Was ist Frontex? – Rezension einer Broschüre

Aufgaben und Strukturen der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen.

In der Reihe "Materialien gegen Krieg, Repression und für andere Verhältnisse" (Nr. 4 / Jan. 2008) ist soeben eine Broschüre zur europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX erschienen. In ihr werden Funktion, Tätigkeit und auch die Entstehungsgeschichte der Agentur umfassend beschrieben.

 

Was ist Frontex?

Eine
Geheimdienstbehörde, der Vorläufer einer gemeinsamen EUropäischen
Grenzschutztruppe oder doch nur ein eher wissenschaftliches Institut,
das Risikoforschung betreibt? Viel ist zu lesen und viel wird
geschrieben über die "Europäischen Agentur für die operative
Zusammenarbeit an den Außengrenzen" und es klingt dann meist so, als
wäre dem Rat der EU nun endlich der große Wurf gelungen, um die
EU-Außengrenzen "abschotten" oder die Migrationen über sie hinweg
zumindest managen zu können. In den Einsätzen sieht es dann wieder
anders aus: Die Anlandungen von Flüchtlingsbooten finden trotz
vermeintlich martialischer Einsätze der Agentur auf dem Mittelmeer und
vor Westafrika weiterhin statt. Zivilgesellschaftlich gibt es eine
scharfe Kritik an der "Militarisierung der Grenze" die bereits durch
den Namen der ominösen Agentur suggeriert wird, deren Ausgestaltung
bislang aber weitgehend unklar blieb.

Um diese Kritik zu
unterfüttern, hat der EU-Abgeordnete Tobias Pflüger in Zusammenarbeit
mit der Informationsstelle Militarisierung nun eine Broschüre
herausgegeben, welche die Tätigkeit und auch die Entstehungsgeschichte
der Agentur umfassend beschreibt. Dabei wird mit einigen Mythen
aufgeräumt. Beispielsweise mit dem Bild, dass sich die Tätigkeiten der
Agentur auf die oft erwähnten aber wenig präzisierten Einsätze auf
Hoher See beschränken oder auch nur konzentrieren würden. Das Herz der
Tätigkeit von Frontex, so erfahren wir, sei ein Risiko-Analyse-Modell,
auf dessen Grundlage gemeinsame Einsätze jenseits, an und innerhalb der
EU Außengrenze konzipiert werden. Diese Einsätze sind dann oft gar
nicht so martialisch (sondern eher geheimdienstlich) und Frontex selbst
verfügt auch gar nicht über eine allzu martialische Ausrüstung. Die
Agentur vernetzt und archiviert eher das in den Mitgliedsstaaten
bestehende, drängt auf Effektivierung und gemeinsame Standards und
unterläuft dabei stetig das Recht.

Drei längere Texte der
Broschüre gehen im Grunde das gleiche Thema an. Bernd Kasparek
beschreibt die Formierung einer gemeinsamen EU-Außengrenze seit den
1990ern mitsamt deren Vorverlagerung und innerer Diffusion. Frontex ist
im Grunde als logische Konsequenz dessen zu verstehen. Christoph
Marischka stellt die Agentur als Vernetzungsmaschine dar und macht so
deutlich, wie viel Unheil die Behörde schon mit einem relativ
beschränktem Budget anrichtet. Andreas Fischer-Lescano und Timo
Tohidipur betrachten die Agentur aus einem juristischen Blickwinkel,
tragen somit zur Klärung ihrer Stellung bei und liefern wertvolle
Ansatzpunkte für eine Kritik, die auch vor internationalen Gerichten
vorgebracht werden kann.

Es dreht sich dann doch viel um die
See und die Einsätze dort in der Broschüre. Stichwortartig wird das
internationale Seerecht erklärt, ein Gutachten zur Geltung des
Flüchtlingsrechts auf Hoher See zusammengefasst und Judith Gleitze von
Borderline-Europe berichtet über die Kriminalisierung von zivilen
Rettern, also beispielsweise Fischern, die MigrantInnen aus Seenot
retten und ans italienische Festland bringen. Christoph Marischkas
Analyse, die Frontex-Agentur würde ihr Rechtsverständnis von der See
herleiten, da dort die Grenzen nationalstaatlicher Souveränität und
menschenrechtlicher Wirksamkeit stets verschwommen seien, muss man
nicht unbedingt folgen, um auch aus diesem Teil der Broschüre wichtige
Erkenntnisse zu gewinnen. Einen wichtigen Grund, die Broschüre immer
wieder zur Hand zu nehmen stellt aber v.a. das abschließende Glossar
dar. Spätestens bei dessen Lektüre und den Ausführungen zum deutschen
Beitrag an der Entstehung der Frontex-Agentur wird aber auch klar, dass
Frontex keinen eigentlichen Bruch in der EU-Innen und
-Migrationspolitik darstellt, sondern lediglich eine logische
Fortentwicklung. Viele Strukturen und Leitbilder (etwa die "vernetzte
Sicherheit") der Agentur bestimmen schon länger die
Sicherheitsarchitektur der EU und werden an Frontex sichtbar. Damit
wird auch klar, warum sich ausgerechnet die Informationsstelle
Militarisierung der Aufklärung über Frontex angenommen hat, ist doch
die Kritik an der antidemokratischen Militarisierung der EU und der mit
ihr einhergehenden Entrechtung der Bevölkerung schon länger eines ihrer
Hauptthemen. Diese Kritik hat mit Frontex einen sichtbaren und
paradigmatischen Angriffspunkt gefunden.

Die 52-seitige Broschüre kann entweder kostenlos (gegen Porto) unter:


BERLIN@TOBIAS-PFLUEGER.DE

bestellt

oder unter folgendem Link als PDF-Dokument heruntergeladen werden:

http://www.imi-online.de/download/FRONTEX-Broschuere.pdf

Quelle: http://de.indymedia.org/2008/01/204606.shtml