Bertelsmann AG: Lobbyarbeit für die Militärmacht Europa

Jörn Hagenloch 26.07.2007
Die sicherheitspolitische Agenda der Bertelsmann-Stiftung
Sage niemand, die Provinz sei harmlos. Einer der einflussreichsten
Fürsprecher einer Militarisierung der deutschen und europäischen
Außenpolitik ist im westfälischen Gütersloh zuhause. Die
Bertelsmann-Stiftung unterstützt im Kampf um den globalen Einfluss den
Aufbau der "Supermacht Europa" und deren militärischer Aufrüstung,
womöglich auch mit Atomwaffen. 

Die Bertelsmann-Stiftung
wurde 1977 von Konzern-Patriarch Reinhard Mohn gegründet. In den 90er
Jahren übertrug er der Stiftung knapp 70 Prozent des Grundkapitals der
Bertelsmann AG, im Jahr 2006 wurde der Anteil auf fast 77 Prozent
aufgestockt. Sowohl die finanziellen und personellen Ressourcen als
auch die daraus resultierenden Einflussmöglichkeiten der Stiftung sind
in Deutschland einzigartig. Für die strategische Vorbereitung und
Umsetzung ihrer gesellschaftspolitischen Projekte stehen der Stiftung
300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Hinzu kommen von
der Stiftung finanzierte Forschungsinstitute wie das Centrum für angewandte Politikwissenschaft
(CAP) in München, sowie ein engmaschiges Netzwerk von persönlichen
Beziehungen, das bis in die Spitzen der nationalen, europäischen und
transatlantischen Politik reicht.

Die außenpolitische Agenda der Stiftung hat einen eindeutigen Fokus:
Europa soll innerhalb der globalen Wirtschafts- und Machtblöcke seine
Interessen wahrnehmen, sich als Weltmacht definieren und zum globalen
Militärakteur entwickeln, der bei Bedarf jeden Punkt der Welt
kontrollieren kann. Damit sollen die sogenannten sicherheitspolitischen
Interessen gewahrt werden, die Hand in Hand gehen mit wirtschaftlichen
Interessen: sicherer Zufluss von Rohstoffen, ungehemmte Kapitalflüsse
sowie reibungslos funktionierende globale Liefer- und Absatzketten.

Mit dieser Agenda steht die Bertelsmann-Stiftung
nicht alleine und pflegt den Kontakt zu ähnlich ausgerichteten
Akteuren. Es bestehen enge personelle Verbindungen zwischen ihr und der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
(DGAP), einem zentralen außenpolitischer Think Tank, der sich
vornehmlich aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Industrie
finanziert. Hier tauschen sich Vertreter des deutschen Militärs und der
Geheimdienste mit Wissenschaftlern und Journalisten aus. Werner
Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung und Leiter des
CAP, war lange Zeit Mitglied des Exekutivausschusses und des Präsidiums
der DGAP. Der Politologe steht seit 1992 auf der Gehaltsliste von
Bertelsmann. Zuvor war er langjähriger Berater von Helmut Kohl und
brachte sein weitreichendes Netz persönlicher Kontakte zu politischen
Entscheidungsträgern in Deutschland, der EU und den USA in die Stiftung
ein. Im Präsidium der DGAP sitzen zudem der einflussreiche
EU-Parlamentarier und Bertelsmann-Lobbyist Elmar Brok, Rita Süßmuth,
die bis vor kurzem auch im Kuratorium des Bertelsmann-Stiftung saß,
sowie Günther Nonnenmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung. Er wurde 2004 als Dank für seine langjährige Verbundenheit in
den exklusiven Club der "CAP-Fellows" aufgenommen.

Europa als globaler sicherheitspolitischer Akteur

1999 gründete die Bertelsmann Stiftung die Arbeitsgruppe "Venusberg
Group". Sie besteht aus neun außen- und sicherheitspolitischen
"Experten" aus verschiedenen europäischen Staaten. Im Jahr 2000
veröffentlichte das Gremium unter dem Titel "Enhancing the European
Union as an International Security Actor. A Strategy for Action" ein
sicherheitspolitisches Konzept für die EU. Darin wird gefordert, dass
sich "die EU bis 2030 gegen alle Arten von Bedrohung autonom
verteidigen können" soll. Es wird auch deutlich gesagt, dass die
militärische Leitstrategie der Verteidigung des eigenen Territoriums
gegen Angriff nicht mehr genügt. Unverhohlen empfiehlt das Konzept
"[…] über den regionalen Rahmen hinaus weltweit zu Sicherheit und
Stabilität beizutragen. […] Ziel der EU sollte es sein, sowohl im
zivilen wie im militärischen Bereich zu einem effektiven
sicherheitspolitischen Akteur zu werden." Das schließt auch
ausdrücklich EU-weite militärische Strukturen und gemeinsame
Rüstungsprojekte ein.

Diese nachdrückliche Empfehlung einer Militarisierung der
EU-Außenpolitik bestärkt Tendenzen der EU-Kommission und der
Regierungen der Mitgliedsländer. So hat der Europäische Rat auf seiner
Sitzung im Dezember 1999 beschlossen, eine europäische Eingreiftruppe
aufzubauen, die innerhalb von 60 Tagen mit einer Stärke von bis zu
60.000 Soldaten weltweit einsetzbar ist und deren Einsatz für ein Jahr
gewährleistet werden kann. Die Bertelsmann-Stiftung sieht ihre Rolle
innerhalb des Elitendiskurses darin, den Ausbau der EU zur
militärischen Weltmacht zu beschleunigen. Kurz nach dem 11. September
2001 wurde dann von der Stiftung eine "Task Force Zukunft der
Sicherheit" ins Leben gerufen. Das selbst gesteckte Ziel lautet:
"Schwachstellenanalyse der gegenwärtigen außen- und innenpolitischen
Sicherheitsstrukturen vornehmen und einen Katalog von Empfehlungen für
die Abwehr aktueller und denkbarer Bedrohungen erarbeiten." Der Ton
zeugt vom selbstbewussten Umgang mit den höchsten politischen Stellen
auf nationaler und europäischer Ebene.

Man kennt sich eben gut. So ist es nichts Ungewöhnliches, dass im
November 2001 in Brüssel Bertelsmann-Stiftung und CAP gemeinsam ein
Strategiepapier zur Zukunft des europäischen Prozesses an EU-Kommissar
Güter Verheugen übergeben. Die Forderung auch hier: Der Aufbau einer
gemeinsamen EU-weiten Außen- und Sicherheitspolitik. Die Argumentation
für eine verstärkte weltpolitische Rolle verläuft dabei in zwei
Richtungen: Einerseits wird "Europas weltpolitische Verantwortung" bei
der Befriedung der Welt hervorgehoben. 2004 wurde innerhalb der
Bertelsmann-Stiftung ein Projekt gleichen Titels aus der Taufe gehoben.

Auf der anderen Seite wird die EU unablässig als Opfer von zukünftigen
Bedrohungen beschreiben, um den Ausbau der militärischen Macht zu
legitimieren. Dazu wurde von der Stiftung beispielsweise 2006 das erste
Global Policy Council abgehalten, an dem namhafte Politiker, Diplomaten
und Wissenschaftler teilnahmen. Hauptredner war Innenminister Wolfgang
Schäuble. Das CAP schrieb über die Veranstaltung:

Diese Bestandsaufnahme […] zeigt, wie wirtschaftliche
Verflechtung, globale Abhängigkeiten, Kontrolle über wichtige regionale
Versorgungslinien, demographischer Stress, Pandemien, Zugang zu
Ressourcen wie Energie und Wasser sowie Probleme wie staatliches
Versagen oder die Entfaltung nuklearer Macht geostrategisches Handeln
in Zukunft bestimmen werden.

Außenpolitik als Interessenspolitik

Einige Monate zuvor ging es auch beim "Bertelsmann International
Forum", der Bertelsmann-Kontaktbörse mit der großen Politik, einmal
mehr um die globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen und
Europas "strategische Antwort" darauf. Zu Gast waren 160 Gäste,
darunter Bundeskanzlerin Merkel, Verteidigungsminister Jung, Henry
Kissinger, der Präsident der EU-Kommission, zahlreiche europäische
Staats- und Regierungschefs, der Präsident der Europäischen Zentralbank
und Vertreter der Weltbank. Dass die Zeiten der auf Verteidigung
ausgerichteten EU-Sicherheitspolitik längst vorbei sind zeigt die
Studie A European Defence Strategy
der Venusberg Gruppe, die 2004 veröffentlicht wurde. Es geht um
Angriffspolitik und das empfohlene strategische Konzept zielt auf
"[…] offensive and defensive Sicherheits- und
Verteidigungsmaßnahmen". Was dazu notwendig ist, lässt sich in
Forderungen an die EU-Außenpolitik zusammenfassen: die Schaffung des
Postens eines EU-Außenministers und einer EU-Armee, neue Waffen für den
globalen Einsatz und gemeinsame geheimdienstliche Strukturen. Und was
die französischen und englischen Atomwaffen anbetrifft, so heißt es
lapidar:

In time it may be that the role of these [nuclear] forces
might have to be formalised within an EU framework as they are within
the NATO framework.

Es sind neue Töne, die die angebliche "Zivilmacht" Europa von sich
gibt. Die Wirtschaftsmacht hatte es bisher so gut verstanden, ihre
Interessenpolitik hinter der Fassade des globalen Anwalts der
Menschenrechte, als Helfer in der Not zu verstecken. Jetzt geht es
darum, eine gesellschaftliche Akzeptanz für weltweite Kriegseinsätze
herzustellen, die nicht mehr als humanitäre Einsätze bemäntelt werden.
In einer Analyse des CAP zur Asienpolitik der EU ist etwa der Satz zu lesen:

Außerdem bedarf es eines Bekenntnisses der EU dazu, dass
auch Europäer in ihrer Außenpolitik sehr wohl Interessenpolitik
betreiben.

Militärische Einsätze, zumal wenn sie nicht als "Friedensmissionen"
dargestellt werden, sind jedoch für EU-Bürger immer noch
gewöhnungsbedürftig. Die Bertelsmann-Stiftung hat das erkannt. Da sie
hierzulande mittlerweile viel Erfahrung bei der Beeinflussung des
gesellschaftlichen Klimas gesammelt
hat, sieht sie ihre Aufgabe darin, gesellschaftliche Akzeptanz für die
Etablierung der EU als Weltmacht zu schaffen. Ein Strategiepapier der
Venusberg Group aus dem Jahr 2005 mit dem Titel "Why the World needs a
Strong Europe…and Europe needs to be Strong. Ten Massages to the
European Council" empfiehlt dem Europäischen Rat:

Engage the European People: Europeans want leadership. To
generate political capital for Europe’s new defence European leaders
must finally open a strategic dialogue with EU civil society about the
role of Europe in the world. Only by gaining broad popular support
Europe will be capable of achieving its strategic objectives and master
the challenges ahead.

Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung gehen mit gutem Beispiel voran und
nutzen Printmedien, Hörfunk und Fernsehen für ihre außen- und
sicherheitspolitische Statements. Die zentrale Botschaft lautet: es
gibt zahllose Gefahren für den europäischen Wohlstand und das Leben der
EU-Bürger, die nicht mehr nur mit zivilen Mitteln abgewendet werden
können. Klaus Brummer, Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung, hat sie
2006 in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau exemplarisch
aufgezählt: "[…] Terrorismus, die Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen, Staatsscheitern und die Abhängigkeit von
Energie-Importen". Er hat dort leider nicht erwähnt, wie sich sein
Arbeitgeber die Zukunft Europas vorstellt. In einer Broschüre des CAP
aus dem Jahr 2003 mit dem Titel "Europas Zukunft" beschreiben die
Autoren ihr favorisiertes Szenario so:

Im Szenario Supermacht Europa wird das große Europa seinem
objektiven Weltmachtpotential gerecht. Die Europäische Union nutzt ihre
materiellen und institutionellen Ressourcen in vollem Umfang.
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Bevölkerungszahl, militärisches
Potential und das europäische Wertesystem bieten ihr eine beachtliche
Handlungsbasis. […] Die Supermacht Europa verabschiedet sich
endgültig von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich
uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik.

Quelle: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25765/1.html