Einsatz in Askania

INTERNATIONALE POLIZEIÜBUNG

[gdp.de] Lehnin in Brandenburg – wo ist das denn? Kaum ein Bundespolizist oder eine Bundespolizistin hatte je diesen Namen gehört, der für eine Vielzahl von ihnen von Ende Mai 2010 an Dienstort und Ort der Durchführung der Europäischen Polizeiübung – European Police Forces Training (EUPFT 2010) – sein sollte. Hier war ab Juni 2010 der Ort der fiktiven Europäischen Polizeimission EUPMIR (European Police Mission in Rona).

Wie war es dazu gekommen?

Im Auftrag und finanziert durch die Europäischen Kommission waren seit 2008 Europäische Polizeiübungen durchzuführen.

Nach St. Astier (Frankreich 2008) und Vicenza (Italien 2009) bekam Deutschland – und hier die Bundespolizei – für 2010 den Auftrag, eine Polizeiübung für geschlossene Polizeieinheiten zu planen und auszurichten. Das Training für mehr als 600 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland sollte typische Missionslagen beinhalten und mit international zusammengesetzten Einheiten stattfinden.

Bereits im April 2009 wurde daher in der Direktion Bundesbereitschaftspolizei unter der Leitung des Ständigen Vertreters des Präsidenten LtdPD Ludwig Rippert die Projektgruppe EUPFT 2010 eingerichtet. Mögliche Übungsräume mussten erkundet, Budgetplanungen getroffen und eine Lage mit allen Details entwickelt werden. Schnell war klar, dass eine realistische Umgebung Grundlage für die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit europäischer Polizeieinheiten sein sollte: Der Übungsplatz Lehnin in Brandenburg mit einer Fläche von insgesamt fast 7.000 ha und seinen drei detailgetreu gestalten Ortschaften wurde von Dezember 2009 Gegenstand aller Betrachtungen und Planungen der Projektgruppe EUPFT 2010. Hier finden sich „echte“ Häuser, einige mit vollständigem Innenausbau und Kellerräumen, 150 m Kanalnetz, Fußgängerunterführungen, ein Flugplatz sowie ein Bahnhofsbereich mit Gleisanlage.

Teamarbeit statt Stückwerk

Teamarbeit in der Vorbereitung war bereits seit dem Sommer 2009 angesagt: Unter der Leitung von LtdPD Alfred Schmitt (Führer Bundespolizeiabteilung Sankt Augustin, bereits Leiter der Mentorengruppe bei der Verwendungsfortbildung der Auslandseinsatzhundertschaft der Bundespolizei 2007) waren alle Bundespolizeiabteilungen mit der Anlage der insgesamt 6 Einzelübungen befasst: Neben der Erstellung eines Operationsplans, der Entwicklung und Ausgestaltung der jeweiligen taktischen Lage musste auch der „Kleinkram“ nebenher organisiert werden.

Von alten Autos über (künstliche) Leichenteile bis hin zu Wahlplakaten mussten alle „accessoires“ passend gemacht werden, gilt es doch bei den Übungen alle Aspekte polizeilicher Arbeit realistisch darzustellen. Verkehrsunfälle, Sprengstoffanschläge und Wahlkampfveranstaltungen bilden das Szenario, das sich vom ersten bis zum letzten Übungstag durch die Übung ziehen wird. Schwerpunkte dieser Übung sollten neben den Standardmaßnahmen geschlossener Einheiten insbesondere sein:

• Verhältnismäßigkeit aller polizeilichen Maßnahmen

• Erhöhung der Nachhaltigkeit von Eingriffsmaßnahmen durch gerichtsverwertbare Beweissicherung/ Dokumentation

• taktischer Lufttransport von Polizeikräften sowie luftgestützte taktisch/technische Unterstützung

• Einsatz von Spezialkräften (z. B. Entschärfer, Wasserwerfer- und Sonderwageneinheiten, Diensthundeführer etc.)

Vorbereitungsseminar im April 2010 in Blumberg

Nachdem Ziele und Organisation der Übung definiert, das Szenario geschrieben und die logistischen Anforderungen mit allen Beteiligten besprochen waren (dies stellte eine besondere Herausforderung dar, denn auf BPOL-eigene Infrastruktur konnte nicht zurückgegriffen werden), fehlte nur noch eins: „die übende Truppe“. Gleich einer europäischen oder einer anderen internationalen Mission wurde im Rahmen eines Vorbereitungsseminares im April 2010 in Blumberg bei Berlin der Call for Contribution (Kräfteaufruf) vorgestellt, der die Personalforderungen für die fiktive Polizeimission darstellt:

2 Formed Police Units (FPU) mit je vier Einsatzzügen, 1 Integrated Police Unit (IPU) mit einem geschützten Zug (armoured platoon), einer Zugriffskomponente (special intervention unit) sowie zwei Einsatzzügen (general policing platoons), 1 Special Police Unit (SPU) mit einer Ermittlungsgruppe (crime investigations/observations), einer Personenschutzgruppe (close pro tection team), einer technischen Einsatzeinheit (tech nical assistent unit), sowie einer Entschärfergruppe (EODIEOD). Geführt werden diese Kräfte von einem Hauptquartier, das von einem Head of Mission (Polizeiführer) geleitet wird.

Bereits bei diesem Treffen im April wurden die Erwartungen mehr als erfüllt: 16 Nationen stellten die insgesamt 317 Polizistinnen und Polizisten, die für den ersten Übungsdurchgang notwendig sind. Von einzelnen Spezialisten bis hin zu ganzen Einsatzzügen reichten die Angebote, so dass beide Übungsdurchgänge schnell zusammengestellt werden konnten und für die Durchführung der Übung nun – bis auf die Herrichtung des Übungsraumes – alle Voraussetzungen erfüllt waren.

Vorbereitungen auf dem Truppenübungsplatz Lehnin

Eine funktionierende Kommunikation ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Übungsdurchführung. Infrastruktur, die für polizeiliche Zwecke ausreichend vor handen und nutzbar gewesen wäre, gab es am Truppenübungsplatz jedoch nicht.

Fachkräfte der Bundespolizei mussten daher neben anderen logistischen Aufgaben und mit viel Aufwand insbesondere die erforderlichen Funknetze (digital und analog) errichten, IT-Netze schalten und Arbeitsplätze einrichten. Alles wurde jedoch rechtzeitig fertig.

Anreise nach Brandenburg

Mit der Anreise des Headquarters am Freitag vor der Ankunft des Hauptkontingentes begann nun die Übung: 16 Polizistinnen und Polizisten aus 10 Nationen arbeiteten sich in die Lage ein und stellten in nur drei Tagen die Arbeitsfähigkeit dar.

Ab Sonntag, den 6. Juni füllte sich die Unterkunft in Lehnin – 50 km südwestlich von Berlin – mit ausländischen Polizeikräften. Anreisende per Bus, Flugzeug aber auch mit eigenen Führungs- und Einsatzmitteln prägten nun das Bild der Liegenschaft. Am Montagmorgen konnte Friedrich Eichele, der Präsident der Direktion Bundesbereitschaftspolizei, alle gemeldeten ausländischen und deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßen sowie Beobachter „aus aller Welt“: Experten aus den Niederlanden, Malta, aber auch Jordanien, China und Indien waren dem Ruf nach Brandenburg gefolgt, um sich über verbandspolizeiliche Einsätze zu informieren.

Gemeinsame Trainings bereiten auf Übungen vor

Nach ersten organisatorischen Maßnahmen setzten bereits am Dienstag der ersten Woche Trainings ein, um gemeinsame Standards zu erreichen: Lufttransportausbildung mit Super-Pumas der Bundespolizeifliegergruppe standen ebenso auf dem Programm, wie eine Darstellung verschiedener Taktiken.

Ab Mittwoch wechselten sich die Übungen und Trainings ab:

• Streifendienst in einem fiktiven Missionsgebiet mit anschließender Geisellage

• Durchführung polizeilicher Maßnahmen nach einem Bombenanschlag

• Durchführung polizeilicher Maßnahmen aus Anlass einer Wahlkampfveranstaltung

• Personen-, Strecken-, Raum- und Ob jektschutz anlässlich eines VIP-Besuchs

• Begleitschutz/Evakuierung sowie

• Durchführung polizeilicher Maßnahmen aus Anlass einer Parlamentswahl im Missionsgebiet waren die Szenarien, die es zu bewältigen galt.

Vielfältige Resonanz

Am Freitag. dem 11.6.2010 besuchte als erste Gäste der Bundesvorsitzende der GdP, Herr Konrad Freiberg, zusammen mit Herrn Josef Scheuring, dem Vorsitzenden des Bezirkes Bundespolizei der GdP, und weiteren GdP-Vertretern sowie Polizeiführern von Bundespolizei und Landespolizei die Übung.

Interesse galt den Leistungen der multinationalen Einheit ebenfalls aus ganz Europa: Die CIVCOM (Committees for Civilian Aspects of Crisis Management = Ziviles Krisenmanagement der EU) nahm sich zwei Tage Zeit, um sich von der Leistungsfähigkeit der Kräfte zu überzeugen. Weitere Gäste, u. a. der Vizepräsident des Bundespolizeipräsidiums, Herr Dr. Frehse, überzeugten sich gleichfalls vor Ort von der schnell gewachsenen Zusammenarbeit der vier multinationalen Einheiten. Aufgelockert lediglich durch ein Betreuungswochenende mit Wettkampf (Cohesion Day) und Sightseeing in Berlin steigerten sich die Anforderungen hin zu einer Abfolge von drei Übungen hintereinander in der zweiten Übungswoche, die am Mittwoch mit fordernden Einlagen – auch außerhalb von Lehnin – ihren Abschluss fanden.

Im Rahmen der Abschlusszeremonie konnte Präsident Friedrich Eichele feststellen, dass die Mission ihr Ziel erreicht hat und die Übungstruppe in faszinierend kurzer Zeit zueinander gefunden hat. „You are really a succesful team“, so das Resümee von Präsident Eichele in seiner Abschlussrede vor den mehr als 300 Teilnehmern.

Mit einem europäischen Abend, bei dem sich die unterschiedlichen Nationen mit Spezialitäten aus ihren Heimatländern darstellten, ging der erste – sehr erfolgreiche – Durchgang der EUPFT 2010 zu Ende. Alle Beteiligten seitens der Direktion Bundesbereitschaftspolizei warten nun mit Spannung auf den 12. Juli, wenn es wieder heißt in Lehnin: „Head of Mission – its up to you…“

Stefan Windisch, Bundespolizeiabteilung Ratzeburg

Das Szenario

Askania, fiktives Land im Herzen Europas, hat eine 60 % Majorität der Prussi und eine 20 % Minorität der Franca. In der Provinz Rona kehren sich diese Verhältnisse jedoch um: hier haben die Franca das Sagen und Übergriffe gegen die Prussi-Minderheit führen zu einem Bürgerkrieg, der erst durch eine fiktive Europäische Militärmission in Askania (EMMA) beendet werden kann. Erst nach Ende des militärischen Konfliktes kommt die EUPMIR mit einem Mandat der Europäischen Union zum Einsatz.

Source: http://www.gdp.de/id/_dp201007/$file/DeuPol1007.pdf