Europäische Bügerrechtsorganisationen starten Kampagne gegen zunehmenden Überwachungswahn der EU. Polizei und Geheimdienste sollen gespeicherte Daten offenlegen
Von Frank Brendle
Es geht ganz einfach: Homepage aufrufen, Formular ausfüllen, ausdrucken und an Polizei und Geheimdienste schicken. So funktioniert die neue Kampagne für Datenschutz, die von europäischen Bürgerrechtsorganisationen initiiert wurde. Und wer kein Internet nutzt, tippt die Briefe eben selbst. Die Aktion mit dem Titel »Meine Daten gehören mir!« wird von Initiativen in elf europäischen Ländern umgesetzt. Anlaß ist der immer stärkere Aufbau eines europäischen Überwachungsstaates, der mit dem »Stockholm-Programm« weiter vorangetrieben werden soll.
Der europaweite Austausch ganzer DNA-Datenbanken, der Abgleich von Fingerabdrücken und Kfz-Daten ist bereits Realität. Was darüber hinaus geplant ist, schilderte Heiner Busch vom Komitee für Grundrechte und Demokratie während der Auftaktveranstaltung im Berliner Haus der Demokratie am vergangenen Donnerstag. So gehe es derzeit vor allem um den Ausbau der biometrischen Überwachung sowie um ein rigides »Flüchtlingsmanagement«, berichtet Busch. Um den »digitalen Tsunami« zu beherrschen, den sie mit diesen riesigen Datensammlungen hervorrufen, wollen die EU-Staaten ihre Datenbanken standardisieren. Am Ende stehe ein europäischer Informationsverbund, in dem die nationalen Polizeibehörden gegenseitig auf ihre Datenbestände zugreifen und sie erweitern können.
»Ich bin immer wieder selbst erstaunt, was es alles für Dateien gibt«, so Eric Töpfer vom Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin, der das Schengen-Informationssystem (SIS) und das geplante »Visa-Informationssystem« (VIS) analysierte. Demnach können Polizeibehörden von 16 Staaten im SIS Menschen oder Gegenstände zur Fahndung ausschreiben und bestehende Einträge ergänzen. Theoretisch könne die deutsche Polizei auf Daten zugreifen, die nach nationalem Recht nicht gespeichert werden dürften, kritisierte Töpfer. Im Fokus der Ermittlungsbehörden stehen dabei besonders Migranten. Allein das »VIS« soll schätzungsweise 70 Millionen Personendaten umfassen. »Damit entsteht die größte biometrische Datenbank der Welt im polizeilichen Bereich«, erläuterte Töpfer.
Auch politische Aktivisten dürften schnell ins Visier der Polizeiapparate geraten. Schon der Verdacht, Protestierer könnten das Ansehen der BRD gefährden, reiche für eine Eintrag in entsprechende Datenbanken, sagte Rechtsanwältin Angela Furmaniak. Die Konsequenzen waren beim NATO-Gipfel 2009 in Strasbourg zu beobachten. Damals wurde 100 Kriegsgegnern aus Deutschland die Einreise nach Frankreich verweigert. Bürgerrechtsorganisationen rufen deshalb dazu auf, bei Nachrichtendiensten und Polizeiämtern Auskunft darüber zu beantragen, welche persönlichen Daten dort gespeichert sind. Grundsätzlich müssen die Behörden diese Frage beantworten. Anschließend können Betroffene eine Löschung der Angaben beantragen. Doch praktische Erfahrungen gibt es damit kaum. Die Kampagne soll das ändern. »Wir brauchen eine europäische Bürgerrechtsbewegung«, forderte der Aktivist Mathias Monroy, der im Internet regelmäßig über die polizeilich-geheimdienstliche Aufrüstung der EU berichtet. Denn die entscheidenden Gesetze, so Monroy, werden längst nicht mehr auf nationalstaatlicher, sondern immer mehr auf EU-Ebene getroffen.
Formulare: www.datenschmutz.de/cgi-bin/moin.cgi/AuskunftErsuchen. Informationen zum Stockholm-Programm: stockholm.noblogs.org