Bamm.de zensiert

[bamm.de] Sie
werden dünnhäutiger. So muss man es wohl interpretieren, dass die
Berliner Polizei gleich zweimal innerhalb von acht Tagen Geschäfts-
bzw. Wohnräume durchsucht, um Verantwortliche von bamm.de zu ermitteln.
Anlass: Ein antimilitaristisches Flugblatt

Dieses Flugblatt ist jetzt auf Druck der Staatsanwaltschaft von dieser Seite genommen.
Dazu unsere Presseerklärung

Das war keine leichte Entscheidung. Die Alternative wäre gewesen,
die komplette Sperrung bzw. gleich die Lahmlegung des ganzen Servers
SO36.NET zu riskieren, oder dessen TechnikerInnen ein Strafverfahren
aufzubürden für eine Aktion, die inhaltlich gar nicht von ihnen zu
verantworten ist. Das war es uns nicht wert .

Ob man unsere Aktionen nun in jedem Fall für geschmackvoll hält oder nicht –ein Fall für die Justiz dürfen sie nicht werden.
Die Staatsanwaltschaft wirft uns vor, „den im Ausland stationierten
Soldaten der Bundeswehr ein Lebensrecht abzusprechen und durch den
Aufruf zum Feiern auch das Sicherheitsgefühl der Bundeswehrangehörigen
und deren Familien stark zu beeinflussen.“
Nun haben wir Hunderte von E-Mails von Soldaten erhalten. Viele waren
empört, viele haben uns beschimpft, viele haben uns gedroht, aber von
uns bedroht gefühlt hat sich keiner. Auch Angehörige von Soldaten haben
sehr emotional reagiert, einige wütend, andere den Tränen nah – aber
niemand hat angegeben, er traue sich nun nicht mehr auf die Straße.
Angst vor uns zu haben ist ja auch Quatsch: Wir standen schließlich
nicht mit der Schampusflasche hinter der Straßenecke, um sie dem
nächstbesten Bundeswehrsoldaten über den Schädel zu ziehen. Wir haben
eine – sehr – provokativ-satirische Aktion fingiert, um zum Nachdenken
über die Ent-Ehrung des deutschen Militärs anzuregen.

Politischer Kontext des Vorgehens gegen uns

Und damit haben wir offenbar ziemlich
genau den Finger in die Wunde gelegt. Was in diesem Lande weder die
Regierung, noch Militärs und führende Medien wollen, ist, dass die Ehre
und Würde der Armee angekratzt wird. Über den Sinn oder Unsinn des
Afghanistan-Krieges darf man gerade noch geteilter Meinung sein, aber
wer es wagt, die Bundeswehr gewissermaßen zu verraten, über den wird
der Stab gebrochen.

Der Kontext, in dem sich die
Kriminalisierung unseres Flyers bewegt, ist: Die Bundesrepublik
Deutschland ist seit fast achteinhalb Jahren im Afghanistan-Krieg. Und
sie ist drauf und dran, ihn zu verlieren: Die eigene Bevölkerung
wünscht sich mehrheitlich den Rückzug. Wer Freitags oder Sonntags
Nachmittags mit der Bahn fährt und die Abteile mit Soldaten teilt, oder
wer die Kommentare in einschlägigen Bundeswehrpublikationen liest,
weiß: Selbst innerhalb der Armee gibt es kaum noch Stimmen, die an
einen baldigen Sieg glauben. Alles wird schlimmer am Hindukusch, und
die „Gefallenen“-Zahlen steigen.

Je näher die Niederlage im Krieg, desto
stärker wird im Inland der bedingungslose Schulterschluss mit der Armee
gefordert. Der Verteidigungsminister steht am Sarg der „Gefallenen“ –
wie lange wird er sich den Luxus noch erlauben können, jeder
„Gefallenen“-Zeremonie persönlich beizuwohnen? Und es fällt ihm nichts
Besseres ein, als Durchhalten zu fordern und von uns allen zu erwarten,
mit unserer Kritik am Krieg innezuhalten, uns abzuverlangen, zu
glauben, diese Soldaten seien für uns „gefallen“.

Grundrechteabbau

Warum muss der „Tag-Y“-Flyer verfolgt
werden? Zumal die Aktion ja schon seit dem 2. April als Satire geoutet
ist? Woher dieser Eifer der Staatsgewalt?
Sie sind dünnhäutig, sie sind nervös, sie haben Angst, ihren Krieg zu
verlieren, und sie beginnen, mit den Waffen des Strafrechts auf
Antimilitaristinnen und Antimilitaristen zu schießen. Sie treffen damit
aber keineswegs punktgenau, sondern sie beschießen auch zentrale
Grundrechte wie die Meinungsfreiheit und das
Telekommunikationsgeheimnis. Es geht überhaupt nicht darum, ob wir uns
nun tatsächlich oder nur als Provokation über den Tod deutscher
Soldaten freuen – es geht darum, ob man in einem kriegführenden Land
radikal gegen Krieg, radikal gegen die „eigene“ Armee sein darf.

Erinnert sei an unser Plakat „Schritt zur
Abrüstung“, das ein Ermittlungsverfahren ebenfalls wegen
Volksverhetzung nach sich gezogen hatte. Die bürgerlichen Medien und
ihre Parteien überboten sich in Empörung, über ein Jahr lang wurde
ermittelt, aber heraus kam nichts: Das Verfahren wurde eingestellt,
weil die Staatsanwaltschaft selbst zum Schluss kam, es handle sich um
eine – von ihr für geschmacklos gehaltene – Form der Meinungsäußerung,
um einen scharfen, aber zulässigen Beitrag in einer politischen
Auseinandersetzung. Sie üben strafrechtlichen Druck aus, auch wenn sie
nicht im Recht sind.
Erst vorige Woche haben Boulevardzeitungen die Linkspartei-Politikerin
Yvonne Plötz angegriffen, weil sie ein Plakat an ihrer Bürotür hängen
hätte, das ungleich harmloser ist als das, was man von uns gewöhnt ist .

Den GelöbNIX-Demonstrationen gegen die
Rekrutengelöbnisse der Bundeswehr wirft die Polizei Jahr für Jahr mehr
Steine in den Weg, im Vorjahr ist sie praktisch verboten und auf eine
Kundgebung einen Kilometer vom Gelöbnisplatz (Reichstagsgebäude)
entfernt eingeschränkt worden.
Repression gegen und Kriminalisierung von AntimilitaristInnen wie auch
anderen Linken ist ein Feld, das wir hier nicht erschöpfend beleuchten
können. Wir haben nur mal exemplarisch einige der uns am nächsten
gelegenen Fälle aufgezählt. Und wir wollen hier noch auf unsere GenossInnen hinweisen.
Die Frage, die sich auch jene stellen sollten, die unsere Aktionen
weniger schön finden, ist: Kann es richtig sein, aus durchsichtigen
politischen Gründen unsere Flyer zu kriminalisieren? Kann es richtig
sein, einen Internetprovider dafür belangen zu wollen, radikale
AntimilitaristInnen zu hosten? Kann es richtig sein, jene, die gegen
den Krieg sind, mit den Mitteln des Strafrechts disziplinieren zu
wollen?

Diszipliniert kriegt man uns mit solchen
Aktionen nicht. Man zwingt uns allenfalls, unsere Freiheitsrechte auf
ausländischen Servern wahrzunehmen. Wie war das nochmal mit der
Freiheit, die angeblich am Hindukusch verteidigt wird?

Source: http://www.bamm.de/2010/04/27-04-2010-bamm-de-zensiert/