Keine Strafverfolgung für Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz bis Juni 2007
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Nach
einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom
29.06.2010 sind die im Jahr 2002 eingeführten sog. EU-Terrorismuslisten
im Zeitraum bis Juni 2007 ungültig. Eine nationale Strafverfolgung nach
dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) wegen einer möglichen Zuwiderhandlung
gegen EU-Recht ist insoweit unzulässig.
Dem Verfahren vor dem EuGH lag erstmalig eine
Vorlagefrage eines nationalen Strafgerichts zu Grunde. In den
bisherigen Verfahren zu den Terrorismuslisten hatten betroffene
Personen und Gruppen direkt beim EuGH Klage eingereicht. Dieses Mal
legte das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem derzeit laufenden
Strafverfahren gegen zwei türkische Linke wegen vermeintlicher Sammlung
von Spendengeldern für eine gelistete Organisation dem EuGH eine Frage
über die Gültigkeit einer Listung vor. Gegenstand der Anklage sind
vermeintliche Verstöße gegen das AWG in Zusammenhang mit einer
vorgeworfenen Mitgliedschaft in der DHKP-C. Konkrete Tatvorwürfe
betreffen allerdings fast ausschließlich die Arbeit in legalen
Kulturvereinen, Solidaritätsarbeit zur menschenrechtwidrigen Situation
in türkischen Gefängnissen und die finanzielle Unterstützung
politischer Gefangener.
Hierin sieht die Bundesanwaltschaft (BAW) gleichwohl einen Verstoß
gegen § 34 Abs. 4 AWG. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer
„
einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden
Ausfuhr-, Einfuhr-, Durchfuhr-, Verbringungs-, Verkaufs-, Liefer-,
Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-,
Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsaktes der Europäischen
Gemeinschaften zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der
Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme
dient
“. Diese strafrechtliche Blankettvorschrift verweist auf die sog.
EU-Terrorismusliste. Die auf der Grundlage einer EG-Verordnung
(2580/2001) eingeführte und vom Rat der EU erstellte und halbjährlich
erneuerte Liste bezeichnet Gruppen und Einzelpersonen, die als
„terroristisch“ eingestuft werden und deren Vermögen eingefroren wird.
Ihnen dürfen als Folge der EG-Verordnung 2580/2001 weder direkt noch
indirekt Gelder oder Vermögenswerte zugeleitet werden. Aufgrund der so
genannten doppelten Verweisung in § 34 Abs. 4 AWG wurden die
EG-Verordnung sowie die Listen als solche in das nationale Strafrecht
inkorporiert. Zu den gelisteten Organisationen zählt u.a. auch die
DHKP-C.
In
dem Urteil des EuGH (Rs. C-550/09) wurde nun festgestellt, dass die
Aufnahme der DHKP-C in die EU-Terrorismusliste ungültig sei und nicht
dazu beitragen könne, eine strafrechtliche Verurteilung, die an einen
vermeintlichen Verstoß gegen diese Verordnung anknüpft, für die Zeit
vor dem 29. Juni 2007 zu stützen. Nach Einführung der Liste im Jahr
2002 hatte der Rat erst am 28. Juni 2007 das Listungsverfahren
dahingehend geändert, dass Betroffene eine Begründung über die Listung
erhalten können. „Das Fehlen einer Begründung für die Aufnahme der
DHKP-C in die Liste ist geeignet“, so der EuGH, „eine angemessene
gerichtliche Kontrolle ihrer materiellen Rechtmäßigkeit zu vereiteln,
die insbesondere eine Nachprüfung des Sachverhalts sowie der zu ihrer
Stützung angeführten Beweise und Informationen umfasst.“ (Urteil Rn.
57)
Eine
strafrechtliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 4 AWG ist
damit für die Zeit bis zum Juni 2007 per se ausgeschlossen. Für die
Zeit nach dem 29. Juni 2007 wird es maßgeblich darauf ankommen, ob die
Begründungen des Rats für die Listung einer Organisation derart
substantiiert sind, dass sie eine effektive Verteidigung und eine
gerichtliche Kontrolle ermöglichen. Da dies jedoch nicht Gegenstand der
Vorlagefrage war und bislang auch keine Gründe für die Listung der
DHKP-C bekannt sind, konnte der EuGH hierüber bislang nicht
entscheiden.
„Leider hat der Gerichtshof nicht über die
Gültigkeit der Listen nach 2007 entschieden, denn diese verstoßen immer
noch erheblich gegen fundamentale Verfahrensgrundsätze und
Menschenrechtsstandards“, so ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck. „Es
ist zudem nach wie vor ungeklärt, welche inhaltlichen Anforderungen an
die Aufnahme in eine Liste zu stellen sind. Hier besteht weiterhin
akuter Handlungsbedarf. Ansonsten tragen wie bislang die gelisteten
Personen und Organisationen das Risiko, dass eine rechtswidrige
Aufnahme mit erheblicher Folge erst Jahre später durch den EuGH
aufgehoben wird.“
Weitere Informationen zu dem Verfahren:
Urteil: http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=DE&Submit=rechercher&numaff=C-550/09
PM des EuGH; http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2010-06/cp100064de.pdf
ECCHR-Stellungnahme im Verfahren:
Hintergrundbericht zu den EU-Terrorismuslisten:
Ansprechpartner:
ECCHR – Generalsekretär Wolfgang Kaleck, Tel. 030-40048590
RAV – Geschäftsführer Carsten Gericke Tel. 040-43135110
Martin Dolzer, Rechtsanwaltsbüro Britta Eder Tel. 0176 207 05 646
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