Neue Hintertüren für US-Geheimdienst bei US-Telcos aufgedeckt

Die New York Times hat weitere Einzelheiten des umstrittenen Lauschprogramms
der US-Regierung und der National Security Agency (NSA) enthüllt.
Demnach geht es bei den Spionagebestrebungen ohne richterlichen
Beschluss keineswegs nur um die Terrorabwehr, wie zunächst vermutet.
Vielmehr gibt es auch bereits seit den 1990er Jahren eine vergleichbare
Zusammenarbeit zwischen dem technischen Geheimdienst der USA und
nationalen Telekommunikationsanbietern. Damit sind laut dem Bericht
ohne richterliche Kontrolle unter anderem die Verbindungsdaten
tausender US-Bürger und anderer Nutzer bei Telefongesprächen und
E-Mails aus den Vereinigten Staaten nach Lateinamerika erfasst und
ausgewertet worden. Erst 2004 habe ein Carrier es aus Angst vor
ungebührlichen Eingriffen in die Privatsphäre der Kunden und einem
PR-Debakel erstmals abgelehnt, die Kundendaten einfach so
herauszurücken.

Die Begehrlichkeiten der NSA gehen gemäß anderen nun bekannt
gewordenen Fällen aber noch deutlich weiter. So weigerte sich der
TK-Anbieter Qwest 2001 noch vor den Anschlägen am 11. September, dem
Nachrichtendienst Zugang zu kompletten Schaltstellen im Ortsnetz zu
gewähren. Damit wäre es möglich gewesen, Telefongespräche aus den
anliegenden Vierteln vollständig abzuhören. Die sonst in den
Vordergrund gerückte Erfassung der Auslandskommunikation hätte sich
dabei auf reine Ausnahmefälle beschränkt. Laut einem Vertreter der
US-Regierung hätten sich die Lauscher aber trotzdem auf Ausländer
konzentrieren sollen.

Über Gerichtsakten ist ferner auch herausgekommen, dass die NSA im
Februar 2001 mit Mitarbeitern von AT&T darüber verhandelte,
gleichsam den Verkehr aus einem ganzen Netzwerkzentrum in der Stadt
Bedminster in New Jersey zu duplizieren und die Kopien an den
Geheimdienst zu schicken. Laut einem an den Gesprächen beteiligten
Techniker wollte die Behörde ungehindert und ohne jegliche
Beschränkungen in die Kommunikation hineinhören und sie für die spätere
Auswertung speichern. Laut anderen AT&T-Mitarbeitern ist es bei dem
Projekt aber nur darum gegangen, die internen Kommunikationssystem der
NSA zu verbessern. In der gleichen Klage wird Verizon noch beschuldigt,
eine Glasfaser-Standleitung von New Jersey nach Quantico im
US-Bundesstaat Virginia zu einer großen Militäranlage mit vermutlichen
Kontakten zur NSA gelegt zu haben. Ein Ex-Mitarbeiter von AT&T gab
zudem zu Protokoll, in einer Einrichtung des Anbieters in San Francisco
einen geheimen Raum entdeckt zu haben, der für Schlapphüte reserviert
gewesen sei.

Dass das vor zwei Jahren ans Licht der Öffentlichkeit gebrachte NSA-Lauschprogramm im "Krieg gegen den Terror" nur die Spitze eines Eisbergs
war, ist seit längerem bekannt. Die neuen Einzelheiten der Spionage
auch gegen US-Bürger platzen nun aber direkt in die heiße Phase der
parlamentarischen Debatte über die Novelle
des Gesetzes zum Abhören internationaler Telekommunikation im Rahmen
der Terrorabwehr. Hauptstreitpunkt bei der Neufassung des Foreign
Intelligence Surveillance Act (FISA) ist nach wie vor, ob und wie weit
privaten Schnüffelhelfern von Sicherheitsbehörden wie der National
Security Agency (NSA) im Nachhinein und künftig Straffreiheit
zugesichert werden soll. Derzeit vertreten Bürgerrechtsvereinigungen in
etwa 40 anhängigen Gerichtsverfahren Kläger gegen große
Telekommunikationsanbieter wegen Beteiligung am NSA-Lauschprogramm.

Der oberste US-Geheimdienstchef Mike McConnell appellierte gerade
noch einmal an den Kongress, dass die Geheimdienste bei der
Terrorprävention auf die Zusammenarbeit mit den Telcos angewiesen sei.
"Diejenigen im privaten Sektor, die uns in Zeiten nationaler
Sicherheitsnotfälle zur Seite stehen, verdienen Dank, nicht
Gerichtsprozesse." Ein Staatsanwalt schlug in dieselbe Kerbe und zeigte
sich besorgt, dass die Hilfssheriffs sich bei ihrer "ganzherzigen
Hilfe" für die Nachrichtendienste zurückhaltend zeigen könnten, wenn
ihnen kein rechtlicher Schutz gewährt würde.

Hintergrund der Bemühungen ist, dass die NSA in Zeiten verstärkter
internationaler Satellitenkommunikation im Telefonsektor über das Lauschsystem Echelon
noch mit eigenen Abhöranlagen vergleichsweise einfach abhören konnte.
Mit den leitungsgebundenen Netzen für das Internet und
Glasfasersträngen tun sich die Schlapphüte in Eigenregie schwerer. Ein
NSA-Report forderte daher schon im Dezember 2000 von der damals neuen
Bush-Regierung, dass die Behörde eine "machtvolle, ständige Präsenz" in
den kommerziellen Kommunikationsnetzwerken brauche. Der Geheimdienst
war sich schon damals bewusst, dass dieses Begehr unter anderem
datenschutzrechtlich heikel werden würde. (Stefan Krempl) /
(anw/c’t)

Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/100662/from/atom10