Sicherheit durch Monitoring

Auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung fließen nicht nur militärische und zivile Anstrengungen zusammen. Der zweite Sicherheitsforschungskongress
in Karlsruhe machte deutlich, dass mit der Verschmelzung der beiden
Forschungszweige auch die Sicherheit selbst eine Umdeutung erfährt. Die
passive Sicherheit im Sinne von Safety befindet sich auf dem Rückzug.
Dagegen wird die Sicherheit im Sinne von Security breit ausgebaut. Sie
ist Überwachung im großen Stil: Wo eine Gefahr vermutet wird, kommt ein
Monitor zum Einsatz – Kampfstoffsensoren, Überwachungskameras, Terahertz-Scanner
und Tomographen schnüffeln, schauen und suchen, intelligente digitale
Lagetische werten die Daten aus und geben uns damit das, was heute als
Sicherheit definiert ist. Die Zukunft der Sicherheitsforschung liegt in
der weiteren Verfeinerung von Monitoring-Systemen. Die zunehmende
Überwachung der Privatsphäre ist da militärisch gesprochen nur ein
Kollateralschaden.

Über den heute zu Ende gegangenen Kongress der Sicherheitsforscher
dürften die Naturwissenschaftler und die Industrievertreter
gleichermaßen zufrieden sein. Forschungsausgaben
gibt es reichlich und für Absatz ist gesorgt. Die "Sicherung der
Freiheit" und das Erschließen neuer Märkte für "Sicherheitslösungen"
ergänzen sich prächtig. Weniger glücklich dürften die
Geisteswissenschaftler sein. So wurden in mehreren Referaten zwar
betont, dass zur Lösung des Problems der "asymmetrischen Kriege" durch
bombende Terroristen auch Analysen ihrer Entstehung gehören. Ganz ohne
Erwähnung des Lieblingsspielzeugs Online-Durchsuchung kam
beispielsweise BKA-Vizepräsident Jürgen Stock aus, der das
"systematische Vorausschauen" propagierte und das hauseigene Monitoringsystem
Terrorismus/Extremismus lobte, in dem Sozialwissenschaftler
Ursachenforschung betreiben. Doch unter all den Referaten des
dreitägigen Kongresses befand sich gerade einmal ein Beitrag aus dem
Bereich der sensorisch arbeitenden Sozialwissenschaften. Rob de Wijk
vom niederländischen Zentrum für strategische Studien
ermahnte die Anwesenden, dass die erfolgreiche antiterroristische
Strategie darin besteht, die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen,
die sich von der Gesellschaft ausgestoßen fühlen. Wer von "home-grown
terrorists" rede und alle Verdächtigen sofort internieren möchte,
produziere erst die Bedrohung, statt sie zu bekämpfen. In seiner
Analyse von geplanten, durchgeführten oder verhinderten Attentaten
betonte de Wijk, dass Terroristen in Afghanistan wie in Europa
strategisch schwach, aber technisch stark operierten: Gebombt werde nur
mit erprobten, fortlaufend verbesserten Verfahren.

"Wir müssen heute schon das denken, was die Täter morgen denken
könnten", forderte Bernd Bechtold, Präsident der
baden-württembergischen Industrie- und Handelskammer zu Beginn des
Kongresses. Diese Kurzschlusslogik, dass Sicherheitsforscher wirklich
das denken können, was Attentäter antreiben wird, machte den Kongress
insgesamt zu einer sehr friedfertigen und optimistischen Angelegenheit.
Die NIVEGOS-Forscher (das deutsche Kürzel steht für "Nachweis und
Identifikation verborgener gefährlicher Objekte und Substanzen") finden
immer bessere spektrographische, akustische oder elektromagnetische
Verfahren, um gefährliche Stoffe aufzuspüren oder herannahende
Projektile in Nullkommanichts zu erkennen. Das Vertrauen in die
Sensorik führe dazu, dass dem Monitoring eine immer größere Bedeutung
beigemessen werde, erklärte der Baustatiker Norbert Gebbeken von der
Münchener Universität der Bundeswehr. Er belegte mit einigen
Bau-Beispielen, wie wichtig passive Sicherheit sein kann. Ein anderer
Aspekt kann im Tagungsband im Bericht zum Forschungsprojekt EMANZE
(Emergency Management in Australia, New Zealand and Europe) nachgelesen
werden: Gegenüber den technisch hochgerüsteten Frühwarnsystemen spricht
sich der Leiter des Katastrophenschutzes der Fidschi-Inseln dafür aus,
traditionelle Warnsysteme wie die Tierbeobachtung nicht zu vergessen.

Im Mittelpunkt der Tagung stand der Schutz kritischer Infrastrukturen,
ein Thema, das von Stromversorgung über die Baustatik und
Geldversorgung bis zur Sicherheit von Häfen und Flughäfen in vielen
Referaten abgehandelt wurde. Günter Jost, Sicherheitschef der deutschen
Bundesbank, erklärte Unkenntnis für den allerbesten Schutz. Wenn im
Internet ohne Umstände Details etwa zu den (nicht geschützten)
Umspannwerken zu finden seien, von denen die Rechenzentren der
Bundesbank ihren Strom beziehen, dann zeige das Wissen im Internet Wege
für Terroristen. "Solche Dinge sollten nicht öffentlich sein." Jost
machte auf die Bedeutung von Übungen wie LÜKEX
aufmerksam und erzählte anschaulich von den Problemen, die die USA am
11. September 2001 meistern mussten, als die New Yorker Banken
praktisch ausfielen, weil viele Spezialisten nicht zu ihren
Arbeitsplätzen kamen. Nach Alois Sieber von der
CEN-Standardisierungsgruppe "Protection and Security of the Citizen"
fehlt es vor allem an einheitlichen Standards für den Schutz kritischer
Infrastrukturen, wie sie etwa in den USA mit den CIP-Standards
angedacht wurden. Bei der Diskussion kritischer Infrastrukturen zeigte
sich, dass Militär- und Zivilforschung sich noch ein gemeinsames
Vokabular schaffen müssen. Christian Less von EADS versuchte sich an
einem entsprechenden Ansatz, in dem er die vom Militär benutzte Methode
der "Survivability Onion" zur Bestimmung der Kampftauglichkeit oder
Überlebensfähigkeit eines Systems auf den zivilen Luftverkehr übertrug.
Bis zum nächsten Sicherheitsforschungskongress sollen diese und
ähnliche Modelle weiter verfeinert und vor allen Dingen von beiden
Seiten angewendet werden.

Siehe zur zweiten Sicherheitskonferenz Future Security auch:

(Detlef Borchers) /
(jk/c’t)

Source: http://www.heise.de/newsticker/meldung/96017/