Am 22. Juni findet in Frankfurt am Main die Innenministerkonferenz (IMK) 2011 statt, an der die Innenminister aller Bundesländer teilnehmen. Im Rahmen unserer Kampagne „Vielen Dank für die Blumen – Gegen Integration und Ausgrenzung“ rufen wir zu Protesten auf. Denn die IMK ist eine zentrale Institution, um festzulegen wie und zu welchen Bedingungen die „Integration“ in das „Team Deutschland“ bewerkstelligt werden kann. Integration bedeutet dabei: Wer in den Genuss sozialer und bürgerlicher Rechte kommen will, muss dem Staat auf die eine oder andere Art und Weise seine Nützlichkeit unter Beweis stellen. Die Aufdringlichkeit dieses Angebotes zeigt ein Blick auf die Flüchtlinge im Mittelmeer: Es gibt etwas schlimmeres, als die Forderung nach der Einpassung ins nationale Kollektiv: Nämlich diese Aufgabe gar erst nicht gestellt zu bekommen. Hier bereits wird deutlich, dass Integration und Ausgrenzung zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Deswegen ist klar: Integration ist eine vergiftete Einladung, die wir gerne ausschlagen.
Vielen Dank für die Blumen – gegen Integration und Ausgrenzung
Der Ton wird rauer, die Politik verrückter und die Aussichten immer brutaler. Es gibt allen Grund sich gegen diese Zumutungen zu wehren. Stattdessen wird im Hamsterrad der Konkurrenz nach unten getreten. Sichtbar wird dies im aktuell grassierenden Sozialchauvinismus und Rassismus. Mit beiden Ideologien forder und fördern die bedrängten Menschen ihre eigene Integration in die kapitalistische Verwertung. Sie erhöhen so auch den Druck aufeinander. Vielen Dank für die Blumen. Wir verzichten gern auf Integrationsbambis und eure Erziehung zum Mitmachen. Den Zwängen der kapitalistischen Ordnung kann sich zwar niemand einfach entziehen. Es gibt aber auch keinen Grund, sie für legitim zu halten. Die kläglichen Privilegien der so genannten freien Welt sind ohnehin nur durch den Ausschluss der Anderen möglich. In dieser Weltordnung geht es allen schlecht. Manchen auf hohem Niveau.
Die Innenministerkonferenz kommt nach Frankfurt. Wir auch.
Die jährliche Konferenz der Innenminister der Bundesländer (IMK) findet vom 21.–22. Juni in Frankfurt statt. Die IMK ist einer der zentralen Institutionen an dem über die weitere Entwicklung der deutschen Innenpolitik diskutiert und entschieden wird. Darüber hinaus dient sie stets als Anlass um die neusten Problemanalysen und Pläne der bundesdeutschen Innenministerien öffentlich in Szene zu setzen. Wenngleich ein Blick auf die diesjährige Tagesordnung zunächst eher den Eindruck thematischer Beliebigkeit vermittelt, steht das zentrale Thema des Treffens schon längst fest. Sowohl die „Weiterentwicklung der Einwanderungspolitik“, wie die Frage eines „effektiveren Kampfes gegen den politischen Extremismus“, als auch die „Erweiterung der operativen Möglichkeiten von Polizei und Geheimdiensten“ zielen letztlich auf ein einziges, topaktuelles Problem: Die Frage, wie und zu welchen Bedingungen die „Integration“ ins „Team Deutschland“ organisiert werden kann. Überraschend ist das nicht. Gerade heute, wo die Standortkonkurrenz überall und ständig mehr VerliererInnen und Ausgeschlossene produziert, ist es eine zentrale Aufgabe staatlicher Politik, alle Bereiche der Gesellschaft für den nationalen Erfolg im globalen Wettbewerb einzuspannen. Da die Ideologie nationaler Kollektive und kultureller Leistungsgemeinschaften jedoch nie ohne die Praxis von Ausgrenzung und Unterordnung auskommt, ist das vermeintlich großzügige Angebot gesellschaftlicher Integration unter den Bedingungen einer kapitalistischen Einrichtung der Welt immer als Drohung zu verstehen. Wir wollen daher unseren Teil zur aktuellen Integrations-Debatte beitragen, in dem wir uns ihr anlässlich der Innenministerkonferenz in Frankfurt öffentlichkeitswirksam verweigern. Nicht zuletzt, in dem wir dagegen die Perspektive auf eine Gesellschaft stark machen, in der die gemeinsamen Angelegenheiten und Bedürfnisse nicht mehr dem Zweck von ökonomischer Verwertung und nationalem Wettbewerb untergeordnet sind. Daher rufen wir dazu auf, sich an den vielfältigen Protesten gegen die Innenministerkonferenz in Frankfurt zu beteiligen und dabei über die traditionelle Kritik an den regelmäßigen Verschärfungen der Sicherheitspolitik hinauszugehen. Denn es gilt die heute unter dem Banner der Integration betriebene, staatliche Bevölkerungspolitik als Ganzes ins Visier zu nehmen.
Integration – An offer you can’t refuse
Klar: Integration wäre schön. Wer nur Hartz IV kriegt und sich außer Terminen bei den SachbearbeiterInnen von der Arbeitsagentur nicht viel leisten kann, der hätte gerne „soziale Teilhabe“. Und wer erst gar nicht in den Hoheitsbereich des deutschen Gewaltmonopolisten einreisen, geschweige denn hier die bescheidenen Errungenschaften bürgerlicher Freiheit, wie Wahlrecht oder Bewegungsfreiheit, nutzen darf, der wäre wohl auch lieber „gut integriert“. Nur: Integration gibt es nicht kostenlos. Die kapitali sche Einrichtung der Welt stellt jede menschliche Existenz tendenziell unter den Vorbehalt der wiederkehrenden Prüfung in den täglichen Schlachten der Konkurrenz gegen die MitbürgerInnen in der Nachbarschaft, die KollegInnen am Arbeitsplatz und die anderen Nationalökonomien draußen auf dem Weltmarkt. Integration ist daher kein Recht, sondern eine Pflicht. Sie meint im Kapitalismus immer auch: Wer in den Genuss sozialer und bürgerlicher Rechte kommen will, der/ die muss dem Staat für dessen Zweck, nämlich dafür zu sorgen, dass es immer so weiter geht, auf die eine oder andere Art und Weise seine Nützlichkeit unter Beweis stellen. Dieses Angebot erweist sich als umso aufdringlicher, als schon ein Blick auf die Nachrichten von den – durch die EU und ihre Grenzschutzagentur FRONTEX souverän dem Ertrinken überlassenen – Flüchtlingen und MigrantInnen im Mittelmeer deutlich macht, dass es etwas noch schlimmeres gibt, als die Forderung nach der Einpassung ins nationale Kollektiv: Nämlich diese Aufgabe gar nicht gestellt zu bekommen. Hier bereits zeigt sich, dass Integration und Ausgrenzung zusammen gehören. Es erweist sich aber auch bei einem genaueren Blick auf die scheinbar etwas weniger brutalen Methoden staatlicher Bevölkerungspolitik. Wenn bei der Innenministerkonferenz beispielsweise darüber diskutiert wird, welche Qualifikationen und Vorleistungen MigrantInnen denn nun mitbringen müssen, damit sie hier legal leben dürfen, dann ist die Abschiebungen der für den Standort unnützen Menschen immer schon mitgedacht. Auch die angemahnte Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen „Extremisten“ aller Couleur ist weit mehr, als nur eine dumme Gleichsetzung von Linken mit Nazis und religiösen Fanatikern. Geht es hierbei doch um nicht weniger, als dass staatlicherseits festgelegt wird, was überhaupt Gegenstand politischer Debatten werden darf. Das neuerdings überall verlangte Bekenntnis zur „demokratischen Kultur in Deutschland“ (BMI Zimmermann) ist insofern nichts anderes als die institutionelle Verpflichtung darauf, dass Kritik sich in Form und Inhalt bitteschön nicht an der Sache, sondern den staatlichen Zwecken des nationalen Erfolges in der Standortkonkurrenz zu orientieren hat. Der Grund für all diese Politiken liegt in der strukturellen Einrichtung dieser Gesellschaft. Um existieren zu können braucht die Marktwirtschaft nicht nur die Garantie ihrer äußeren Geschäftsbedingungen, d.h. die Durchsetzung von Privateigentum und Tausch durch Polizei und Justiz. Darüber hinaus zwingt der Produktivitätswettbewerb zwischen den nationalen Standorten die Staaten dazu ihre Bevölkerungen immer auf Trab zu halten. Der Staat regiert daher meist gar nicht in der Form von offener Repression, sondern betreibt mit Gesetzen, Förderungen, medialen Kampagnen und Richtlinien stets Bevölkerungspolitik. Integration meint vor diesem Hintergrund nichts anderes als den Versuch, eine verbindliche Lebensund Arbeitsweise für alle Menschen im staatlichen Herrschaftsbereich festzulegen und mit vielfältigen Mitteln durchzusetzen. So absurd sie im Einzelfall zunächst auch wirken mögen, Kampagnen wie „Kenn dein Limit“, „Deutschland bewegt sich“, „Land der Ideen“ oder „Du bist Deutschland“ sind der – je nach Anlass: drogen-, sport-, bildungsoder sozialpolitische – Ausdruck dieser staatlicher Disziplinierungsversuche. Getrieben vom Zwang zur Verwertung muss das Staatsvolk immer wieder neu formiert, aktiviert und zugerichtet werden. Sozialpolitik in Arbeitsagenturen und Gesundheitsämtern und die Aufrüstung des Polizeiapparates sind insofern nur unterschiedliche Varianten desselben staatlichen Anspruchs darauf, das soziale Zusammenleben entsprechend den sich verschärfenden Bedingungen des nationalen Erfolges auf dem Weltmarkt in den Griff zu bekommen.
Sozialchauvinismus und Rassismus: Ideologische Rettungsschirme in der Konkurrenz
An den einzelnen Menschen gehen die staatlichen Zurichtungsversuche nicht spurlos vorüber. Doch damit nicht genug: Da die kapitalistische Organisation des Lebens und die staatliche Bearbeitung seiner Widersprüche den meisten Menschen zur Selbstverständlichkeit geworden ist, machen sie häufig nur allzu eifrig mit bei der Suche nach möglichen oder wirklichen Störern der nationalen Sache. War die Lohnarbeit in vergangenen Phasen kapitalistischer Entwicklung noch ein funktionierendes Mittel um die Einordnung (zumindest) der StaatsbürgerInnen in die nationale Leistungsgemeinschaft zu verbürgen, scheitern die westlichen Staaten heute zunehmend an ihrem eigenen Weltmarkterfolg. Es gibt nicht mehr genügend Jobs um den sozialen Zusammenhalt zu sichern und jeder, in klassenübergreifend inszenierter Kraftanstrengung, errungene Produktivitätsschub erhöht nur den Druck auf die Lohnabhängigen, hier und weltweit, noch produktiver zu ackern. Offensichtlich Irrsinn, doch gekämpft wird hierzulande weniger gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die jede mögliche Verbesserung des Lebens in eine Bedrohung für die Menschen verwandeln. Stattdessen macht sich langsam aber sicher Panik breit. Dabei kennt man keine Verwandten. Weil man insgeheim ahnt, dass es unter kapitalistischen Bedingungen nicht mehr genug für alle geben wird, haben kultureller Rassismus und Sozialchauvinismus heute Konjunktur. „Kulturelle Werte“ und angeblich „andersartige Gene“ dienen als Beleg der eigenen Nützlichkeit und zur Legitimation der sozialen Ausgrenzung von angeblich „Kulturfremden“ oder gar „genetisch verwahrlosten Asozialen“. Diese sollen „ganz anders“ sein, weil ihre sozialen Bedürfnisse den eigenen Wünschen in Wahrheit gefährlich ähnlich sind. Da rechtspopulistische Tabubrecher und liberale Mitte im rauen Wind der Standortkonkurrenz nahe beieinander liegen ist man hinsichtlich der ideologischen Begründungen auch durchaus flexibel: Gestern noch Weltmeister der Herzen, heute schon Sarrazin, vorgestern „Gastarbeiter“, morgen „Integrationsverweigerer“. Zwar kann die Politik das Problem auch nicht lösen, aber im Versuch es zu verwalten, gelingt es ihr immer wieder die hysterische Sorge ums nationale Wohl staatlicherseits nutzbar zu machen und den Druck zum Mitmachen auf alle zu erhöhen. Die Streichung des Elterngeldes für Hartz IV-Bezieherinnen z.B. nimmt die verbalen „Tabubrüche“ von Sarrazin und Co. praktisch vorweg. Und auch die Innenminister des Bundes und der Länder formulieren in einer ganzen Reihe von Islam- und Integrationskonferenzen inzwischen öffentlich, dass bestimmte EinwandererInnengruppen sich noch mehr ins Zeug zu legen haben. In dieser rassistischen Logik drücken sie unfreiwillig das heutige Wesen jeder kapitalistischen Regierung der Bevölkerung aus. Sie basiert auf dem loyalen Abrackern für den Standort und der Konstruktion und Ausgrenzung von mitunter austauschbaren Feindbildern. Denn das Karussell dreht sich stetig schneller und es werden immer weniger Plätze frei.
Wir kommen um zu stören
Das wir uns nicht falsch verstehen: Wir begrüßen jedes erkämpfte soziale Recht und jedes bisschen mehr an individueller Autonomie. Eine abstrakte Beschwörung radikaler Kritik wird am schlechten Zustand der Welt nichts ändern. Aber die gerade bei den Innenministerkonferenzen öffentlich forcierte Diskussion darum, wer nun gerade unter welchen Bedingungen dabei sein darf, in der feindlichen Familie des nationalen Standortes, ist die Einladung zu einem Spiel bei dem es weiterhin nur VerliererInnen geben wird. Daher rufen wir zum praktischen antinationalen Widerstand auf, der sich quer zu den klassischen Spezialisierungen in die verschiedenen Teilbereiche linker Politik positioniert. Der also rassistische Ausgrenzung und soziale Zurichtung, FRONTEX und Hartz IV, als zwei Seiten derselben Medaille staatlicher Bevölkerungspolitik begreift und mithin die gesamte Integrationsdebatte in das Zentrum einer kompromisslosen Kritik rückt. Es geht uns dabei um einen kollektiven Widerstand für den es bisher zwar nicht viele institutionelle Ressourcen und ausgefeilte Konzepte gibt, der aber die Voraussetzung dafür ist, überhaupt weitergehende Perspektiven entwickeln zu können. Denn die aktuelle Integrationsdebatte basiert auf dem staatlichen Zweck einer autoritären Zurichtung der Bevölkerung zum strebsamen Schuften für und konstruktiven Streit um die Verbesserungen des nationalen Teams im Rennen, Rackern und Rasen der kapitalistischen Verwertungskrisen. Damit ist sie sowohl die Grundlage für den kulturellen Rassismus der rechtspopulistischen Angstbeißer, wie auch den Sozialchauvinismus der liberalen LeistungsträgerInnen. Deswegen ist klar: Integration ist eine vergiftete Einladung, die wir gerne ausschlagen.
Vielen Dank für die Blumen! Gegen Integration und Ausgrenzung.
Kommt zur Demo und den Aktionen gegen die Innenministerkonferenz
2011 in Frankfurt! 22. Juni, 18 Uhr, Hauptwache Frankfurt