stark zugenommen und schon längst verfassungswidrige Ausmaße angenommen.

Um etwa die Kontakte zu ausländischen Handy-Nutzern an die Ermittler herausgeben zu können, müssten alle drei Monate alle Millionen Kunden von T-Mobile komplett durchgerastert werden. Hinzu kämen täglich tausende Abfragen von Verbindungsdaten, selbst wenn es nur um Straftaten mittlerer Schwere gehe.

Nicht selten würden der Telekom lediglich Formblatt-Anordnungen oder Richterbeschlüsse ohne individuelle Begründungen zugeschickt, um Überwachungsmaßnahmen und damit massive Grundrechtseingriffe zu veranlassen, kritisierten Fachanwälte wie Rolf Gössner schon vor Jahren. Weigere sich die Telekom, die Maßnahmen durchzuführen oder Daten herauszugeben, werde sie mit dem Vorwurf der Strafvereitelung unter Druck gesetzt.

War es auch nach dem 11. September so? Beugte sich die Telekom voreilig dem Druck der Behörden und öffnete ihre kompletten Kunden-Datenbestände für eine höchst fragwürdige Rasterfahndung?

Gesucht wurde damals insbesondere nach männlichen Studenten oder ehemaligen Studenten islamischen Glaubens zwischen 18 und 40 Jahren, die aus arabischen Ländern stammten. Bekannt ist, dass Einwohnermeldeämter, Universitäten und das Ausländerzentralregister mehr als acht Millionen Datensätze an die Polizei weitergeleitet haben – von Datensätzen der Telekom war bislang aber nichts bekannt.

Rund 32 000 Datensätze aus unterschiedlichen Quellen sammelte das Bundeskriminalamt nach dem 11. September. Die durch Rastern ermittelten Personen wurden als potenziell terrorverdächtige "Schläfer" in einer Verbunddatei gespeichert – doch islamistische Terroristen seien dadurch nicht enttarnt worden, stellte 2006 das Bundesverfassungsgericht fest und erklärte die bundesweite Rasterfahndung nach "Schläfern" in der Zeit nach dem 11. September 2001 für verfassungswidrig. Derartige Rasterfahndungen dürften nur bei einer "konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter" angewandt werden, entschieden die Richter. Eine allgemeine Bedrohungslage reiche nicht aus, um die massenhafte Datenermittlung zu rechtfertigen.

Das Gericht wertete die Rasterfahndung als erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz, weil die Fahndung auch private, vertrauliche Informationen wie etwa die Glaubensüberzeugung der Personen erfasse. Aus der Vielzahl von erfassten Daten könnten Behörden ein Persönlichkeitsbild zusammenfügen. Für die Betroffenen steige damit das Risiko, mit polizeilichen Ermittlungen überzogen und stigmatisiert zu werden.

Ins Raster gerutschte Kunden müssten informiert werden, was mit ihren herausgefilterten Daten geschehen ist. Sind sie gelöscht worden? Wurden nur Bestandsdaten, oder auch Verbindungsdaten gescannt? Ging es am Ende im Terrorbekämpfungs-Eifer gar um Inhalte von Gesprächen?

All das will die Telekom nicht sagen. Sie dementiert aber auch nicht, dass es eine Rasterfahndung gegeben hat, sondern schweigt: "Wir sind nicht befugt, über Auskunftsersuchen staatlicher Stellen, die wir auf Grund unserer Stellung als Telekommunikationsprovider zu beantworten haben, Dritten gegenüber irgendwelche Informationen zu erteilen", teilt ein Telekom-Sprecher am Mittwoch mit. "Zu angeblichen Ermittlungsverfahren im Nachgang des 11. September 2001 können wir keine Auskunft geben", so der Sprecher. "Bitte wenden Sie sich ans BKA." Doch auch das Bundeskriminalamt gibt am Mittwoch keine Auskunft zu den Vorgängen.

Generell helfe man Behörden erst nach eingehender juristischer Prüfung, teilt die Telekom mit. Bei Auskunftsersuchen staatlicher Ermittlungsbehörden werde immer "die Rechtsgrundlage des Ersuchens geprüft". Erst nach positiver Prüfung der Zulässigkeit werde die Auskunft dann "pflichtgemäß erteilt". Ob eine präventive Rasterfahndung zu den vermeintlichen Telekom-Pflichten gehörte? Am Donnerstag, sagte der Unternehmenssprecher, forsche man genauer nach.

Source: www.fr-online.de