TOR-Server durch Vorratsdatenspeicherung von Schließung bedroht

In einem Forum zum Thema "Ende der Privatsphäre?" diskutierten
Vertreter aus Zivilgesellschaft, Justiz und Wirtschaft am gestrigen
Freitagabend die erwarteten Folgen der Vorratspeicherung von Telefon- und Internetdaten sowie anderer Überwachungsvorhaben. Organisiert wurde die Veranstaltung von der neu gegründeten German Privacy Foundation (GPF) in Berlin. Experten erwarten durch die Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung gravierende Auswirkungen auf
Anonymisierungsdienste. "180 von 200 deutschen TOR-Servern gehen
offline", kündigte Karsten Neß an, der für die Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik sprach.

Von Januar 2009 an greifen die Verpflichtungen zur
verdachtsunabhängigen Vorhaltung von Verbindungsdaten auch für den
Internetbereich. Unter diesen Bedingungen werden die größtenteils
privat betriebenen deutschen Server für das schlagzeilenträchtige Anonymisierungsnetzwerk nicht mehr aufrecht zu erhalten sein.

Neß hat selbst einen TOR-Zugangsknoten am Laufen und vor kurzem
einen einwöchigen Test für die Vorratsdatenspeicherung gemacht. Dabei
seien derart "beachtliche Datenmengen" zusammengekommen, dass die
Vorrichtungen zum Aufbewahren der Verbindungsinformationen gesondert
nachgerüstet werden mussten. Zudem verlangen die gesetzlichen Vorgaben,
dass Anfragen von Ermittlern zeitnah nachzukommen seien. "Ein privater
Betreiber darf dann keinen Urlaub mehr machen", um ständig erreichbar
zu sein, erklärte der Informatiker.

Dabei hinterfragte Neß auch den praktischen Nutzen des
Speichergesetzes: Wenn sich die Strafverfolgung im Netz nur an der
IP-Adresse eines Verdächtigen festhält, dürften Vorratsdaten von
TOR-Servern wenig bringen. Heß habe auf seinem Server zu einem
beliebigem Zeitpunkt allein rund 8000 parallele Verbindungen gezählt;
die einzelnen IP-Adressen seien somit kaum aufzuschlüsseln. Zudem laufe
der Verkehr rasch über internationale Server weiter, was eine Zuordnung
der Datenpakete weiter erschwere.

Auch Ulf Buermeyer, Richter des Landes Berlin und derzeit
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht, erklärte,
ihm persönlich gehe "die Vorratsdatenspeicherung zu weit". Künftig
werde er von seinem Dienstanschluss keine Journalisten mehr anrufen, um
möglichen Verfahren aufgrund von Geheimnisverrats aus dem Weg zu gehen.
Es sei fraglich, ob man "mit so vielen Freiheitseinschränkungen"
tatsächlich einen großen Sicherheitsgewinn erziele. Eine freiheitliche
Gesellschaft müsse mit eventuellen Sicherheitslücken leben können, die
trotz aller Aufrüstung bei der Überwachung noch bestünden.
Verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen wie der Richtervorbehalt würden
zum Schutz vor Missbrauch nicht ausreichen. Dabei müsse sich der
Ermittlungsrichter auf die Wahrhaftigkeit des Antrags der
Staatsanwaltschaft verlassen.

Laut Jakob Erkes vom Verein der Ingenieure für Kommunikation (ifKom)
"ist noch gar nicht verstanden worden, was die Vorratsdatenspeicherung
eigentlich heißt". Der ifKom sei nicht pauschal gegen
Anonymisierungsdienste, versuchte er eine frühere Verlautbarung
der Telekommunikationslobby zurechtzurücken. Es gehe aber auch nicht
allein um die Speicherung von Logdateien, sondern um die Aufzeichnung
von "Bewegungsbildern". Die "Schrauben" zur Kontrolle der Bürger würden
immer weiter angedreht, während auf die Wirtschaft immense
Kostenbelastungen zukämen. Erkes hält die bisher etwa vom Bitkom und
dem Providerverband eco geschätzten Anfangsinvestitionen für deutlich zu niedrig angesetzt: "Wir werden auch mit 700 Millionen Vorlaufkosten nicht auskommen."

Die Debatte ließ auch die kurzfristig auf Eis liegenden
Pläne des Bundesinnenministeriums für heimliche Online-Durchsuchungen
nicht aus. Mangels praktischer Durchführbarkeit bezeichnete der
GPF-Vorsitzende Burkhard Schröder den so genannten Bundestrojaner zwar
generell als "Ente". Für wesentlicher hielt Buermeyer den vom
Verfassungsgericht angemahnten Schutz des Kernbereichs
der privaten Lebensgestaltung. Der Richter erinnerte daran, dass bei
der Berührung dieser Intimsphäre ein "Erhebungsverbot" bestehe. So
dürften entsprechende Daten "nicht einmal beschafft werden", was etwa
gegen das von der Union geforderte "Richterband" beim großen Lauschangriff spreche.

Laut Buermeyer führt daher die vom Bundeskriminalamt ins Spiel gebrachte Stichwortsuche
bei der Analyse etwa von Festplatten nicht weiter: "Ich wüsste nicht,
wie ich das als Programmierer umsetzen sollte." Man könne aber durchaus
fragen, ob die Vorratsdatenspeicherung etwa bei einer Telefonsexfirma
aufgrund desselben Prinzips nicht aufhören müsste.

Abschließend versicherte Schröder, dass "wir alle Maßnahmen
verbreiten werden, die Vorratsdatenspeicherung legal ad absurdum zu
führen". Generell wolle die GPF die Bürger dazu bringen, den hohen Wert
der Privatsphäre stärker anzuerkennen und zu verteidigen. Eine solche
Lobby müsse aber "von unten kommen". Vielleicht müsse die Republik dann
auch nicht mehr "vom Bundesverfassungsgericht regiert werden", das die
Politik derzeit bei Sicherheitsgesetzen "permanent abwatscht". (Stefan Krempl)
(ghi/c’t)

Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/100649/from/atom10