Korruption in der Wissenschaft?

Thomas Barth

Sonderforschungsbereich "Governance" an der FU Berlin in der Kritik
Korruption in der Wissenschaft kann Verschiedenes bedeuten. Manche
Wissenschaftler fälschen Ergebnisse, um ihren Job zu behalten
-klassischerweise Naturwissenschaftler und Mediziner. Manchmal
bereichern Forschungsergebnisse oder Einrichtungen und Möglichkeiten
der Universitäten private Firmen, die z.B. ein Professor oder
Uni-Vizepräsident gegründet hat, wie man an der neoliberalen
Vorzeige-Uni Leuphana in Lüneburg derzeit vermutet.

[heise.de] Vielleicht werden auch manchmal Forschungsgelder ganz einfach für
private Belange zweckentfremdet. Manche sehen eine Korruption der
Wissenschaft auch schon dann gegeben, wenn Forschung nicht zur reinen
Erkenntnis oder zum Nutzen des Allgemeinwohls betrieben wird, sondern
sich in den Dienst von Machtinteressen stellt – und seien es auch die
der eigenen Regierung oder der Europäischen Union. Vor allem letzteres
wird dem drittmittelfinanzierten Sonderforschungsbereich (SFB) 700 "Governance
in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Neue Formen des Regierens"
vorgeworfen. Argwohn erregt dabei z.B., wie diese "embedded science"
den (vom Westen erklärten) "failed states" ihre staatliche Souveränität
aberkennt.

Der am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin angesiedelte
SFB 700 hat seine Arbeit 2006 aufgenommen und wird von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. 2009 arbeiteten dort bereits um
die 40 Wissenschaftler in 19 Teilprojekten am Thema Governance, "dem Regieren". SFB-Forscher Thomas Risse versteht unter Governance
ein Konzept mittlerer Reichweite, das die Gesamt aller nebeneinander
bestehenden Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher
Sachverhalte in sich vereint, "von der institutionalisierten
zivilgesellschaftlichen Selbstregelung über verschiedene Formen des
Zusammenwirkens staatlicher und privater Akteure bis hin zu
hoheitlichem Handeln staatlicher Akteure".

Man fragt nach den Bedingungen von Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit:

…d.h. in Entwicklungs- und Transformationsländern,
"zerfallen(d)en Staaten" in den Krisenregionen der Welt oder, in
historischer Perspektive, verschiedenen Kolonialtypen. Wie und unter
welchen Bedingungen werden Governance-Leistungen
in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt in Räumen
begrenzter Staatlichkeit erbracht, und welche Probleme entstehen dabei?

Derzeit scheint der SFB 700 Probleme mit der Governance
seinen eigenen Finanzen zu haben. Im Internet kursiert ein anonymes
Papier "Intervention im SFB 700 – Gegen eine bedingungslose
Verlängerung des SFB 700! Für die Sicherung von Demokratie und breiter
Lehre am Fachbereich Politik und Sozialwissenschaften!", in dem die
wissenschaftliche Zielrichtung ebenso wie die Personalpolitik
kritisiert wird. Eine Kritik, die auch Blogger im Fachbereichsrat zu teilen scheinen.

Man habe bei Studien zu Public Private Partnerships im Bereich
Daseinsfürsorge an der Erhöhung der Akzeptanz für die Privatisierung
von Wasserwerken geforscht – kein nobles Anliegen, wie die Kritiker
finden. Doch es kommt noch schlimmer: In einer Sitzung des
Institutsrats sei jüngst bekannt geworden, dass die damalige Dekanin
Barbara Riedmüller "individuelle Zielvereinbarungen" mit den zentralen
SFB-Forschern Thomas Risse und Tanja Börzel über jeweils 10.000 €
abgeschlossen habe, obwohl solche Vereinbarungen selbst nach eigenen
Maßgaben nicht zulässig, wenn nicht gar rechtswidrig seien. Nachdem
dieser Skandal publik wurde, habe Prof. Börzel erklärt, dass weder sie
noch ihr Kollege Prof. Risse (der zugleich ihr Ehepartner ist) diese
Gelder nunmehr anrühren wollten. Bei telefonischen Anfragen nach Zweck
und Umständen der Geldzusage war keiner der drei beteiligten
Hochschullehrer erreichbar, doch in den Sekretariaten schien man sich
der Brisanz der Affäre durchaus bewusst. Per Email teilte Frau Prof.
Börzel immerhin am 9.7.09 mit:

 

Als seriöser Journalist werden Sie sicherlich verstehen, dass wir zu derartigen Äußerungen keine Stellungnahmen abgeben.

Tanja Börzel

Seinen Sitz hat der SFB 700 im Alfried-Krupp-Haus
Berlin, das der Freien Universität Berlin von der Alfried Krupp von
Bohlen und Halbach-Stiftung für die Laufzeit des
Sonderforschungsbereiches zur Verfügung gestellt wurde. Schon bei der
Wahl des Ortes sehen Kritiker ungute Vorzeichen: Alfried Krupp war
bereits 1931 förderndes Mitglied der SS und brachte es 1937 bis zum
Wehrwirtschaftsführer. 1948 wurde er vom US-Militärtribunal in Nürnberg
wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwölf
Jahren Haft und zur Einziehung seines gesamten Vermögens verurteilt.
Ihm war nachgewiesen worden, dass er von der Ausbeutung von
Zwangsarbeitern profitiert hatte und zudem auch an der Plünderung von
Wirtschaftsgütern in den von Deutschland besetzten Gebieten beteiligt
war. Doch bereits 1951 wurde Krupp von der Justiz des Adenauer-Regimes
aus der Haft entlassen. Eichmann in Jerusalem hatte sich vergeblich
darauf berufen, weniger belastet zu sein als sein Nazi-Vorgesetzter
Globke, der Adenauers wichtigster Berater war. Krupp hatte vor
westdeutschen Gerichten mehr Glück; 1953 erhielt er sogar sein gesamtes
Vermögen zurück. In seiner Nachfolge und zu seinem Andenken wird damit
heute auch der SFB 700 gefördert.

Der SFB-Kritiker Peer Heinelt betrachtet in seinem Aufsatz
"Herrschaftswissen. SFB 700: Ein Institut an der FU Berlin liefert
Informationen und Strategiekonzepte für bundesdeutsche
Großmachtpolitik" besonders argwöhnisch den Ansatz von Juniorprofessor Sven Chojnacki,
einem der Projektleiter des SFB 700. Der Politologe Chojnacki arbeite
an einem "Datenbankprojekt", das Informationen zu
"Akteurskonstellationen, Strukturbedingungen und Gewaltdynamiken inner-
und substaatlicher Kriege nach 1990" bereitstellen solle. Sein
erklärtes Ziel sei dabei die "präzise Erfassung von gewaltsamen
Konflikthandlungen auf Ereignisbasis" und die Kartierung "lokaler,
regionaler oder transnationaler Konfliktformationen". Damit sei
möglich, einen "systematischen Einblick" in "Eskalations- und
Deeskalationsdynamiken" zu gewinnen. Neben Angaben zu den
"militärischen und finanziellen Möglichkeiten der involvierten Akteure"
solle die Datenbank auch "Informationen zu militärischen Handlungen"
enthalten und "Häufigkeiten und Charakteristika externer
Steuerungsversuche (militärische Intervention)" berücksichtigen.

Chojnacki zufolge schließe das Projekt mit dieser "innovativen
Eigenleistung" nicht nur eine "zentrale Lücke in der nationalen und
internationalen Konflikt- und Sicherheitsforschung", sondern übernehme
zugleich sowohl eine "Dienstleistungs-" wie auch eine "Pilotfunktion"
für ähnlich gelagerte Forschungsaktivitäten. Auf der Basis der
Untersuchung der Modalitäten vergangener Bürger- und
Interventionskriege würden also, so Kritiker Heinelt, Informationen
über zukünftige Interventionsgebiete umfassend gebündelt und
ausgewertet, wobei das Interesse vor allem rohstoffreichen Länder des
Südens gelte.

Im Forschungsprojekt "Theoretische Grundlagen" des SFB 700 wird laut
Peer Heinelt unter anderem der Frage nachgegangen, wie internationale
Institutionen und NGOs (Non-Governmental-Organizations) eine sogenannte
"Good Governance" verdeckt steuern können und inwieweit externe
Eingriffe und Aufbauhilfen notwendig wären. Exemplarisch geschehe dies
anhand von Fallstudien zu einem Schwellenland, dessen Gebietsherrschaft
in Teilen des Territoriums in Frage stehe (Mexiko/Chiapas), und einem
zerfallenden Staat (Georgien). Die in diesem Zusammenhang entwickelten
"Lösungsstrategien" wolle man für andere Auseinandersetzungen mit
vergleichbaren Akteurskonstellationen fruchtbar machen.

Ob die ethische Seite solcher Forschungen wirklich
ausreichend geklärt ist, dürfte zweifelhaft sein. Die Studien sind
nicht so angelegt, dass sie Opfern von Ausbeutung und Unterdrückung
Hilfe anbieten, sondern scheinen eher die Methoden kolonialistischer
Herrschaft perfektionieren zu wollen. Wenn in der Governance-Theorieschule
lieber von dem "Regieren" als von der Regierung gesprochen wird, dann
spürt man förmlich das Verbiegen der politischen Begrifflichkeiten:
Nicht Verantwortliche in der sich demokratisch zu legitimierenden
Institution der Regierung sind angesprochen, sondern ein
entpersonalisiertes prozesshaftes Regieren. Nicht einmal adressatloses
Moralisieren würde in so einer Perspektive noch Sinn machen, geschweige
denn die Suche nach den Tätern: Verantwortung für Versagen, Korruption,
Regierungsverbrechen? Keine Frage: es wurden nur ein paar Fehler
gemacht, die Governance war noch nicht ausreichend optimiert.

Sichtbar werden dabei auch neue Steuerungsmodelle, die Herrschenden
auch hierzulande helfen könnten: Wie man mittels NGOs (Bertelsmann
Stiftung) und internationalen Organisationen (EU, Lissabon-Vertrag)
eine im Sinne der so steuernden Akteure "gute Regierung" praktiziert,
können wir gerade erleben – optimiert wird unsere "Governance" nun dank der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.


Thomas Barth ist Mitautor von Elmar Altvater u.a.: "Privatisierung und
Korruption. Zur Kriminologie von Globalisierung, Neoliberalismus und
Finanzkrise" (libri.de 2009), Autor von "Finanzkrise, Medienmacht und
Corporate Governance:
Korruptionsbekämpfung in der Europäischen Union. Kriminologische,
gesellschaftsrechtliche und ethische Perspektiven" (VDM 2009) sowie
Hrsg. von "Bertelsmann: Ein Medienimperium macht Politik" (libri.de
2006).

Source: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30714/1.html