Herausforderungen
auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit im transatlantischen Verhältnis –
Wie können wir persönliche Freiheitsrechte und Sicherheit miteinander
vereinbaren?
Vor knapp zwei Wochen haben wir uns an die schrecklichen
Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001
erinnert. Dieser Tag hat auf grauenvolle Weise eine neue Dimension des
Terrors und eine weltweit neue Bedrohungslage offenbart. Der
islamistische Terrorismus stellt heute die größte Gefahr für unsere
Sicherheit dar. Er ist kein nationales Problem mit
grenzüberschreitenden Bezügen – wie es der Terrorismus der 70er Jahre
war. Er ist eine globale Bedrohung aller westlichen Gesellschaften.
Die Vereinigten Staaten von Amerika erscheinen aufgrund ihrer
Vormachtstellung zwar nach wie vor im Fokus terroristischer
Botschaften. Der Terror richtet sich aber letzten Endes gegen alle
freien Gesellschaften. Die Anschläge etwa von Madrid und London, bei
denen hunderte Menschen ums Leben kamen, sind traurige Zeugnisse
hierfür.
Auch Deutschland ist zunehmend im Blickfeld der Terroristen –
wenn auch Glück und die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden bisher
Anschläge verhindert haben.
Im vergangen Jahr hatten wir einfach Glück, dass zwei
Kofferbomben, die bereits im Zug platziert waren, wegen eines kleinen
technischen Fehlers nicht zündeten. Wäre es nach dem Plan der
Bombenleger gegangen, hätten sehr viele Menschen ihr Leben verloren.
Anfang dieses Monats haben unsere Sicherheitsbehörden drei
Terrorverdächtige festgenommen und so massive Anschläge verhindert, die
unmittelbar bevorstanden. Die Verdächtigen hatten nach unseren
Erkenntnissen den Auftrag, in Deutschland mehrere Anschläge auf
amerikanische Einrichtungen zu verüben. Dafür haben sie Chemikalien,
Kabel und Zünder beschafft. Das Sprengmaterial – zwölf Fässer
Wasserstoffperoxid – hätte ausgereicht, um Bomben mit einer höheren
Sprengkraft als bei den Anschlägen in Madrid und London zu bauen. Als
die Beschuldigten anfingen, den Sprengstoff zu mischen, sind unsere
Behörden rechtzeitig eingeschritten.
Am Beginn modernen Staatsdenkens stand die Vorstellung, dass es
die erste und wichtigste Aufgabe des Staates sei, Sicherheit zu
gewährleisten, um Bürgerkriege zu verhindern und Vorkehrungen gegen
Angriffe äußerer Feinde zu treffen. Das staatliche Gewaltmonopol
legitimierte sich in der Schutz und Sicherheit gewährenden Funktion des
Staates.
Bei der Erfüllung dieser Aufgabe gilt es, die Balance zwischen
sicherheitspolitisch Notwendigem und rechtsstaatlich Vertretbarem zu
halten. Dabei besteht kein kategorischer Gegensatz zwischen Sicherheit
und Freiheit. Vielmehr stehen diese beiden Ziele in einem Verhältnis
wechselseitiger Ergänzung, das mit einem Denken in Gegensätzen nicht
erfasst werden kann.
Freiheit setzt Sicherheit voraus. Freiheit im Rechtsstaat setzt
Bindung an das Recht voraus. Denn wenn der Rechtsfrieden und die
Rechtssicherheit nicht gewährleistet sind, verliert sich die Freiheit
sehr rasch.
Es ist die Aufgabe der Staatsgewalten – des Gesetzgebers ebenso
wie der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung –, diese Balance zu
halten und immer wieder herzustellen.
Das gilt auch in der Auseinandersetzung mit den neuen Bedrohungen
des 21. Jahrhunderts: internationaler Terrorismus und
grenzüberschreitende Kriminalität. Ebenso wie wir eine zunehmend
globalisierte Gesellschaft, eine globalisierte Wirtschaft haben,
verändern sich auch Kriminalität und Terrorismus. Deswegen kann die
Sicherheitslage unserer Länder – insbesondere auch die innere
Sicherheit – heute weniger denn je isoliert von den weltweiten
Sicherheits- oder Konfliktlagen bewertet werden.
Zu den neuen Bedrohungen gehört nicht nur, dass wir weltweit
vielfältige Krisen und Konflikte haben, sondern auch, dass diese nicht
mehr ausschließlich von souveränen Staaten beherrscht werden: Das
Konfliktgeschehen wird heute auch von Bürgerkriegen, von
selbsternannten Warlords, Guerilla-Kämpfern, regionalen und privaten
Kriegsherren bestimmt. Die Bedrohungen, die vom Verlust staatlicher
Souveränität, von failing states und asymmetrischer Kriegsführung
ausgehen, sind schwerer berechen- und kontrollierbar.
Die weltweiten Spannungen und Konflikte sind der Nährboden für
terroristische Entwicklungen. All das macht es uns nicht leichter,
Grenzen zu ziehen oder auch nur zu definieren. Und so zwingt uns die
globalisierte, vernetzte und mobile Welt geradezu, auch
sicherheitspolitisch auf die Auflösung des Gegensatzes von innen und
außen zu reagieren.
Eine große sicherheitspolitische Herausforderung unseres
Jahrhunderts ist dabei die Asymmetrie der Konflikte. Die Asymmetrie in
der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus beschränkt sich dabei nicht
auf das Kampfgeschehen, unterschiedliche militärische Stärke und
Legitimation. Asymmetrie erfasst die gesamte Konfrontation mit dem
internationalen Terrorismus. Die neue Dimension asymmetrischer
Konflikte liegt etwa auch darin, dass der massenmedialen Verbreitung
des Geschehens eine besondere Bedeutung zukommt: Es geht um
Medienhoheit im globalen Maßstab, mehr noch als um militärische
Überlegenheit geht es um die Aufmerksamt der Weltöffentlichkeit.
Es gibt keine fertigen und verlässlichen Antworten auf die Frage,
wie wir die Geißel des Terrorismus in den Griff bekommen können.
Deshalb müssen wir lernfähig sein. Es gibt auch keine absolute
Sicherheit vor terroristischer Bedrohung. Das entbindet uns jedoch
nicht von der Verantwortung, immer wieder ein Optimum zu suchen.
Mit zunehmender Durchlässigkeit – oder sogar dem Wegfall – von
Grenzen, also mit zunehmenden grenzüberschreitenden Aktivitäten der
Menschen insgesamt – einschließlich der Kriminellen und Terroristen –
brauchen wir eine stärkere internationale Zusammenarbeit. Wir müssen
ebenso grenzüberschreitend agieren wie Terroristen und Kriminelle, und
wir müssen ebenso vernetzt sein – international wie national.
Wir müssen operativ auf der Höhe derjenigen sein, die unsere
Sicherheit gefährden. Das heißt, wir müssen die technischen Mittel
anwenden und kontrollieren, die Kriminelle und Terroristen im 21.
Jahrhundert zur Ausübung ihrer Taten nutzen.
Das wichtigste Instrument im Kampf gegen den Terrorismus ist
intelligence. Nur mit Informationen haben wir eine Chance, Bedrohungen
abzuwehren, bevor Schaden entstanden ist. Deswegen ist die Erlangung
und Vernetzung von Informationen, effektive Ermittlungsarbeit und
Kooperation der Behörden – national wie international – unverzichtbar.
Wir haben hier seit dem September 2001 schon vieles erreicht,
auch und gerade in der internationalen Zusammenarbeit. Ein Erfolg ist
auch das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen
Union zur Übermittlung von Fluggastdaten, das im Juni abgeschlossen
wurde. Ebenfalls während der deutschen Ratspräsidentschaft haben
Europäische Union, Kommission und Vereinigte Staaten Einvernehmen über
den Austausch von internationalen Zahlungsverkehrsdaten erzielt. Wir
müssen auf diesem Weg weitergehen. Deswegen habe ich mich während
meiner Reise in die Vereinigten Staaten vor einem Jahr mit meinem
Kollegen Michael Chertoff darüber verständigt, ein bilaterales Abkommen
zur Intensivierung des Informationsaustauschs zwischen Deutschland und
den Vereinigten Staaten vorzubereiten.
Im Kampf gegen den Terrorismus spielt das Internet eine besondere
Rolle. Die dezentrale und herrschaftslose Struktur des Internets bietet
den Terroristen ein gigantisches Forum: Es ist Kommunikationsplattform,
Werbeträger, Fernuniversität, Trainingscamp und think tank in einem und
dient zudem der Rekrutierung neuer Terroristen.
Die globale Informationsgesellschaft ist eben auch die Basis des
Verbrechens. Deswegen darf der demokratische Rechtsstaat – was die
Nutzung und Kontrolle der Informationstechnologie betrifft – nicht
hinterwäldlerisch sein. Der Rechtsstaat muss Terroristen und
Kriminellen dort begegnen, wo sie operieren.
Bei der Gewinnung und Vernetzung von Informationen stoßen wir
immer schnell an datenschutzrechtliche Bedenken und Begrenzungen. Die
Notwendigkeit des Datenschutzes ist unbestritten.
Mein Verständnis von Datenschutz ist es allerdings nicht, dass
sich der Staat selbst blind und dumm macht. Datenschutz bedeutet nicht,
dass der Staat wegschauen muss, wenn es um die Vorbereitung schwerster
Straftaten geht. Datenschutz bedeutet nach meinem Verständnis, dass der
Gesetzgeber transparente Grundlagen schafft, wer welche Daten wofür
erhebt, welche Daten vernetzt werden können, wie lange sie gespeichert
werden usw.
Diesem Ziel dient auch die Einrichtung einer hochrangigen
Kontaktgruppe Datenschutz, die die Vereinigten Staaten von Amerika und
die Europäische Union im November 2006 beschlossen haben. Sie soll dem
notwendigen Datenaustausch eine verlässliche rechtliche Basis schaffen.
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sind sich hier im
Kern einig, wenngleich es beim Datenschutz auch Unterschiede in den
Rechtssystemen gibt.
Die Untrennbarkeit von innerer und äußerer Sicherheit in einer
globalisierten Welt bringt es mit sich, dass wir unsere Sicherheit
durch Auslandseinsätze erhalten müssen. Wir sind eben in fast jeder
Beziehung – wirtschaftlich, politisch und eben auch, was unsere
Sicherheit betrifft – von Entwicklungen in allen Teilen der Welt
abhängig.
In Deutschland muss man das noch gelegentlich erklären, wenn die
Menschen fragen, was unsere Soldaten beispielsweise in Afghanistan
machen: Sie arbeiten für die Sicherheit der Menschen in Ländern, die
viel weiter westlich liegen. In den Vereinigten Staaten hat man damit
traditionell weniger Schwierigkeiten. Diese Einsätze sind notwendig, um
die Bedrohungslage im Griff zu behalten und die Sicherheit zu
stabilisieren.
Zugleich müssen wir aber darauf achten, dass wir durch
militärische Einsätze nicht mehr Provokation erzielen als in der Sache
voranzukommen. Entscheidungen in asymmetrischen Konflikten erfolgen
nicht nur auf militärischem, sondern auch auf wirtschaftlichem,
sozialem und politischem Gebiet. Deswegen werden wir die Konflikte
nicht allein mit Waffengewalt lösen. Letztlich geht es darum, die
Menschen von unseren Werten einer freien Gesellschaft zu überzeugen.
Nur so können wir Krisenregionen auf Dauer stabilisieren. Dabei spielen
übrigens auch die Medien eine nicht zu unterschätzende Rolle.
In Deutschland habe ich vor einem Jahr die Deutsche Islam Konferenz
ins Leben gerufen. Damit wollte ich einen dauerhaften,
institutionalisierten Dialog mit den Muslimen in Deutschland in Gang
setzen. Auch das ist neben anderen Dingen eine wichtige Aufgabe in
unserer globalisierten Welt: dass die zunehmend heterogenen
Gesellschaften nicht auseinanderdriften, sondern ein
Gemeinschaftsgefühl erhalten bleibt. Wir brauchen multilaterale
Zusammenarbeit anstatt unilateraler Entscheidungen.
Die Anstrengungen und das Engagement der einzelnen Länder sind die
Basis für eine wirksame Verbrechensbekämpfung. Zugleich gilt aber auch,
dass unilaterale Entscheidungen in unserer modernen, globalisierten
Welt nicht mehr weit tragen – gerade weil es in der asymmetrischen
Auseinandersetzung mit dem Terrorismus nicht nur um militärische
Überlegenheit, sondern auch um öffentliche Wahrnehmung unseres Handelns
geht. Wir brauchen eine stärkere Abstimmung untereinander, wenn wir das
gemeinsame Ziel, nämlich Freiheit und Sicherheit in unseren Staaten
langfristig zu erhalten, erreichen wollen.
Wir brauchen auch ein gemeinsames Verständnis internationaler
Sicherheitspolitik, um bei der Bekämpfung des internationalen
Terrorismus weltweit handlungsfähig und schließlich erfolgreich zu
sein. Und so frage ich mich manchmal, ob wir nicht auch im
transatlantischen Verhältnis etwas bräuchten, was dem gemeinsamen „Raum
der Freiheit, Sicherheit und des Rechts“ in der Europäischen Union
entspricht – eine Art transatlantischen Sicherheitsraum, der auf einer
soliden vertraglichen Grundlage beruht.
Auch sollten wir uns bemühen, völkerrechtlichen Fragen mit Blick
auf den Wandel des Konfliktgeschehens zu diskutieren. Meine Überzeugung
ist, dass nationale Rechtsordnungen wie internationales Recht auf die
neuen Formen der Bedrohungen im Grunde nicht mehr wirklich passen. Mit
dem Verschwimmen der Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit
hilft uns die Unterscheidung zwischen Völkerrecht im Frieden und
Völkerrecht im Krieg in vielen Fällen nicht mehr weiter. Die
Unterscheidung zwischen Kombattantenstatus und Nicht-Kombattantenstatus
scheint nicht mehr ausreichend.
Und so gibt es eine Reihe von Fragen, bei denen wir nur sehr
zögerlich anfangen, sie in der öffentlichen Debatte auf den Weg zu
politischen Entscheidungen zu führen. Ich kann keine fertigen Antworten
liefern. Aber ich glaube schon, dass wir diese Debatten auch
international führen müssen. Alleine können sie keinem Land gelingen.
Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika teilen die
Überzeugung, dass Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit untrennbar
miteinander verbunden sind. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass
jedem Menschen eine einzigartige Würde innewohnt. Wir sind überzeugt,
dass jedermann Anspruch auf ein selbstbestimmtes und
eigenverantwortliches Leben in einer solidarischen Gesellschaft hat.
Diese Übereinstimmung ist eine solide Basis, um gemeinsam gegen den
islamistischen Terrorismus vorzugehen, um gemeinsam unsere Freiheit für
die Zukunft zu bewahren.
Quelle: http://www.bmi.bund.de/Internet/Content/Nachrichten/Reden/2007/09/BM__Marshall__Fund__de.html