Wolfgang Tucek
Zeitgemäße
Hilfsmittel für Polizeiarbeit weiter nicht verfügbar.
[wienerzeitung.at] Brüssel.
Ermittler drängen seit langem auf eine gemeinsame Fahndungsdatenbank
für die europäischen Polizeidienste, in der gesuchte Personen auch
anhand von biometrischen Daten wie Fingerabdrücken registriert sind.
Doch das so genannte Schengen-Informationssystem II (SIS II)
funktioniert auch Jahre nach dem geplanten Fertigstellungstermin im Jahr
2007 nicht. Experten befürchten, dass es niemals ans Netz gehen werde
und das den Auftragnehmern auch klar sei. Auch mache die EU-Kommission
als Projektleiter keine gute Figur.
Dennoch darf das belgisch-französische Konsortium Hewlett
Packard/Steria, das bereits mindestens 80 Millionen Euro eingestreift
hat, aller Voraussicht nach weitermachen. Gegen den Widerstand
Österreichs, Deutschlands und Frankreichs wurde nämlich ein letzter
entscheidender Test des geplanten Systems für gelungen erklärt.
Ansonsten hätte das Millionengrab von den Innenministern bei ihrem
Treffen nächsten Donnerstag geschlossen werden und die neue Datenbank
mit anderen Anbietern realisiert werden können.
EDV reagiert langsam
Tatsächlich stürzte das SIS II im März erstmals 72 Stunden lang nicht
ab. Allerdings habe die Antwortzeit für die Abfragen 20 Sekunden statt
der geforderten drei Sekunden gedauert, erläuterte ein Experte – also
fast sieben Mal so lange. Zudem könne das System nur gleichmäßig mit
einer relativ geringen Zahl von Daten gefüttert werden, was vollkommen
an der Realität vorbeigehe. In der Praxis betrage die Datenmenge rund
das Zehnfache, die Eingabe erfolge zudem unregelmäßig. Dennoch
unterstützten offenbar 13 der am Test beteiligten Länder die Auslegung
der EU-Kommission, dass die Leistung des Rumpf-SIS II für ein positives
Ergebnis ausreichend ist. Daher sei nicht einmal ein Beschluss der
Innenminister notwendig, um das Projekt wie gehabt fortzuführen. Bis
Juni muss lediglich ein EU-Rechtsakt erneuert werden, der eine Basis für
die Einführung des SIS II darstellt und ansonsten ausläuft.
Im Entwurf der EU-Kommission findet sich kein geplantes
Fertigstellungsdatum, wie die "Wiener Zeitung" berichtete. Für die
nächsten zwei Jahre wird ein Budget von weiteren 20 Millionen Euro
vorgeschlagen. Wie viel die neue EDV am Ende kostet, sei unmöglich zu
sagen, weil die Projektdauer eben offen sei, hieß es. Experten vermuten,
dass noch einmal rund 60 Millionen Euro notwendig sein könnten.
Doch HP/Steria feile bereits an einem komplett neuen System mit dem
Arbeitstitel ICD 3, hieß es. Gemunkelt wird, dass das Konsortium die
Arbeiten am SIS II nur so lange hinauszögern möchte, bis das ICD 3 als
tatsächlich funktionierendes System aus dem Hut gezaubert werden kann.
Was die neuerliche Umstellung dann kosten würde, trauen sich Insider
nicht einmal zu schätzen.
Dem EU-Parlament platzt angesichts der fortwährenden Verschleppung
bereits der Kragen. Noch nächste Woche will es den EU-Rechnungshof
auffordern, die bisherige Abwicklung durch die EU-Kommission und die
Verwendung der mindestens 80 Millionen Euro genau zu prüfen. Ab 2011
überlegen die Abgeordneten die Mittel für das SIS II zu blockieren, wenn
von der EU-Kommission kein detaillierter Zeitplan für einen
erfolgreichen Abschluss des Projekts vorgelegt wird.
Source: http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=4975&Alias=wzo&cob=485868