Europäische Sicherheitsforschung als Subventionsprogramm für die Rüstungsindustrie
[telepolis.de] "Die Entscheidung, ein EU-Programm zur Sicherheitsforschung (ESRP)
einzurichten, wurde von der Europäischen Kommission 2003 informell
gefällt. Es gab keinen offiziellen Vorschlag für einen Rechtsakt, wie
es sonst bei der Schaffung von Budgets üblich ist, und somit unterblieb
auch jede Beratung mit dem Europäischen und den nationalen Parlamenten
in dieser Angelegenheit… Die Europäische Kommission beschloss, eine
"Group of Personalities einzuberufen, welche die Entwicklung der
europäischen Sicherheitsforschung begleiten sollte".
So beschrieb Ben Hayes die Entstehung der Europäischen Sicherheitsforschung in seiner Studie Arming Big Brother.
In dieser wird deutlich, wie sich die Rüstungskonzerne intensiv
bemühten, die Sicherheitsagenda der EU zu beeinflussen und eine
Förderung durch die EU zu forcieren, um für eine "nachhaltige und
konkurrenzfähige technologische und industrielle Basis" der
europäischen Rüstung Sorge zu tragen.
Die EU ihrerseits begrüßt im Bereich der Sicherheitspolitik so genannte
Public-Private-Partnerships (PPPs), also die massive Einflussnahme der
Wirtschaft auf die Politik und bezieht die Anbieter von
Sicherheitsdienstleistungen und -technologien, ebenso wie deren private
Nachfrager, gerne in ihre Politikgestaltung ein. Das Resultat dieser
Kooperation ist eine Vorstellung von Sicherheit, die lediglich den
Interessen großer Konzerne dient und sich in Zeiten asymmetrischer
Kriegsführung und fehlender militärischer Gegner v.a. gegen
ImmigrantInnen und die eigene Bevölkerung richtet.
Die "Group of Personalities" (GoP) bestand
beispielsweise aus vier Vertretern der EU-Kommission und 16 Vertretern
der Industrie – darunter zwölf der großen europäischen Rüstungskonzerne
EADS, Thales, Diehl, BAE Systems, Finmeccanica und INDRA sowie
Mitarbeitern der Telekommunikationsanbieter Siemens und Ericcson. Neben
acht Mitgliedern des Europäischen Parlaments waren noch sieben weitere
Institutionen vertreten, darunter neben einigen Forschungsinstituten
auch das griechische und das belgische Verteidigungsministerium.
Im Februar 2004 machte sich die Kommission die Vorschläge der GoP zu
eigen und beschloss, 65 Mio. Euro für "Vorbereitungsmaßnahmen zur
Förderung des Europäischen technologischen Potentials in der
Sicherheitsforschung" zwischen 2004 und 2006 bereit zu stellen. 30 Mio.
Euro hierfür flossen in 24 Projekte, Marktanalysen und
Machbarkeitsstudien, von denen 17 von Rüstungsunternehmen geleitet
wurden. Die GoP definierte die Schwerpunkte der Sicherheitsforschung,
die im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (RFP7) für die Jahre 2007 bis
2013 unter dem Posten "Sicherheit und Weltraum" (insgesamt 570 Mio.
Euro) mit jährlich 235 Mio. Euro gefördert werden sollen.
Im Anschluss wurden nationale Kontaktstellen für Sicherheitsforschung
benannt, die gemeinsam mit den jeweiligen Forschungsministerien sehr
breit gestreut mögliche Antragsteller informierten. Dabei griffen sie
auf private und öffentliche Institutionen zurück, welche zuvor einen
Überblick über die Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen boten. In
Deutschland wurden vom Bundesforschungsministerium eine Karte und eine schriftliche Zusammenfassung sowie vom Verteidigungsministerium eine Broschüre über mögliche Projektpartner angefertigt.
Die Gutachter
Mittlerweile sind die ersten zwölf Projekte zur Sicherheitsforschung im Rahmen des RFP7 bewilligt worden. Um diese auszuwählen, wurde eigens ein Gutachterkreis für den Bereich Sicherheit
eingerichtet, bestehend aus 143 Personen, von denen lediglich 38 Frauen
waren (für den nächsten Gutachterkreis wird ein Frauenanteil von 40%
angestrebt). Die meisten GutachterInnen stammten aus privaten
Unternehmen wie etwa dem Hersteller für Kleinwaffen FN Herstal
oder Forschungseinrichtungen, die staatlich bezuschusst werden. Von den
öffentlichen Einrichtungen, die vertreten waren, kommen ebenfalls viele
aus dem Bereich der Rüstung – vertreten waren die
Verteidigungsministerien mehrerer Länder und staatliche Ämter, die mit
der Strategieplanung und Ausrüstung der Streitkräfte beauftragt sind,
wie etwas das deutsche Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung.
Die EU war insbesondere durch 4 Mitglieder der EU-Rüstungsagentur und einen Vertreter der EU-Grenzschutzagentur Frontex beteiligt. Selbst die NATO hat über einen Mitarbeiter des George C. Marshall Centers
in Garmisch-Partenkirchen Einfluss auf die Bewilligung der Projekte
nehmen können. An "zivilen" Einrichtungen waren neben zahlreichen
Beratungsfirmen und Universitäten v.a. Polizeibehörden und
Innenministerien sowie einige Forschungsministerien vertreten.
Deutschland ist mit 16 GutachterInnen am stärksten präsent, gefolgt von
Italien mit zwölf und Frankreich und Großbritannien mit jeweils 10.
Außereuropäische Einrichtungen sind lediglich durch drei türkische und
vier israelische GutachterInnen vertreten.
Erste Recherchen zum Gutachterkreis haben zweierlei offenbart: Erstens
ist es im Bereich der Sicherheitsforschung schwierig, zwischen
öffentlichen und privaten Institutionen zu unterscheiden, da PPPs in
diesem Bereich weit vorangeschritten sind. So finden sich Firmen wie
die MoD Electronics, Logistics and Property Management Cooperation,
die sich vollständig oder teilweise im Besitz der
Verteidigungsministerien befinden, oder Forschungsgesellschaften, die
nur durch staatliche Aufträge entstanden sind oder fortbestehen können.
Zweitens haben sich mittlerweile zahlreiche Unternehmen gegründet,
deren vorrangige Dienstleistung darin besteht, Lobbyarbeit für die
Rüstungsindustrie zu betreiben, die Sicherheitsunternehmen zu vernetzen
oder die Umsetzung des RFP7 zu befördern, also die gemeinsame
Sicherheitsagenda voranzutreiben.
Science Fiction wird Realität
Aufschluss über diese Sicherheitsagenda liefern die
ersten zwölf bewilligten Projekte. Offensichtlich eingeflossen sind
dabei die Empfehlungen
der Frontex-Agentur zum Einsatz von Drohnen an den Außengrenzen und zu
einer besseren Vernetzung der nationalen Überwachungstechnologien, die
zur Kontrolle der Küsten eingesetzt werden. So wird am umfangreichsten
das Projekt TALOS
mit 12.9 Mio. Euro unterstützt, das unbemannte Flugkörper und Fahrzeuge
entwickelt, welch die Grenze überwachen sollen. Die Fördersumme bezieht
sich dabei v.a. auf die Fahrzeuge, die "zugleich als Kontrollposten und
first reaction patrols dienen sollen. Sie informieren den Control and
Command Centre sowie den Eindringling über seine/ihre Lage und
unternehmen nahezu autonom unter der Aufsicht von Grenzschutzbeamten
angemessene Maßnahmen, um die illegale Handlung zu unterbinden."
4.5 Mio. fließen hingegen in das Projekt SECTRONIC,
mit dem Schiffahrtsrouten überwacht werden, indem Daten von Satelliten,
Drohnen und Aufklärungsflugzeugen sowie Sensoren auf See wie an der
Küste zusammengeführt werden. Mehr als 3.5 Mio. Euro erhält das Projekt AMASS,
das mit Bojen auf See ebenfalls die Gewässer überwachen soll. Am
dahinter stehenden Konsortium unter der Leitung der Carl Zeiss
Optronics GmbH sind neben dem Fraunhofer Institut für Informations- und
Datenverarbeitung und der deutschen Firma IQ Wireless die Streitkräfte
Maltas und die Universität Las Palmas auf Grand Canaria beteiligt.
Neben der Bekämpfung des Schmuggels soll es auch bei diesem Projekt
ganz offiziell um illegale Migration gehen.
Ein drittes Projekt zur Überwachung der See und der Vernetzung der
hiermit beauftragten Behörden unter der Leitung von Thales wird mit
knapp 700.000 Euro unterstützt. Auch das mit 2.5 Mio. Euro geförderte
Projekt COPE zielt unter Beteiligung von BAE Systems darauf ab, die
Zusammenarbeit zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen
Behörden dadurch zu verbessern, dass sie international Bilddaten,
beispielsweise von Satelliten und Drohnen, besser austauschen können.
Mit 2.3 Mio. Euro wird IDETECT 4ALL dabei unterstützt, ein
kostengünstiges Gerät zu entwickeln, eine Art Bewegungsmelder, mit dem
so genannte Kritische Infrastrukturen weitläufig überwacht werden
können.
Mehrere der restlichen geförderten Projekte mit einem Volumen von unter
3 Mio. Euro dienen der Vernetzung der Nachfrager und Anbieter von
Sicherheitstechnologie und der nationalen Forschungsförderung. Nur drei
der zwölf Projekte mit einer Gesamtfördersumme von weniger als 5.5 Mio.
Euro können ihrer Anlage nach auch der Sicherheit breiter
Bevölkerungsteile dienen. Im Rahmen des Projekts CRISCOMSCORE soll ein
Leitfaden für die Mitarbeiter in Behörden für die Kommunikation im
Krisenfall entstehen, also Richtlinien für den Umgang mit Presse,
Angehörigen, Überlebenden etc. SICMA soll medizinischem Personal auf
der Grundlage von Simulationen computergestützte Entscheidungshilfen
bieten und BESECU beinhaltet eine "interkulturelle" Studie in sieben
europäischen Ländern zum Verhalten der Bevölkerung in Krisenfällen, die
Hilfskräften und Architekten hilfreich sein sollen. Zahlreiche der rund
150 begünstigten Unternehmen, Institute und Behörden waren im
Gutachterkreis vertreten. Auch unter den geförderten außereuropäischen
Unternehmen befinden sich fast nur israelische und türkische
Rüstungsfirmen.
Videoüberwachung von Menschenansammlungen im Hinblick auf verdächtigtes Verhalten
Im September 2007 hat die Europäische Kommission ein
weiteres informelles Gremium ins Leben gerufen, um die
Sicherheitsforschung und damit die Rüstungsindustrie zu fördern. Das
Europäische Forum für Sicherheitsforschung und Innovation (ESRIF). In
der Pressemitteilung der Kommission zu dessen Gründung heißt es:
Das ESRIF ist eine informelle, beratende Plattform, an
der die Interessengruppen aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor
auf freiwilliger Basis teilnehmen. Diese Interessengruppen sind die
Industrie, Forschungseinrichtungen, öffentliche und private Endnutzer,
Organisationen der Zivilgesellschaft, EU-Institutionen (insbesondere
das Europäische Parlament) und europäische Organisationen.
Ein öffentlich-privater Dialog im Bereich der Sicherheitsforschung ist
von zentraler Bedeutung für eine höhere Sicherheit der Infrastrukturen,
den Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Terrorismus, für
die Wiederherstellung der Sicherheit in Krisenzeiten sowie für eine
Verbesserung der Grenzüberwachung und -kontrolle. Bis Ende 2009 soll
das ESRIF eine gemeinsame Agenda für Sicherheitsforschung aufstellen,
die gegebenenfalls Empfehlungen an die Behörden enthalten wird. Das
Forum wird für eine begrenzte Zeit, bis Ende 2009, eingesetzt.
Die Europäische Union hat auf den Bedarf an mehr
Sicherheitsforschung mit zwei auf sieben Jahre ausgelegten
Rahmenprogrammen im Sicherheitsbereich reagiert, die mit insgesamt
2,135 Mrd. EUR für den Zeitraum 2007-2013 ausgestattet wurden. Dabei
handelt es sich um das 7. Forschungsrahmenprogramm, in dem auch die
Sicherheit ein Thema ist, und um das EU-Rahmenprogramm ´Sicherheit und
Schutz der Freiheitsrechte.´ Die Kommission hat kürzlich grünes Licht
für neue, spezifische Sicherheitsforschungsprojekte in folgenden
Bereichen gegeben: optische Technologien zur Kennzeichnung von
Sprengstoffen, Aufspüren von Sprengstoffen in städtischem Umfeld,
Videoüberwachung von Menschenansammlungen im Hinblick auf verdächtigtes
Verhalten sowie Terrorismusabwehr bei Großveranstaltungen.
Europäische Kommission
Auch im ESRIF haben die Männer das Sagen: Den Vorsitz führt der
ehemalige EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gijs de Vries,
stellvertretende Vorsitzende sind BKA-Vizepräsident Jürgen Stock und
Giancarlo Grasso von der italienischen Rüstungsfirma Finmeccanica. Hier
können Betreiber Kritischer Infrastrukturen, Anbieter von
Sicherheitstechnologie, Rüstungsfirmen und andere
Wirtschaftsunternehmen gemeinsam mit Sicherheitspolitikern und
Praktikern Bedrohungsszenarien entwickeln und ihre "Lösungen" anbieten,
für welche die EU dann Geld bereitstellt. Mit der Sicherheit der Bürger
hat dies nicht viel zu tun und eine kritische Evaluation der Risiken
neuer Technologien wird bislang nicht gefördert – noch nicht einmal in
der Funktion eines Feigenblattes.
Drohnen beispielsweise neigen um ein vielfaches häufiger zu Abstürzen
als bemannte Flugzeuge. Dabei können Menschen verletzt und getötet
werden. Wichtiger scheint aber zu sein, dass Kritische Infrastruktur,
Problemviertel und Grenzen kostengünstig überwacht werden.
Kostengünstig meint in diesem Falle Kapital- und nicht Arbeitsintensiv.
Auch die Rolle der Bürger- und Menschenrechte wird nur dem Namen nach
beachtet. So setzt sich das oben angesprochene "Rahmenprogramm
Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte" einem Entwurf der Kommission nach folgendermaßen zusammen:
Freiheitsrechte" soll für den Zeitraum 2007-2013 mit 745 Mio. EUR (zu
jeweiligen Preisen) ausgestattet werden. Davon sind 597,6 Mio. € für
das Programm ´Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung´ und 137,4
Mio. € für das Programm ´Prävention, Abwehrbereitschaft und
Folgenbewältigung im Zusammenhang mit Terrorakten´ vorgesehen.
Innerhalb dieser Mittelausstattung sind 10 Mio. EUR für
Verwaltungsausgaben hinzugefügt.
Rahmenprogramm Sicherheit und Schutz der Freiheitsrecht
Source: www.telepolis.de