Ende Mai 2007 stellte ein Aktivist mit Wohnsitz in Berlin mehrere Auskunftsersuchen bei einigen deutschen LKAs, Verfassungsschutzbehörden sowie dem BKA.
Vom BKA erhielt der Betroffene nach fast einem Jahr die Information, dass zwar Daten über ihn gespeichert seien, diese allerdings wegen „Quellenschutz“ (sprich: Informantenschutz) nicht offengelegt würden. Zwar hätte er das Recht, über ihn gespeicherte Daten zu erfragen, doch wiege in seinem Fall das Geheimhaltungsinteresse der speichernden Behörde höher.
Lediglich zwei Hinweise wurden mitgeteilt:
- Die italienische politische Polizei DIGOS hatte dem BKA von der Durchführung einer Infoveranstaltung in Turin über die Mobilisierung gegen den G8 in Heiligendamm berichtet. Der Betroffene hätte dort zu Straftaten aufgerufen. (Zum Hintergrund: Die besagte Veranstaltung am 11. Juli 2006 in Turin wurde sehr offensichtlich von der Zivilpolizei observiert. Tagsüber hielten sich Beamte in der Nähe des Hauses auf, nachts wurden Besucher und Referent auf dem Heimweg 20 Minuten lang von der DIGOS kontrolliert).
- Das BKA hat daraufhin der italienischen DIGOS übermittelt, dass es einen Eintrag in der deutschen Polizeidatenbank INPOL-Neu über einen Hausfriedensbruch in Berlin mit politischen Hintergrund gäbe.
Weiter erklärte das BKA, dass die betreffenden Daten in INPOL-Neu bis mindestens 2010 gespeichert würden, eine weitere Speicherung dann – wie es die datenschutzrechtlichen Bestimmungen vorsehen – geprüft würde (überflüssig zu erwähnen, dass diese Überprüfungen oft großzügig zugunsten längerer Speicherung verlaufen).
Hier hat also ein Datentausch stattgefunden, dem der Aktivist mithilfe eines Anwalts auf den Grund gehen wollte. Die beiden verlangten zunächst den Grund des Datendeals zu wissen und beantragten, den Datensatz nicht zu löschen. Denn im Falle einer Löschung würde die beklagte Angelegenheit, nämlich die etwaige illegale Speicherung , gegenstandslos. Zudem ließe sich nicht überprüfen, wohin und warum die Daten übermittelt wurden. Weiterhin wurde die Überlassung der Errichtungsanordnung der Datei INPOL-Neu beantragt, um die Rechtmäßigkeit der Weitergabe der Daten nach Italien zu überprüfen – wohlwissend, dass jene Errichtungsanordnung Verschlußsache, also geheim ist.
Dem Anwalt wurde daraufhin mitgeteilt, dass der Kläger in dieser Angelegenheit nichts zu wollen hätten und die ganze Sache aus Gründen des Quellenschutzes weiter geheim bliebe. Hiergegen legte der Anwalt Widerspruch ein, der erneut abgelehnt wurde. Daraufhin riefen dieser im Auftrag seines Mandanten das Verwaltungsgericht Wiesbaden an, das für alle (!) Klagen gegen das BKA zuständig ist. Das BKA wurde daraufhin vom Gericht zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert.
Plötzlich erklärte das BKA, den beanstandeten Datensatz in INPOL-Neu gelöscht zu haben – obwohl explizit gefordert wurde, dies nicht zu tun. Damit sei die Klage gegenstandslos. Frech verlangte die Behörde sogar, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens tragen solle. Der mußtesich zur Abwehr dieser Forderung gar nicht ins Zeug legen, denn das Verwaltungsgericht erkannte sofort, dass er nicht von einer Löschung ausgehen konnte, da ihm eine Speicherung bis mindestens 2010 mitgeteilt wurde. Außerdem hätte das BKA gewußt, dass die Angelegenheit beklagt wird, mithin war die Löschung rechtswidrig. Das BKA kam mit einer Rüge des Gerichts davon und mußte die Kosten des Verfahrens tragen.
Worum es hier geht
Aufgrund von Absprachen zur bi- und multinationalen Zusammenarbeit von Polizeien innerhalb der Europäischen Union tauschen europäische Polizeien vor Großereignissen (Sport, Gipfel) „lagebezogene“ Informationen aus. Das Verfahren ist unter anderem im EU-Programm EU-SEC (jetzt EU-SEC II) festgelegt. Demnach sollen Polizeien anderer Länder dem austragenden Land unaufgefordert alle notwendigen Informationen mitteilen, die zur Lagebeurteilung nötig sind. Das ganze wird über ein undurchsichtiges Netz von sogenannten „Verbindungsbeamten“ organisiert, die mit hohen Kompetenzen (unter anderem Zugang zu nationalen Datenbanken ihres Entsenderlandes) ausgestattet sind und in den jeweiligen Lagezentren (z.B. bei Gipfelprotesten) platziert werden.
In der Drucksache 16/6039 vom 10. Juli 2007 behauptet die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage zum G8-Gipfel in Heiligendamm, ein „unmittelbarer Informationsaustausch zwischen der Bundespolizei und internationalen Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit zu erwartenden Protestaktionen von Demonstrantinnen und Demonstranten zum G8-Gipfel 2007 erfolgte nicht“.
Allerdings wird auch erklärt, „die Zusammenarbeit des BKA mit ausländischen Polizeistellen ist nach den Vorgaben des Leitfadens für die Sicherheit zur Verwendung durch die Polizeibehörden und -dienste von internationalen Veranstaltungen (EU Ratsdokument 12637/3/02 REV 3, ENFO-POL 123 vom 12. November 2002) erfolgt, die eine phasenweise Verdichtung der Informationen entsprechend dem Näherrücken der Veranstaltung vorsehen. Das BKA hat in der Zeit vom 1. bis 9. Juni 2007 ein "Internationales Verbindungsbeamtenzentrum" zum Zweck eines beschleunigten Informationsaustausches eingerichtet. Darin waren 17 Verbindungsbeamte aus zwölf Staaten (USA, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Italien, Niederlande, Belgien, Österreich, Schweiz, Schweden und Dänemark) sowie eine Verbindungsbeamtin von EUROPOL und ein Verbindungsbeamter von Interpol vertreten. Neben dem BKA hatte auch die Bundespolizei internationale Verbindungsbeamte in ihren Führungsstäben eingesetzt. Alle darüber hinaus anfallenden bzw. zu verarbeitenden Informationen hat das BKA im Rahmen der Regelorganisation der jeweils zuständigen Organisationseinheiten bearbeitet“ (Quelle: http://dip.bundestag.de/btd/16/060/1606039.pdf).
Laut Bundesregierung kooperierten deutsche und fränzösische Stellen auch beim NATO-Gipfel 2009 „eng und vertrauensvoll“. Wieder entsandten Polizei, Militär und Geheimdienst gegenseitig Verbindungsbeamte in ihre jeweiligen Lagezentren. Auch die internationalen Polizeibehörden Interpol und Europol waren eingebunden. Auf deutscher Seite richtete das BKA eine internationale „Zentralstelle Großveranstaltung“ zum Austausch „polizeilich relevanter Informationen“ ein. Hierfür hatte die Behörde bereits am 1. August 2008 eine „Informationssammelstelle“ installiert und mit Daten von 424 europaweiten Mobilisierungsveranstaltungen von Gipfelgegnern gefüttert.
Darüber hinaus gewährte das BKA französischen Stellen Zugang zur Datei „International agierende gewaltbereite Störer“ (IgaSt). In der Datensammlung werden politische Aktivisten geführt, gegen die im Rahmen früherer „Veranstaltungen mit Globalisierungsbezug“ Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Gespeichert werden auch Referenten und Besucher von Mobilisierungsveranstaltungen im In- und Ausland oder Personen, die „im Inland als Globalisierungsgegner bekanntgeworden sind“.
BKA, Bundesrat und Bundesregierung fordern seit langem, die Datei IgaSt auf EU-Ebene anzusiedeln. Damit würde die lästige, nur temporäre Überlassung der Daten (und ihrer Löschungspflicht durch die Behörden des jeweiligen Landes) umschifft.
Der grenzüberschreitenden Datentausch beim NATO-Gipfel erfolgte gemäß des „Vertrags von Prüm“. Im Rahmen der Grenzkontrollen hatte die Bundespolizei gegen 121 Personen Ausreisesperren verhängt. Der Abschlußbericht des Innenministeriums behauptet, die „Anreise von friedlichen Demonstrationsteilnehmern“ sei „nicht eingeschränkt“ worden. Demgegenüber waren die Betroffenen der Ausreiseverbote in über 50 Fällen gerichtlich dagegen vorgegangen, die meisten Verfügungen wurden durch Verwaltungsgerichte für rechtswidrig erklärt. Dennoch konnten die Aktivisten nicht zum Gipfelprotest weiterreisen, da ihnen die französische Grenzpolizei nun ein Einreiseverbot aussprach. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage präzisiert die Bundesregierung jetzt, dass hierfür ein deutsch-französischer „mündlicher personenbezogener Informationsaustausch“ zugrundelag. Weil der gemütliche Plausch im Grenzhäuschen von der Bundespolizei allerdings nicht dokumentiert wird, haben die Abgewiesenen keinerlei Möglichkeit eines nachträglichen Rechtsschutzes.
Matthias Monroy