Hunderttausendfache Nutzung von „stiller SMS“

Polizei, Zoll und Verfassungsschutz lokalisieren Verdächtige per „stiller SMS“.

Die technischen Möglichkeiten von Handys und Smartphones bieten nicht nur den Nutzenden Vorteile, sondern erlauben es Sicherheitsbehörden, die Besitzenden zu orten, ohne dass diese etwas davon bemerken. Mit „stillen SMS“ können diese herausfinden, in welcher Funkzelle bzw. zwischen welchen Funkzellen sich ein Mobiltelefon gerade befindet. Bei der „stillen SMS“ wird ein Signal an das Handy der Zielperson gesendet, das dort keine für den Nutzenden sicht- oder hörbare Reaktion auslöst. Das Handy nimmt dabei mit der nächsten Funkzelle Kontakt auf, so dass der Netzbetreiber den ungefähren Standort erfährt, den sich die Sicherheitsbehörde dann vom Provider mitteilen lässt. Es handelt sich also um eine Kurznachricht ohne Inhalt und mit einem Steuerbefehl, der dafür sorgt, dass auf dem Handy weder etwas angezeigt wird noch für den Betroffenen ein erkennbares Signal ausgegeben wird. Nur wenn das Handy z. B. neben einem eingeschalteten Lautsprecher liegt, könnte der Überwachte durch ein erkennbares Störgeräusch Verdacht schöpfen. Die Daten, die das Handy zurückmeldet, laufen bei den Betreibern der Mobilfunknetze auf und werden in den meisten Fällen über eine gesicherte Datenleitung direkt an die Ermittler weitergeleitet. Manchmal erfolgt die Datenweitergabe auf einem Datenträger oder per Fax. Der Radius einer Funkzelle beträgt je nach Technik, Landschaft und Bevölkerungsdichte etwa hundert Meter bis einige Kilometer. Die Polizei nutzt „stille SMS“ regelmäßig, um Verdächtige, deren Handynummer sie kennt, aufzufinden und festzunehmen. Beim Verfassungsschutz werden mit dieser Methode Bewegungsbilder einer Person erstellt oder Observationen unterstützt.

Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko von der Fraktion Linke wollte von der Bundesregierung genau wissen, wie oft ihre Sicherheitsbehörden „stille SMS“ an Verdächtige senden. Gemäß der Antwort verschickte im Jahr 2010 das Bundeskriminalamt (BKA) 96.314 „stille SMS“, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 107.852 und die Zollfahndungsbehörden sogar 236.617. Bundespolizei und Militärischer Abschirmdienst führen angeblich keine Statistik. Von 2006 bis 2011 waren es beim BKA insgesamt mehr als 355.000 SMS, beim BfV knapp 400.000 und beim Zoll mehr als 950.000. Eine besondere Zunahme erfolgte im Jahr 2011 beim Zoll: Dessen Fahndungsbehörden hatten in der ersten Hälfte 2011 mit 227.587 Ortungsnachrichten bereits fast so viele stille SMS versandt wie im gesamten Vorjahr. Dazu kommen noch die Zahlen aus den Ländern. Bekannt sind diese bisher nur aus Nordrhein-Westfalen (NRW), wo sie die Linken-Abgeordnete Anna Conrads jüngst abgefragt hat. Im Jahr 2010 hat die Polizei dort 255.874 „Ortungsimpulse“ (so der Polizei-Begriff für „stille SMS“) abgesandt. Die Zahl der betroffenen Handys liegt aber deutlich niedriger. In NRW waren in 778 Ermittlungsverfahren 2.644 Mobiltelefone betroffen. Das heißt, pro Mobiltelefon verschickte die Polizei im Schnitt rund 100 „stille SMS“. Beim BfV waren pro Jahr 90-150 Mobiltelefone betroffen, wie ein Sprecher auf eine Presseanfrage mitteilte. Wenige Handys wurden also besonders intensiv überwacht.

Bekannt wurde der Einsatz von „stillen SMS“ durch die Polizei erstmals 2003 in Berlin. In der Folge gab es einige wissenschaftliche Aufsätze, die die Ermittlungsmethode mangels Rechtsgrundlage für unzulässig erklärten. Entsprechende Gerichtsurteile sind nicht bekannt. Seit 2008 gibt es eine gesetzliche Regelung. Die große Koalition regelte in der so genannten „TKÜ-Novelle“ die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung. Dabei wurde der Polizei unter anderem erlaubt, dass sie beim Mobilfunkprovider nicht nur „Verbindungsdaten“, sondern auch „Verkehrsdaten“ verlangen darf. Sie muss nun nicht darauf warten, bis der Verdächtige telefoniert oder mittels „stiller SMS“ zu eine Verbindung gebracht wird, sondern sie kann schon die Daten der regelmäßigen Kontaktaufnahme des Handys mit dem Netzbetreiber abfragen. In der Begründung zur Neufassung von Paragraph 100g hieß es: „Die Neuregelung kann die – rechtlich umstrittene – Übersendung einer ,stillen SMS‘ entbehrlich machen“. Dieser Paragraph wird auch für die Funkzellenabfrage herangezogen, die im Februar 2011 in Dresden massenhaft genutzt wurde und viel Kritik auslöste. Nach Ansicht von Konstanze Kurz vom Chaos Computer Club ist die Rechtslage unklar: „Ein Handy ist eine Ortungswanze, das müsste gesetzlich beschränkt werden. Es ist ausgeufert“.

Die aktuellen Zahlen zeigen, dass die „stille SMS“ aus Sicht der Polizei unentbehrlich geworden ist. Sie bringt genauere Daten als die Kommunikation von Basisstation und Handy. Dort wird die Location Area des Handys bekannt, also der Zusammenschluss mehrerer Funkzellen; die Kontaktaufnahme erfolgt in der Regel nur einmal am Tag. Dagegen verrät ein Kontakt per „stiller SMS“ die konkrete Funkzelle. Und je nach Ermittlungsziel können die Behörden sogar alle paar Minuten einen neuen Ortungsimpuls senden. Ausdrücklich geregelt ist die „stille SMS“ heute immer noch nicht. Das Problem dürfte nach der Neuregelung zwar nicht mehr die Herausgabe der Standortdaten sein. Fraglich bleibt, ob die Polizei einem Verdächtigen ohne Rechtsgrundlage „stille SMS“ schicken darf. Polizeinahe Juristen verweisen darauf, dass die Ermittler einen Verdächtigen ja auch zum Schein anrufen dürfen, um seine Anwesenheit zu Hause zu kontrollieren. Der Vergleich hinkt jedoch insofern, dass ein solcher Anruf für den Betroffenen hörbar ist, während die „stille SMS“ heimlich erfolgt und deshalb beliebig oft wiederholt werden kann. Dies ermöglicht eine ganz andere Überwachungsdichte.

Derzeit finden wohl alle polizeilichen SMS-Ortungen im Rahmen einer richterlich genehmigten Handy-Überwachung statt. Wenn bei Gefahr im Verzug zunächst die Staatsanwaltschaft entscheidet, muss das Gericht spätestens nach drei Tagen zustimmen. Der Einsatz durch den Verfassungsschutz erfolgt nur, wenn eine Handy-Überwachung im so genannten Kontrollgremium des Parlaments G 10 genehmigt wurde. Die Betroffenen werden gemäß der gesetzlichen Regelung – nachträglich – oft über die Handy-Überwachung unterrichtet. Der Einsatz von „stillen SMS“ wird dabei aber, so das BKA, nicht thematisiert. Dies ist wohl eine Erklärung dafür, warum es keine Klagen zur Zulässigkeit der Methode gibt. Die Betroffenen wissen einfach nichts davon. Aus Sicht des Justiz- und des Innenministeriums des Bundes besteht hinsichtlich der Verwendung dieser Methode kein politischer Handlungsbedarf. Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums meinte: „Darüber müssen die Gerichte entscheiden.“ Wer sicher gehen will, dass er nicht per „stiller SMS“ geortet werden kann, muss nicht nur das Handy ausschalten, sondern auch die SIM-Karte oder den Akku entfernen (Krempl www.heise.de 13.12.2011; Rath www.taz.de 02.01.2012; Thieme www.fr-online.de 03.01.2012; SZ 03.01.2012, 5; Martin-Jung SZ 05./06.01.2012, 20; vgl. die aktuelle Anfrage im Bundestag BT-Drs. 17/8257).

— Herr Weichert (ULD SH)

Source: http://www.datenschutz.de/news/detail/?nid=5237