Eine Woche nach Ende des Brüsseler »No Border«-Camps sitzen noch immer vier Aktivisten in Untersuchungshaft
Von Matthias Monroy
Die Rechtfertigung für das polizeiliche Vorgehen war eine unterstellte Schuld durch Zugehörigkeit«, schließt Marianne Maeckelbergh ihren Bericht über 14 Stunden in belgischem Polizeigewahrsam. Die Anthropologin und Autorin war am 1. Oktober zusammen mit fünf anderen Betroffenen am Rande einer unangemeldeten Demonstration festgenommen worden. Die Polizei hatte den Aufzug untersagt und angekündigt, jede Versammlung über fünf Personen aufzulösen. Dutzende wurden verhaftet. Kurz darauf waren in der Nähe Scheiben eines Polizeireviers zu Bruch gegangen. Maeckelbergh hatte mehrere brutale Polizeiübergriffe fotografiert, bis sie selbst ohne Vorwarnung vom Leiter des angegriffenen Reviers festgenommen wurde. »Ich wurde geschlagen, bespuckt, wiederholt als ›dreckige Hure‹ beschimpft und bis vier Uhr morgens an einen Heizkörper gekettet«, so die US-Aktivistin. Ein Mann aus Italien mußte nach ihren Angaben einen »ungezügelten Wutanfall, wie ich ihn nie zuvor gesehen hatte« ertragen. Die stundenlangen Mißhandlungen seien vom Leiter des Reviers durch die offene Bürotür beobachtet worden.
Die folterähnlichen Zustände markieren den Höhepunkt der Repression rund um das vom 25. September bis zum 3. Oktober stattgefundene »No Border«-Camp, daß sich gegen die Abschottungspolitik der EU gegenüber Flüchtlingen von anderen Kontinenten richtete. Bereits bei der Auftaktdemonstration vor einem Abschiebegefängnis am Stadtrand war die Polizei mit Wasserwerfern und Pferden aufgezogen und hatte massenhaft Menschen festgenommen. Die meisten Aktivisten landeten indes am 29. September in den Fängen der Behörden, als sie an einer Demonstration von 100000 Gewerkschaftern gegen den ECOFIN-Gipfel teilnehmen wollten. »Wir haben 148 Demonstranten präventiv festgenommen«, meldete der Polizeisprecher am Abend. Die meisten kamen nach mehreren Stunden wieder frei. Alle wurden jedoch fotografiert; wer sich verweigerte, wurde gezwungen. Damit zeigt sich auch in Belgien ein Trend, linke Bewegungen bei internationalen Protestereignissen mit als »präventiv« bagatellisierten Maßnahmen kaltzustellen. Die EU betreibt dazu eigene Forschungsprogramme, um die Repression zu vereinheitlichen. In Handbüchern wird den Beamten geraten, hohe Festnahmequoten zu erzielen, die Informationshoheit in Massenmedien nicht zu verlieren sowie vor und nach Protesten Daten zu tauschen.
Laut Ermittlungsausschuß (EA) wurden insgesamt rund 500 größtenteils »vorbeugende« Verhaftungen durchgeführt, flankiert von Personenkontrollen und Durchsuchungen. Zudem hat die Polizei systematisch Kameras, Speichermedien und Geld »einbehalten«, ohne den Betroffenen die Beschlagnahmung zu quittieren. Als einziges Kriterium galt der Polizei eine vermutete Zugehörigkeit zum No Border Camp. Der EA betreut jetzt die Klagen gegen die Repressalien. Datenschutz-Aktivisten ermutigen zu Auskunftsersuchen gegenüber der belgischen Polizei. Damit soll ermittelt werden, ob beim Camp erlangte Personendaten in polizeiliche Datensammlungen anderer Länder überführt werden. In New York und London haben bereits Solidaritätsaktionen stattgefunden, der UN-Ausschuß gegen Folter wurde zur Untersuchung der Vorfälle aufgefordert. Am Sonntag forderten zahlreiche Menschen vor dem Brüsseler Justizpalast die Freilassung der vier verbliebenen Verhafteten. Während einer von ihnen noch auf seine Haftprüfung wartet, hätten die anderen bereits auf richterliche Anordnung entlassen werden sollen. Nach Widerspruch durch die Staatsanwaltschaft werden sie aber bis mindestens Ende nächster Woche in Haft bleiben müssen. Dadurch könnte ihnen erschwert werden, die im Gefängnis erlittenen Verletzungen zu dokumentieren.
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