[spiegel.de] Proteste gegen den Nato-Gipfel,
Drohvideos aus Waziristan und militante Rechtsextreme: Beate Bube,
Chefin von Baden-Württembergs Verfassungsschutz, spricht im Interview
mit SPIEGEL ONLINE über Erkenntnisse ihres Amtes, fordert das Recht auf
Online-Durchsuchungen und verteidigt die Beobachtung der Linken.
SPIEGEL ONLINE: Frau Bube, kürzlich zeigte die ARD in einem
"Tatort" schießende Verfassungsschützer, die Festnahmen durchführten
und Verschwörungen schmiedeten. Haben Sie den Film gesehen?
Bube: Ja. Es war leicht zu erkennen, dass da ein Bild des
Verfassungsschutzes gezeichnet wurde, das nicht zutrifft. Der
Verfassungsschutz zieht nicht im Hintergrund die Strippen und lässt die
Polizisten wie Marionetten tanzen. Wir kooperieren mit der Polizei im
Rahmen der gesetzlichen Regelungen.
SPIEGEL ONLINE: Am Wochenende findet der Nato-Gipfel statt, zum Teil auf baden-württembergischem Boden. Rechnen Sie mit Randale?
Bube:
Die Großzahl der Demonstranten wird friedlich sein.
Aber wir beobachten die Mobilisierung im linksextremistischen Spektrum
seit Mai 2008. Vielfach handelt es sich um Akteure, die schon beim
G-8-Gipfel in Heiligendamm aktiv waren. Welche Form der Protest haben
und wie massiv er sein wird, ist schwierig zu prognostizieren. Wir
müssen auch mit unfriedlichen Aktionen rechnen.
SPIEGEL ONLINE: Heißt unfriedlich Steinewerfen, oder meinen Sie auch Anschlagsversuche?
Bube: Sie sprechen den Bereich des islamistischen Terrorismus
an. Da haben wir zwar keine konkreten Gefahrenmomente. Es ist jedoch
von einer permanent hohen, "abstrakten" Gefahrensituation auszugehen.
SPIEGEL ONLINE: Ist der Nato-Gipfel in der gewaltbereiten Islamistenszene ein Thema?
Bube: Der Gipfel wird von Islamisten sicherlich als
Veranstaltung mit hohem Symbolgehalt wahrgenommen. Eine Mobilisierung
wie im linksextremistischen Bereich ist allerdings nicht festzustellen.
SPIEGEL ONLINE: In den USA häufen sich Klagen aus
Sicherheitsbehörden, es seien zu viele Mitarbeiter auf das Thema
Terrorismus angesetzt, man habe keine Zeit und keine Ressourcen mehr
für viele andere Bereiche. Auch in deutschen Behörden sind solche
Klagen zu vernehmen – auch bei Ihnen?
Bube: Islamismus ausschließlich unter dem Aspekt des Terrorismus
zu sehen, greift reichlich kurz. Wir in Baden-Württemberg haben es mit
lange bestehenden islamistischen Strukturen zu tun, dem müssen wir uns
stellen. Darum haben wir eine entsprechend spezialisierte Abteilung im
Haus, in der auch mehrere Islamwissenschaftler tätig sind. Aber
natürlich muss die Ausgewogenheit gewahrt bleiben – die hohe und
abstrakte Terrorgefahr darf uns nicht blind machen etwa für Rechts- und
Linksextremismus oder Wirtschaftsspionage.
SPIEGEL ONLINE: Manchmal erscheint die Terrorgefahr wirklich
abstrakt, etwa wenn man sich einige der zuletzt erschienenen
deutschsprachigen Propagandavideos aus Waziristan anschaut, die
ziemlich verworren wirken.
Bube: Die Festnahmen und Gerichtsprozesse in der jüngsten Zeit
zeigen ein anderes Bild; so ist Deutschland nicht nur Rückzugs- oder
Vorbereitungsraum für gewaltbereite Islamisten. Die Gefahr ist nicht
erfunden. Abstrakt hohe Gefährdungslage bedeutet zwar nicht, dass wir
sofort mit einem Anschlag rechnen müssen, aber dass hier Personen
leben, von denen eine Gefahr ausgeht und die hier Anschläge begehen
könnten. Die deutschsprachigen Videos zeigen, dass sich junge Menschen
aus Deutschland dschihadistischen Gruppen anschließen.
SPIEGEL ONLINE: Demnächst beginnt der Prozess gegen die Sauerland-Gruppe. Wie reagiert die islamistische Szene darauf?
Bube: Wir registrieren ein zunehmend konspiratives Verhalten
entsprechender Kreise. Das erschwert die Aufklärung für die
Sicherheitsbehörden. So hat sich das "Islamische Informations-Zentrum"
in Ulm etwa selbst aufgelöst. Die Leute treffen sich jetzt in
Hinterzimmern und privat.
SPIEGEL ONLINE: Registrieren Sie mehr Hinweise auf potentielle
Gefährder aus der Bevölkerung und der islamistischen Szene? Sie
betreiben ein "vertrauliches Telefon Islamismus" …
Bube: Das könnte ruhig öfter klingeln.
SPIEGEL ONLINE: Hat es überhaupt schon mal geklingelt?
Bube: Weiterführende Hinweise aus dem Bereich Islamismus sind rar geblieben.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Amt hat den Ruf, Islamisten im offen
zugänglichen Internet effektiv zu beobachten. Aber hätten Sie manchmal
gern die Möglichkeit, eine Online-Durchsuchung durchzuführen – so wie
es der BND schon tut und das Bundeskriminalamt nun auch darf?
Bube: Die Online-Durchsuchung ist ein Instrument, das auch der
Verfassungsschutz braucht. In Baden-Württemberg gibt es allerdings
derzeit keinen Konsens, die Online-Durchsuchung für den
Verfassungsschutz einzuführen.
SPIEGEL ONLINE: Das Verhältnis zwischen Polizei und
Verfassungsschutz hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt, das BKA
hat eine Reihe neuer Befugnisse gewonnen, der Verfassungsschutz eher
nicht.
Bube: Es bringt uns nicht weiter, uns nur zu fragen, ob das auf
unsere Kosten geschehen ist. Wir in Baden-Württemberg setzen auf enge
Kooperation unter Beachtung des Trennungsgebots und fahren damit gut.
Jeder muss tun, was er am besten kann. Wir haben zum Beispiel im
Bereich Islamismus besondere Kompetenzen, können als Frühwarnsystem den
ideologischen Nährboden und damit die Motivation gewaltbereiter
Strukturen offen legen. Also nicht nur die Netzwerke von heute, die
eher unter Polizeiarbeit fallen. Die kontinuierliche Beobachtung
ermöglicht die Analyse langfristiger Entwicklungen, die müssen wir mit
den Fähigkeiten der Polizei zusammenbringen.
SPIEGEL ONLINE: Laut Ihrem gerade vorgelegten Verfassungsschutzbericht ist
die rechtsextreme Szene in Baden-Württemberg zwar geschrumpft, aber zugleich härter geworden. Wie ist das zu verstehen?
Bube: Das Gesamtpotential an Rechtsextremisten ist gesunken, vor
allem bei den rechtsextremistischen Parteien. Im Jahr 1994 waren es in
Baden-Württemberg noch über 6000 Personen, heute sind es rund 2700.
Obwohl auch die Zahl der gewaltbereiten rechtsextremistischen Skinheads
im Land zurückgeht, ist langfristig der relative Anteil der
Gewaltbereiten, die wir erfassen, gestiegen. Eine stetige Zunahme gibt
es seit einigen Jahren im Neonazi-Bereich, von 280 auf jetzt rund 400
Anhänger.
SPIEGEL ONLINE: Ist die NPD bestrebt, diese Extremisten an sich zu binden?
Bube: Die NPD hat hier im Vergleich zu anderen Bundesländern
keine Vorreiterrolle. In Einzelfällen gibt es aber durchaus personelle
Verflechtungen zwischen der NPD und anderen Rechtsextremisten.
SPIEGEL ONLINE: Mit Blick auf ein mögliches NPD-Verbotsverfahren
sinnieren vor allem SPD-Innenpolitiker über einen Abzug der V-Leute des
Verfassungsschutzes aus der Szene. Halten Sie das für richtig?
Bube: Aus fachlicher Sicht halte ich ein Verbotsverfahren für zu
riskant. In Baden-Württemberg könnten wir jedenfalls nicht mit
ausreichend Argumenten und Erkenntnissen aufwarten, die ein
Verbotsverfahren maßgeblich mittragen könnten. Es ist sinnvoller, die
NPD politisch zu bekämpfen.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind eines jener Verfassungsschutzämter, die
auch die Partei Die Linke beobachten – und das in Zeiten, in denen
selbst Unionspolitiker wegen der Wirtschaftskrise von
Firmenenteignungen reden. Ließen sich diese Ressourcen nicht anderswo
besser verwenden?
Bube: Wir beobachten Die Linke aus guten Gründen. Nicht jedes
Parteimitglied ist extremistisch, aber die Partei an sich schätzen wir
als extremistisch ein. Sie fordert einen Systemwechsel, der sich nicht
mehr im Rahmen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung
verorten lässt. Ein maßgeblicher Grund ist zudem, dass Die Linke offen
kommunistische Bewegungen innerhalb der Partei toleriert und fördert
und im Ausland mit linksextremistischen Organisationen kooperiert. Von
einer Abgrenzung zu extremistischen Positionen ist die Partei weit
entfernt.
Das Interview führten Yassin Musharbash und Marcel Rosenbach
Quelle: spiegel.de