Der österreichische Verfassungs-schutzbericht wird jährlich in der Zeit Mai-Juli veröffentlicht. Ein Grund sich die Berichte der Vorjahre und einige Änderungen darin genauer anzusehen.
Der jährliche Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (kurz: BVT) ist inhaltlich eine Mischung aus Statistiken über Anzeigen, Straftaten, Prognosen und einem allgemeinen Lagebericht über Aktivitäten und Themen von unterschiedlichen Gruppierungen. Der Verfassungsschutz bleibt dabei relativ allgemein. Vielfach unterscheiden sich die Lageberichte der vorangegangen Jahre nicht wesentlich.
Umstrittener Extremismusbegriff
Der österreichische Verfassungsschutz bedient sich dabei des umstritten Extremismusbegriffes, der zT sowohl politisch als auch sozialwissenschaftlich kritisiert und abgelehnt*, jedoch von den Polizeibehörden verwendet wird. Folge dessen ist die polizeiliche Einordnung der „Gefahren“ an den sogenannten „extremen politischen Rändern“ wie „Linksextremismus“, Rechtsextremismus, Terrorismus, etc.
Der Verfassungsschutz definiert diese Terminologie und Einordnungen jedoch nicht weiter. Die Verwendung dieser Einordnung wirkt eher zufällig und eine wirklich fundierte begriffliche Einordnung ist nicht herauslesbar. Dort wo das Konzept nicht ganz passt, wird einfach ein neuer Begriff für die vermeintliche Bedrohung geschaffen. Bestes Beispiel dafür ist die Kategorie der „militanten Tierrechtsgruppen“.
Suggeriert wird so, dass gefährliche Einstellungen wie Antisemitismus, Rassismus, Sexismus oder Homophobie usw nur in bestimmten politischen Spektren vorkämen. So kommt es absurder Weise auch zu einer Art polizeilichen Gleichstellung von linker Politik mit Neonazis und dem Eindruck als liege die optimale politische Einstellung in der „politischen Mitte“. Ausgeblendet wird hingegen vollkommen, dass diese Einstellungen auch in der Mitte der Gesellschaft anzutreffen sind und linke emanzipatorische Politik gegen rassistische, antisemitische und obengenannte Zustände ankämpft und diese nicht fördern will (Anmerkung: Das soll aber nicht heißen, dass nicht auch in der Linken derartige Einstellungen vorzufinden wären).
Verharmlosung rechtsextremer Gewalt
Liest man die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre ist es auffällig, dass für den Verfassungsschutz „Linksextremismus“ stets eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt, während Rechtsextremismus im Bericht zu 2010 „keine ernsthafte Gefahr für den Staat bzw die Verfassung oder eine Bedrohung der inneren Sicherheit darstellt„. Auch seit dem Auffliegen des rechtsterroristischen NSU in Deutschland, ist der österreichische Verfassungsschutz im Bericht zu 2011 weiterhin der Ansicht, dass die rechtsextreme Szene in Österreich keine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie und die innerstaatliche Sicherheit darstellt.
Dass schon die eigenen Zahlen und Statistiken des Verfassungsschutzes dieser Einschätzung widersprechen, zeigt wie politisch motiviert diese behördlichen Einschätzungen in Wahrheit sind. Ein Blick auf die Anzeigen-Statistik des Verfassungsschutzes zeigt wesentlich mehr als rechtsextrem eingestuften Straftaten (2009: 791; 2010: 1.040; 2011: 963 Anzeigen) während jene der „Linksextremen“ wesentlich geringer und hauptsächlich Sachbeschädigungen und nur Verwaltungsübertretungen sind (2009: 90; 2010: 340; 2011: 138 Anzeigen).
Konstruktion „linksextremer“ Gewalt
Noch dazu kommt, dass die als „linksextrem“ eingestuften Straftaten zu einem gewissen Teil konstruiert sind.
Im Verfassungsschutzbericht 2011 ist die statistische Erfassung von als „linksextrem“ eingestuften Straftaten und Anzeigen verändert worden. Wörtlich heißt es, dass das Meldewesen „auf eine neue sich an der Erfassung, Bewertung und statistischen Aufbereitung der Tathandlungen und Anzeigen im Phänomenbereich „Rechtsextremismus“ orientierende Basis gestellt“ wurde. „Durch die am 1. Jänner 2010 erfolgte Einführung des neuen Meldesystems konnten somit bislang evidente Unschärfen bei der Erfassung einschlägiger Tathandlungen beseitigt werden.“
Offenbar wurden nach Ansicht des österreichischen Verfassungsschutzes zu wenig Anzeigen und Meldungen über Straftaten über Linke gemacht. Die Änderung schlägt sich jedenfalls in der Statistik nieder. Hatte es im Jahr 2009 nur 90 als „linksextrem“ eingestufte Anzeigen gegeben, waren es nach dem neuen Meldewesen im Jahr 2010 schon 340 Anzeigen. Überraschender Weise viel diese Zahl jedoch im Jahr 2011 auf 138 Anzeigen.
Kriminalisierung zivilen Ungehorsams
Auffällig ist auch, dass mit dem neuen Meldewesen auch bloße Verwaltungsübertretungen (!) nach dem Sicherheitspolizeigesetz, Versammlungsgesetz oder Mediengesetz als „linksextreme“ Straftaten erfasst werden. Im Bereich Rechtsextremismus werden derartige Anzeigen nicht erfasst! 2010 waren von den 340 Anzeigen 59 Verwaltungsübertretungen und 2011 von den 97 Anzeigen 31 Verwaltungsübertretungen – das sind 15-30 % der Gesamtzahl.
Die Gesamtzahl der Anzeigen wird so künstlich gehoben. Erfasst werden dadurch beispielsweise Störaktionen im Parlament, friedliches Blockieren einer Straße oder eingekesselte spontane Demos. Ja, sogar das Vergessen des Impressums auf beispielsweise Flyern oder Plakaten werden als „linksextreme“ Straftaten erfasst. Die in den letzten Jahren zunehmenden Aktionen zivilen Ungehorsam werden so, durch das neue Meldewesen, zu einer Zunahme an „gefährlichen linksextremen“ Straftaten.
Gefährliche Klebe- und Schmieraktionen?
Eine weitere Änderung ist das Verschwinden der sogenannten Anzeigen wegen „Klebe- und Schmieraktionen“. Mit dem neuen Meldewesen werden derartige Anzeigen als Sachbeschädigungen geführt. So werden harmlose gekleisterte Plakate oder Sprayaktionen zu „gefährlichen linksextremen“ Sachbeschädigungen. Hintergrund ist hier sicherlich, dass noch im Verfassungsschutzbericht 2010 die medial transportierte Zunahme von „linksextremen“ Straftaten in Wahrheit +30 Schmier- und Klebeaktionen waren. Eine Zunahme an Sachbeschädigungen hört sich am Papier aber natürlich wesentlich bedrohlicher an.
Auffällig ist auch, dass im Bereich „Linksextremismus“ sämtliche Anzeigen nach Delikt aufgeschlüsselt werden, während im Bereich Rechtsextremismus eine derartige Aufgliederung unterbleibt und unter sonstige StGB-Delikte kryptisch dargestellt wird. So wird verschleiert, dass eine Vielzahl der rechtsextremen Anzeigen Drohungen mit bzw Ausübung von Gewalt gegen Menschen ausmachen.
Zusammenfassend lässt sich jedenfalls sagen, dass die Änderungen des Meldewesenes im Bereich „Linksextremismus“ politisch motiviert sind um „linksextreme“ Gewalt zu konstruieren, rechtsextreme Gewalt zu verharmlosen und so eine Rechtfertigung für mehr Überwachung und Kriminalisierung linker Proteste und Politik geschaffen werden.
Aufgrund der Kritik am Extremismusbegriff gibt es berechtigte Bedenken am Weiterverwenden der polizeilichen Begrifflichkeiten, da ua eine Gleichsetzung von linker Politik unter dem Begriff „Linksextremismus“ mit Neonazis erfolgt. Deswegen werden bestimmte Begriffe durchgehend unter Anführungszeichen gesetzt.