Chaos Communication Camp: Vergesst die Heart of Gold

[heise] Die Fähre zur Heart of Gold
ist in der schnöden Realität eine kleine adipöse Rakete: Sie ist das
Wahrzeichen des dritten Chaos Communication Camps. Nachts ist die
Luftrakete (Luft wie in Luftmatratze) festlich erleuchtet und
verspricht eine nette Reise weg von einem durchgedrehten Planeten in
das rundum verrückte Universum. Tagsüber ist der Schatten des kleinen
Birkenwäldchens voller Hängematten wichtiger, bei dem Heart of Gold
steht. Nun bekommt das Raumschiff aus der DNA-Mythologie
heftige Konkurrenz: Weltraumzeppeline, Selbstbau-Überwachungsdrohnen
und andere Vehikel sind für Hacker weitaus interessanter als ein Stück
luftgefülltes Plastik, das bestenfalls Sternenstaub auspusten kann.

Warum soll Hackern der Weltraum verschlossen sein? Warum sollen nur
die Überwacher "Luftnägel" einschlagen dürfen, die den Raum unter sich
beobachten und auswerten? Keine Frage, dass hier reizvolle Aufgaben für
Hacker liegen, die Technik anders einzusetzen. Ralph Bruckschen von JP Aerospace
berichtete zum Auftakt des Sommercamps dementsprechend vom anderen,
alternativen Raumfahrtprogramm Amerikas, das ganz ohne Monsterraketen
auskommen soll. Im Kern besteht dieses Programm daraus, möglichst
energieschonend im Stil der hochfliegenden Wetterballone mit
Mega-Zeppelinen die Stratosphäre zu überwinden, dort erst die Teile für
ein Ionenantriebsraumschiff zusammenzusetzen und dann loszudüsen, mit
der Energie aus den Hüllen der Transporteure, ohne Antimaterie und
Science-Fiction-Firlefanz-Beamerei.


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Etwas näher an den deutschen Realitäten präsentierte der Hacker Steini
komplett mit Flugvorführung aus dem Vortragshangar heraus die
Möglichkeiten der industriellen Flugdrohne MD4-200. Sie wird bei
schwachem Wind von Architekturbüros zur Vermessung bei Großprojekten
eingesetzt und kann als Luftnagel mit der Funktion "GPS hold" exakt
eine Position halten. Nach dem Hacker-Motto "Watching them watching us"
zeigte Steini Videos, die von der kamaerabestückten Drohne über
Heiligendamm schwebend aufgenommen wurden. Das Ganze wenige Tage vor
dem G8-Gipfel, mit offizieller Genehmigung der Polizeikommission
"Kavala". Stupender als die scharfen Bilder, die die Drohne lieferte,
waren allerdings die von Steini wiedergegebenen Dialoge mit dem
Sicherheitspersonal vor Ort: "Ach, das ist unsere neue Drohne?" "Nein,
das ist UNSERE neue Drohne." "Dann sind sie also vom BKA oder LKA?"
"Nein." "Dann sind Sie von den Geheimen …" Auch die von der Drohne
aufgnommenen Polizisten winkten freundlich in die Kamera der
schwirrenden Kontrollhummel, schließlich soll die Technik zum Einsatz
kommen, wenn Scharfschützen richtig positioniert werden müssen.


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Vor der mit Applaus überschütteten Demonstration spielte der CCC-Hacker
einige Videos von Drohnen ein, die in einer Art Bumerang das Gelände
erkundeten, als Technokröte mit Watschelgang durchs Unterholz, durch
Schlamm und Matsch krochen oder fischgleich den Tümpel nach
verdächtigen Inhalten durchsuchten. Die Message: Drohnen als kleine
extrem agile und mobile Überwachungseinheiten gehören zum Inventar
eines Präventivstaates, der immer auf der Lauer liegt.

Besagter Steini hatte seine Drohne ohne die Bilder aus Heiligendamm schon auf dem weihnachtlichen Hackertreffen 23C3
vorgeführt, verbunden mit der Aussage, dass es die Community nicht
schaffen werde, sich zum nächsten Kongress in die Technik
einzuschlumpfen. Doch die Meldung im Heiseticker feuerte gleich ein
Dutzend Hacker an, sich an den Bau von Mikrokoptern
zu wagen. Zur großen Flugvorführung waren bis zu sechs Selbstbaudrohnen
in der Luft, besonders beeindruckend bei Nacht mit entsprechender
UFO-Beleuchtung. Die "Mini-Flieger für den Großen Lauschangriff" wurden
prompt im Regionalfernsehen (Video-Datei) vorgestellt und bereicherten den Kongress mit dem Charme der Modellfliegerei.

Bleibt die Frage, wie lange derartige Spielereien erlaubt sind. Denn
die GPS-gestützten Flieger der Selbstbauer können Vieles, was die
kommerziellen Drohnen bieten, auch wenn sie nicht so robust ausgelegt
sind. Die Diskussion um die private Überwachung wird spätestens dann
geführt werden, wenn billige Selbstbaukits für immer kleiner werdende
Drohnen auf den Markt kommen. Bei den Elektrofahrrädern,
die Maximilian Bauer vorstellte, gelten die
Pedelec-Zulassungsbestimmungen der EU für Kleinkrafträder. Sie
limitieren die Geschwindigkeit auf 25 km/h. Ob es Sinn macht, bis zu 30
Kilogramm schwere Batterien auf ein Fahrrad zu laden, wurde kontrovers
diskutiert. Keine Frage jedoch, dass die "Hackability" auch bei diesem
Selbstbauprojekt fasziniert. Bei kommerziellen Elektrofahrrädern
erlischt sofort die Zulassung, wenn man sich an den Innereien zu
schaffen macht. Für einen richtigen Hacker ist das kein akzeptabler
Zustand. Er würde auch die Heart of Gold auseinandernehmen, wenn sie
nicht mit Luft gefüllt wäre.

Siehe zum 3. Chaos Communication Camp:

Zum 2. Chaos Communication Camp 2003 siehe auch:

(Detlef Borchers) /
(jk/c’t)

Source: http://www.heise.de/newsticker/meldung/94172/