Interview zum „entsichern“-Kongress

Am Wochenende (29./ 30. Januar) findet in Berlin der „entsichern“-Kongress statt, der sich kritisch mit der quasi-Staatswerdung der Europäischen Union beschäftigt. Themen sind neben der Versicherheitlichung auch Aufstände gegen „Krisenpläne“ oder die Analyse des Versuchs der EU, per „Policy Laundering“ eine Politik zu betreiben die in den Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene nicht durchsetzbar wäre.

euro-police: Im Februar findet in Berlin der „14. Europäische Polizeikongress“
statt. Wer steckt dahinter und welche Themen werden auf der
Veranstaltung besprochen?

OoC: Veranstalter ist wie jedes Jahr die Verlagsgruppe der Zeitschrift “Behörden Spiegel”. Der Kongress dient der internationalen Kungelei von Polizeien, Politiker_innen und der Sicherheitsindustrie. Unter dem diesjährigen Motto “Migration – Integration – Sicherheit in Europa im Wandel“ wird erneut behauptet, Migration sei ein Sicherheitsproblem. Es geht nicht um Menschenrechte, sondern um Investitionen für die europäische Wirtschaft. Als “Risiken” bezeichnete Unwägbarkeiten sollen unter Zuhilfenahme von Technik und Sozialwissenschaften zivil-militärisch kontrolliert werden.

euro-police: Seit 2008 wird der Polizeikongress von Protesten begleitet. In
diesem Jahr organisiert ihr die Gegenkonferenz „entsichern“. Was steht
auf dem Programm?

OoC: Einerseits möchten wir Teilnehmer_innen ein fundiertes Wissen über Institutionen, Verträge und die Auswirkungen der Politik der Europäischen Union zugänglich machen. Andererseits wollen wir in Diskussionen und einer Podiumsveranstaltung Perspektiven für eine radikale Linke bezüglich der EU entwickeln. Über den Umweg der EU werden Politiken durchgesetzt, die auf nationaler Ebene großen Widerstand hervorrufen würden. Wir wollen auf dem Kongress die Auswirkungen der Finanzkrise, den brandaktuellen Rechtsruck oder zivil-militärische Kooperationen diskutieren. Wesentlich sind selbstredend die Auswirkungen der Repression gegen soziale und revolutionäre Bewegungen. Wir untersuchen Extremismustheorien, Aufstandbekämpfungstaktiken und grenzüberschreitende Polizeikooperationen.

euro-police: Die Themen Datensicherheit und Überwachung sind in den letzten
Jahren intensiv durch das „Freiheit statt Angst“-Bündnis thematisiert
worden. Gibt es eine Zusammenarbeit?

OoC: Bei der letztjährigen FSA-Demo haben wir als Teil des linksradikalen Bündnisses mit antikapitalistischen Forderungen immerhin die meisten Teilnehmer_innen mobilisiert. In Bündnissen mit bürgerlichen Gruppen thematisieren wir den Zusammenhang von Kapitalismus und daraus resultierender staatlicher Überwachung und Repression. Für den Kongress ist uns eine radikale Staats- und Kapitalismuskritik wichtig, die sich nicht in bürgerlichen Rechtsstaatsideologien verliert. Das wäre in Zusammenarbeit mit dem besagten Bündnis wohl eher schwierig geworden.

euro-police: Neben der Theorie wollt ihr auch auf der Straße protestieren. Anders
als in den letzten Jahren findet der Gegenprotest in diesem Jahr circa
zwei Wochen vor dem Polizistentreff statt. Warum?

OoC: Für uns ist die inhaltliche Auseinandersetzung genauso wichtig wie der Kampf auf der Straße. Die reisende radikale Linke hat im Februar zahlreiche andere wichtige Termine. Deshalb entschieden wir uns für das letzte Januarwochenende. Wir haben allerdings gehört, dass auch während des Polizeikongresses am 15. und 16. Februar keine Friedhofsruhe einkehrt. Mit ihrer Themenauswahl und der Einladung der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström provoziert der Veranstalter geradezu zu vielfältigen Widerstand.

euro-police: Drei Tage nach dem Gegenkongress wird es einen Großeinsatz der
Berliner Polizei gegen die radikale Linke geben. Das Projekt „Liebig14“
soll geräumt werden. Versteht ihr eueren Protest als Teil der jüngst
angekündigten Protestphase für den Erhalt der Liebig14?

OoC: Der Zufall (oder die Polizei) hat die zeitliche Nähe gebracht. Wir sind solidarisch mit den Kämpfen um selbstverwaltete und unkontrollierte Räume und sehen uns als Teil der “Protestphase”. Wir erwarten positive Wechselwirkungen zwischen unserer Demonstration “In offener Feindschaft – Still not loving Police” am Freitag, dem Kongress und dem Widerstand gegen die Räumung der Liebig14. Die drohende Räumung der Liebig14 illustriert zudem Strukturen, die wir auf dem Kongress behandeln. Hausprojekte und andere Freiräume werden regelmäßig als Unruheherde oder “Terrornester” kriminalisiert. Wer Eigentumsverhältnisse oder steigende Mieten in Frage stellt, gilt als Extremist. Gentrifizierung wiederum ist nicht ohne Immobilienspekulationen zu begreifen, die unter anderem zur derzeitigen Krise geführt haben. Das für Mittwoch erwartete polizeiliche Einsatzszenario wird Techniken einer “Crowd-Control” mitbringen, die in von der EU-Kommission finanzierten Übungen in die ganze Welt exportiert werden. Das jüngste “European Police Forces Training” (EUPFT) fand auf Truppenübungsplatz der Bundeswehr in Lehnin bei Potsdam statt. Thematisch liegt die angekündigte Räumung also ganz nah am entsichern-Kongress.

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