Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will einen neuen Entwurf
für heimliche Online-Durchsuchungen erst nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts über das nordrhein-westfälische
Verfassungsschutzgesetz vorlegen. Er müsse respektieren, dass die SPD
erst die Entscheidung aus Karlsruhe vor einer weiteren Beratung der Novelle des Gesetzes
für das Bundeskriminalamt (BKA) mit der umkämpften Klausel zur
Ausforschung "informationstechnischer Systeme" abwarten wolle. Die
zunächst mit großer Dringlichkeit geforderten neuen Befugnisse für das
BKA zur Terrorabwehr einschließlich Befugnissen zum präventiven Abhören
der Telekommunikation, großem Lauschangriff oder Rasterfahndung liegen
damit wohl noch bis zum Frühjahr auf Eis. Dann wollen die roten Roben
voraussichtlich ihr Urteil über das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz vorlegen, das erstmals hierzulande eine rechtliche Grundlage für Online-Razzien schuf. Der CDU-Politiker, der vor kurzem noch auf den raschen Einsatz
des sogenannten Bundestrojaners pochte, schloss sich mit dem
Gesinnungswandel der Linie der großen Koalition im Bundestag an.
CSU-Politiker hatten Ende November bereits erklärt, angesichts der großen Skepsis der Karlsruher Richter gegenüber verdeckten Online-Durchsuchungen beim BKA-Gesetz nichts übers Knie brechen zu wollen. Hessens Datenschutzbeauftragter Michael Ronellenfitsch bezeichnete
die Netzbespitzelungen derweil als "datenschutzpolitische Sauerei". Es
müsse verhindert werden, dass Bürger von der Internetnutzung
abgeschreckt werden, weil sie Zweifel an der Datensicherheit haben.
Schäuble warnte zugleich vor überstürzten Schlussfolgerungen aus dem
Mängelbericht der Kriminalämter von Bund und Ländern zur Vereitelung
mutmaßlich geplanter Terroranschläge durch die Verhaftung dreier
Verdächtiger im September. "Es wäre ja schlimm, wenn man nach solchen
Erfahrungen nicht zunächst einmal sagen würde, lasst uns mal gucken,
was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen, was können wir daraus
lernen", sagte der Minister der Agentur AFP. Vorschläge aus einem
internen Bericht seien aber keine politischen Positionen. Damit sei
auch nichts vorab entschieden.
Das Papier der Polizeien liest sich laut Zeitungsberichten streckenweise wie ein Pannenreport.
So fehlten abhörsichere Telefone und Personal für die Überwachung, der
Mitschnitt eines Telefongesprächs war erst nach sechs Wochen
ausreichend bearbeitet worden. Zudem soll die Zusammenarbeit von
Polizei und Geheimdiensten unzureichend gewesen sein. Dem internen
Bericht zufolge fordern
die Kriminalämter zudem unter anderem die stärkere Überwachung von
Internetcafés und einen "großen Spähangriff" mit Videokameras im
Konzert mit dem großen Lauschangriff.
Auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz plädierte für eine
sorgfältige Prüfung der Klagen über Schwächen bei der Terrorfahndung.
"Wir brauchen jetzt keinen Gesetzgebungsaktivismus, sondern sollten uns
um die tatsächlichen Arbeitsbedingungen der Polizeibeamten kümmern",
sagte er der Berliner Zeitung. Der Vorsitzende der Deutschen
Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, beklagte
dagegen, die bisherigen Fahndungserfolge seien "nichts als Glück"
gewesen. Gebraucht würden 50.000 zusätzliche Kräfte. Dabei gehe es uns
nicht nur um mehr Polizisten, sondern um Experten für Chemie,
Abhörtechnik und Computer. Auch der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, sprach von "zum Teil haarsträubenden Zuständen".
Besorgt äußerte sich Schäuble darüber, dass deutsche Konvertiten
zunehmend in die islamistische Szene eingebunden würden. Generell
verwies Schäuble darauf, dass die Bedrohung durch Terroristen für
Deutschland unverändert ernst zu nehmen sei. Es bestehe aber kein Grund
zur Panik.
Gleichzeitig wandte sich der Minister strikt gegen Überlegungen auch
aus Teilen seiner Partei, bestehende Gesetze zur Terrorabwehr so
aufzubohren, dass sie auch auf die zivilrechtliche Verfolgung von
Delikten wie etwa Urheberrechtsverletzungen angewendet werden könnten.
So dürften vor allem die von Januar an verdachtsunabhängig auf Vorrat
zu speichernden Telefon- und Internetdaten nicht etwa Firmen aus der
Musik- und Filmindustrie oder anderen privaten Institutionen zur
Verfügung gestellt werden. Diese Forderung brachte zuletzt der Rechtsausschuss des Bundesrates auf, scheiterte
damit aber im Plenum der Länderkammer. Der Urheberrechtsexperte der
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Günther Krings, hatte zudem bereits vor
über einem Jahr erklärt:
Wenn bei den Providern Verbindungsdaten vorhanden seien, "kann man sie
auch für die Verfolgung von Copyright-Verstößen nutzen".
Siehe dazu auch:
Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die
erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die
Online-Durchsuchung siehe:
(Stefan Krempl) /
(vbr/c’t)
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/100624/from/atom10