[unwatched.org] Das Komitee für Bürgerrechte des
Europäischen Parlaments hat ein erstes Treffen über den umstrittenen
Antrag für einen Rahmebeschluss zur Bekämpfung sexuellen Mitbrauchs und
sexueller Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie abgehalten. Der
Entwurf beinhaltet eine Verpflichtung der ISPs, den Zugriff zu
Kinderpornografieseiten zu “sperren” sowie Ansätze zur Hamonisierung
der Herangehensweise der 27 Mitgliedsstaaten zu diesem Thema. Diese
neue Gesetzgebung widerruft und ersetzt ein bestehendes Dokument aus
2004, das in der Harmonisierung einiger der Schlüsselthemen wie der
Definition von “Kinderpornografie” herzlich wenig erreicht hat, und
auch nicht von allen Mitgliedsstaaten voll umgesetzt worden ist.
Bei dem Treffen verteidigte die Europäische Kommission ihren Antrag
aufvverpflichtende Sperren mit dem einfachen Argument, dass dadurch
“Verbrechen verhindert” würden, weil Kunden nicht mehr länger in der
Lage wären, direkt auf kommerzielle Kinderpornografie zuzugreifen.
Grundlegende Fragen wie die, ob diese Herangehensweise – mit ihren
verschiedenen technischen Einschränkungen und praktischen
Unzulänglichkeiten – im Verhältnis zu der angebotenen “Lösung” stünde,
wurden nicht besprochen. Die Tatsache, dass Umgehungen möglich sind,
wurde allerdings erwähnt. Ein Vertreter der Kommission verwies außerdem
etwas obskur auf Pläne, “extraterritoriale” Maßnahmen zu ergreifen, um
Webseiten an der Quelle offline zu nehmen. Diese Aussagen wiederholen
Pläne der Mitteilung der Kommission vom Juni 2009, “einen Bereich für
Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit zu schaffen, der den Bürgern
dient” (COM(2009)262), um “Mechanismen [zu schaffen] um die IP-Adresse
von kriminellen ISPs aufzuspüren und die rasche Sperre von
außereuropäischen Webseiten zu vereinfachen”.
Die verantwortliche MEP Roberta Angelilli (EPP, Italien) zeichnet
außerdem verantwortlich für einen Bericht über den vorhergehenden
Rahmenbeschluss, der früher in diesem Jahr vom Parlament angenommen
worden war. Damals lehnte das Parlament ihren Versuch ab, Sperren als
eine Lösung für Kinderpornografiewebseiten zu beantragen. In der
letzten Sitzung des Parlaments nahm sie als ordentliches Mitglied einer
der kleinsten politischen Gruppen im Parlament teil, nun ist sie
allerdings Vizepräsidentin des Parlaments und Mitglied einer der
größten Gruppen. Sie war bei dieser ersten Diskussion nicht persönlich
anwesend, und ihr Stellvertreter Salvatore Iacolino (EPP, Italien) ging
nicht auf Sperren ein.
EDRi gab vor dem Treffen seine Position in einer Stellungnahme an
die politischen Gruppen kund. Während der Debatte wurden einige der
Themen, die in EDRis Stellungnahme aufgezeigt wurden, von einigen MEPs
angeführt. Besonders Jan-Philipp Albrecht (Deutschland, Grüne) and
Birgit Sippel (S&D, Deutschland) äußerten ihre schweren Bedenken im
Hinblick darauf, dass es wirkungsvoller internationaler Zusammenhang
bedürfe, um Webseiten an der Quelle zu entfernen, anstatt diese online
zu lassen, damit mit technischen Umgehungsmaßnahmen darauf zugegriffen
oder – in Ländern, in denen sie nicht gesperrt werden – sogar direkt
auf diese zugegriffen werden kann. Andererseits dachten andere MEPs
nicht über die Vor- und Nachteile der Sperren nach, sondern forderten,
dass “alles” getan werden müsse, um Kinder zu schützen, mit der
unfundierten Begründung, dass dieses Ziel durch Sperren erreicht werden
könnte.
Eines der Hauptthemen in der Einschätzung der Auswirkung ist die
Frage, ob eine legale Basis für Sperren notwendig ist, damit Artikel 10
der Europäischen Konvention der Menschenrechte eingehalten werden kann.
Das ist wesentlich, da einige Länder, die bereits Sperren eingeführt
haben, dies ohne legale Grundlage getan haben; aus dem Rat sickern nun
Gerüchte, dass “Selbstregulierung” als Alternative zu verpflichtenden
Sperren diskutiert würde. Im Schriftstück der Kommission wird erklärt,
dass Mitgliedsstaaten eine Gesetzgebung nur ins Auge fassen sollten,
wenn es keine “wirkungsvolle” Selbstregulierung gibt (d.h. eine
Gesetzgebung wäre nicht notwendig). Weiters wird erwähnt, dass ein
Übermaß an Sperren befürchtet werden und dass, falls Sperren nicht per
Gesetz verankert würden, “diese Maßnahme riskiert, eine illegale
Überschneidung mit den Grundrechten zur Folge zu haben” (d.h. eine
Gesetzgebung wäre notwendig).
Schlussendlich heißt es in der Einschätzung, dass “wie durch den
EuGH für Menschenrechte in Strasbourg ausgelegt, solche
Überschneidungen mit dem Gesetz mit der Einhaltung der Grundrechte
einhergehen müssen und eine notwendige Maßnahme für wichtige Interessen
in einer demokratischen Gesellschaft darstellen können, wie die
Verhinderung von Verbrechen. Solche Maßnahmen müssen dem Gesetz
unterstehen, ansonsten sind sie illegal.”
EDRi position paper: Framework Decision on Child Sexual Exploitation (Angelilli Report) (28.09.2009)
Proposal (links to all EU languages)
Commission Communication on freedom, security and justice
(Beitrag von Joe McNamee – EDRi )