Herausforderungen an die europäische Sicherheitsarchitektur im 21. Jahrhundert

[BMI] Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble beim 11. Europäischen Polizeikongress: "Europäische Sicherheitsarchitekturen. Informationstechnologie – Ermittlung – Einsatz" am 29. Januar 2008 in Berlin
Ich werde immer wieder gefragt, was sich verändert hat, wenn ich meine erste und meine zweite Amtszeit als Innenminister miteinander vergleiche. Die Antwort ist, dass ich heute viel stärker mit europäischen und internationalen Themen beschäftigt bin als in der Zeit von 1989 bis 1991. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist bei den Menschen im Wesentlichen gleich geblieben. Niemand will in ständiger Angst um Leib und Leben, Hab und Gut leben müssen. Der Rahmen aber, in dem der Staat für die Sicherheit seiner Bürger Sorge trägt, ist ein anderer geworden. Für die Bekämpfung Organisierter Kriminalität, für den Schutz vor terroristischen Anschlägen und für die Abwehr illegaler Migration brauchen wir heute eine enge internationale und insbesondere europäische Zusammenarbeit.
 
Dafür müssen wir auch neue Formen der polizeilichen Kooperation erproben. Wir haben 2006 bei der Fußball-Weltmeisterschaft gute Erfahrungen mit dem Einsatz ausländischer Polizeibeamter auf deutschem Gebiet gemacht. Fast 350 Polizeibeamte aus 13 europäischen Ländern waren in ihren Uniformen bei uns im Einsatz. Ich hatte ihnen für die Dauer ihres Einsatzes die hoheitlichen Befugnisse von Beamten der Bundespolizei übertragen. Das hat bestens funktioniert. Britische Fußballfans zum Beispiel – nicht immer eine einfache Klientel – sahen am Frankfurter Flughafen gleich nach der Landung britische Bobbys, und zwar solche, die sie schon von kritischen Spielen aus England kannten. Dieses Konzept hat sich bewährt. Es soll bei der Europameisterschaft, die diesen Sommer in der Schweiz und in Österreich stattfindet, weitergeführt werden.
 
Eine derartige Einbindung unserer europäischen Partner hätte sich vor 15 Jahren noch kaum jemand vorstellen können. Damals waren die polizeilichen Vollzugsbefugnisse noch so etwas wie eine heilige Kuh nationalstaatlicher Souveränität. Heute ist für uns eine vertrauensvolle europäische Zusammenarbeit selbstverständlich geworden.
 
Die Globalisierung hat unsere Gesellschaft und unser staatliches Handeln grundlegend verändert. Der Fall der Berliner Mauer und das Ende der europäischen Teilung, aber auch die digitale Revolution haben einen Prozess der beschleunigten Globalisierung ausgelöst, wie wir ihn früher für unvorstellbar gehalten hätten. Menschen, Unternehmen und Staaten sind immer enger miteinander vernetzt. Wir legen immer größere Distanzen in immer kürzerer Zeit zurück. Das birgt Chancen, aber auch Risiken in sich. Denn es führt dazu, dass ursprünglich regionale Konflikte zunehmend in die Welt getragen werden und kriminelle Banden ihren Aktionsradius immer weiter ausdehnen. Das stellt uns vor neue Herausforderungen.
 
Wenn alles mit allem verbunden ist, wird das staatliche Regelungsmonopol ein Stück weit obsolet. Nationale Grenzen trennen nicht mehr wirklich. Sie schützen uns auch nicht mehr in dem gleichen Maße, wie sie es früher getan haben.
 
Im Grunde ist heute jede Form professionell betriebener Kriminalität ein grenzübergreifendes Phänomen. Das gilt bereits für den schlichten Autodiebstahl. Wer als Verbrecher ein wenig Grips hat, bringt ein gestohlenes Auto außer Landes und verkauft es dort. Erst recht stecken hinter dem Drogenhandel oder dem islamistischen Terrorismus Netzwerke, die grenzüberschreitend aktiv sind. Die richtige Antwort darauf ist es, ein internationales Sicherheitsnetz aufzubauen, das ebenso grenzübergreifend ausgelegt ist, wie die Bedrohung, die es eindämmen soll.
 
Bevor man eine Aufgabe einer europäischen Lösung zuführt, muss man sich fragen, ob sie dort gut platziert ist. Nehmen Sie den Nichtraucherschutz. Hier brauchen Sie keine europaweit einheitliche Regelung, ob in Gaststätten geraucht werden darf oder nicht. Speziell bei der Polizeiarbeit ist es wichtig, die Mentalität der Menschen vor Ort zu kennen. Wir sollten uns also an den Subsidiaritätsgrundsatz halten: Nur Aufgaben, die nicht auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene erfüllt werden können, gehören in europäische Verantwortung, und dazu gehört die grenzübergreifende polizeiliche Kooperation.
 
Das sehen auch die Bürger so. Nach einer europaweiten Meinungsumfrage von 2006 erwarten mehr als 80 Prozent der befragten Unionsbürger, dass Europa ihnen auch Sicherheit bringt. Hier steht die Politik in der Pflicht. Wenn eine Stimmung in der Bevölkerung entstehen würde, die den europäischen Einigungsprozess mit einem Verlust an Sicherheit verbände, wäre das für den europäischen Gedanken nicht hilfreich. Eine Aufgabenteilung, die darin bestünde, dass sich das europäische Parlament nur um die Freiheit der Bürger kümmert und den Innenministern der Mitgliedsländer die Sicherheit überlässt, wäre falsch. Das Parlament trägt auch für die europäische Sicherheit eine Verantwortung.
 
In all ihrer Kompliziertheit ist die Europäische Union bei weitem das interessanteste Modell unter den neueren Formen staatlicher Zusammenarbeit. Mit dem Vertrag von Lissabon ist es den 27 Staats- und Regierungschefs gelungen, die Handlungsfähigkeit, Transparenz und die demokratische Legitimation der Europäischen Union zu vergrößern.
 
Mit der Erweiterung des Schengenraums Ende letzten Jahres sind die stationären Personenkontrollen an den Land- und Seegrenzen zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern – Ende des Jahres kommt noch die Schweiz hinzu– entfallen. Dieser gemeinsame Raum stärkt die Freiheit in Europa. Dadurch entstehen, besonders für die Grenzregionen, zahlreiche neue Chancen – wirtschaftlich, politisch und kulturell. Früher waren die Grenzregionen in einer Randlage, heute haben sie durch die Grenzöffnung eine neue Zentralität bekommen. Die Bürger, die dort wohnen, wissen das zu schätzen.
 
Die Grenzöffnung schließt eine glückliche Entwicklung ab, die mit dem Fall der Berliner Mauer begann. Das ganze östliche Europa hat in den Wendejahren 1989 und 1990 seine Freiheit zurück gewonnen – Deutschland auch seine Einheit. Heute trennen uns diese Grenzen, die einst unüberwindbar schienen, nicht mehr. Das ist alles andere als eine selbstverständliche Entwicklung. Darauf hat kürzlich auch der Osteuropa-Experte Karl Schlögel von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) hingewiesen:

    „Für jemanden wie mich, der noch ganz im Schatten des Eisernen Vorhangs aufgewachsen ist, liegt über dem, was seit 1989 geschieht, noch immer der Zauber dessen, dass etwas eingetreten ist, auf das man schon nicht mehr hoffen konnte.“

Aber auch Menschen, die den Zauber des historischen Moments nicht spüren, können ohne Sorgenfalten auf die Grenzöffnung blicken. Ähnliche Bedenken wie heute gab es auch bei der Öffnung der deutsch-französischen Grenze vor annähernd 15 Jahren – ich kenne sie, weil mein Wahlkreis an der Stadtgrenze von Straßburg endet. Damals hat es gut funktioniert. Und wir haben auch heute mit unseren Partnern alle notwendigen Vorkehrungen getroffen, damit die Schengen-Erweiterung ein Mehr an Freiheit und ein Mehr an Sicherheit bringt. Freiheit und Sicherheit sind eben keine Gegensätze.
 
Statt der stationären Grenzkontrollen – die in einer globalisierten Welt nicht mehr besonders viel bringen –führt die Bundespolizei nun mobile Kontrollen im deutsch-polnischen und im deutsch-tschechischen Grenzraum durch. Das erhöht den Fahndungsdruck und das Entdeckungsrisiko für Straftäter. Die grenzpolizeiliche Zusammenarbeit wird seit Ende 2007 jeweils von einem Gemeinsamen Zentrum aus koordiniert. Dort sind tschechische bzw. polnische Sicherheitsbehörden, Bundespolizei und Bundeszollverwaltung wie auch die Polizeien Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsens, Bayerns und Berlins unter einem Dach versammelt. Der konkrete Mehrwert besteht in der unbürokratischen Abstimmung und im zügigen Informationsaustausch zwischen den Beteiligten.
 
Die neuen Mitgliedsstaaten sind seit September 2007 an das Schengener Informationssystem angeschlossen und können dort ihrerseits Daten einstellen. Das hat bereits zu einer deutlichen Zunahme der Fahndungstreffer geführt.
 
Nun müssen wir die praktischen Erfahrungen mit dem erweiterten Schengenraum auswerten. Es wird noch ein paar Monate dauern, bis wir aussagekräftige Daten haben. In der Zwischenzeit ist es wenig hilfreich, wenn die Polizeigewerkschaften die Sicherheitslage an unseren östlichen Grenzen öffentlich dramatisieren. Wenn es mehr Aufgriffe bei illegalen Grenzübertritten geben sollte – wie gesagt, die Datenauswertung läuft erst an –, hieße das auch nicht gleich, dass wir mehr illegale Zuwanderung hätten. Es könnte ebenso bedeuten, dass die Schutzmechanismen funktionieren. Natürlich werden die Umstellungen für die betroffenen Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei nicht ganz einfach sein. Viele werden neue Aufgaben an anderen Orten übernehmen müssen. Aber die Neuorganisation der Bundespolizei ist der falsche Anlass, um Ängste und Ressentiments gegenüber unseren europäischen Nachbarn und Partnern bei den Bürgern zu schüren.
 
Die neuen Mitgliedsstaaten im erweiterten Schengenraum haben auch den Schutz an ihren Außengrenzen deutlich verstärkt, nicht zuletzt zur Abwehr illegaler Migration. Die OECD schätzt, dass jährlich bis zu eine halbe Millionen Menschen illegal nach Europa gelangen. Deutschland ist dabei mehr Transitland als Zielland. 2006 haben die Sicherheitsbehörden in Deutschland rund 27.000 unerlaubt eingereiste Personen und über 3.000 tatverdächtige Schleuser aufgegriffen.
 
Weil wir in der Europäischen Union gemeinsame Außengrenzen haben, können wir illegale Zuwanderung am besten gemeinsam bekämpfen. Das ist breiter Konsens unter den Mitgliedsstaaten. Deshalb müssen wir die Grenzschutzagentur Frontex weiter ausbauen, die die Zusammenarbeit der nationalen Grenzpolizeien koordiniert und so genannte Rapid Border Intervention Teams für Ausnahmesituationen bereitstellt.
 
Dagegen wäre es falsch, legale Migration mit ihren Auswirkungen auf die jeweiligen Arbeitsmärkte von der nationalen Verantwortung zu trennen. Deswegen muss die legale Migration in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben, was nach dem Reformvertrag von Lissabon weiterhin gegeben ist.
 
Einerlei ob wir von illegaler Migration, organisierter Kriminalität oder terroristischen Netzwerken sprechen: Wir müssen verdächtige Personen möglichst schon bei der Einreise nach Europa identifizieren. Dafür brauchen wir einen engen Informationsaustausch.
 
Das elektronische Sammeln und Austauschen von Informationen ist unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Ermittlungsarbeit. Unser Ziel ist es, einen leistungsfähigen europäischen Informationsverbund zur Verbrechensbekämpfung zu schaffen.
 
Wir sind uns im Rat der Justiz- und Innenminister der Europäischen Union einig, dass wir unsere nationalen polizeilichen Datenbanken gegenseitig nutzbar machen müssen. Während der deutschen Ratspräsidentschaft im letzten Jahr sind wir hierbei einen großen Schritt weitergekommen. Es ist uns gelungen, den ursprünglich zwischen sieben EU-Staaten abgeschlossenen Vertrag von Prüm in den europäischen Rechtsrahmen zu überführen. Wir rechnen mit einem förmlichen Abschluss des Verfahrens noch in diesem Jahr. Damit schaffen wir die rechtlichen Grundlagen, dass die Polizeien aller 27 Mitgliedstaaten einen automatisierten Zugriff auf die Datenbanken der anderen Länder mit DNA-Analysen, Fingerabdrücken und Fahrzeugdaten bekommen. Ich bin überzeugt, dass darin ein ganz erheblicher Gewinn für die polizeiliche Praxis liegt. Die ersten Erfahrungen sind sehr positiv. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ende März 2007 konnten zwei Personen einer in Österreich aufgegriffenen Einbrecherbande aufgrund eines DNA-Abgleichs als die Täter identifiziert werden, die auf Teneriffa einen Doppelmord begangen hatten.
 
Neben den nationalen Datenbanken sollten die Polizeien für ihre Ermittlungen auch zentrale Datenbanken der Europäischen Union nutzen können. Daher ist es wichtig, dass die Polizeien Zugriff erhalten auf das Visainformationssystem und auf Eurodac, einen Fingerabdruckdatenbestand, der bisher nur für Asylzwecke nutzbar ist. Beide Vorhaben besitzen hohe politische Priorität und sind Gegenstand intensiver Beratungen gewesen. Für das Visainformationssystem haben wir bereits eine Einigung erzielt. Im Fall von Eurodac wird die Kommission einen Vorschlag vorlegen, den wir dann diskutieren müssen.
 
Beim Informationsaustausch stoßen wir immer wieder an die Grenzen des Datenschutzes. Jedes Land hat sein eigenes Datenschutzrecht. Darüber hinaus gibt es auch ein europäisches Datenschutzrecht. Ich werbe seit langer Zeit dafür, dass wir uns in Europa auf einen einheitlichen Rahmenverständigen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
 
Ich bin überzeugt, dass Datenschutz notwendig ist angesichts der unglaublichen Möglichkeiten moderner Kommunikations- und Informationstechnologien. Die Schizophrenie mancher deutschen Debatte besteht freilich darin, dass dieselben Menschen, die ihre persönlichen Daten bedenkenlos im Internet zur Verfügung stellen, sich gleich an das Spitzelsystem der DDR erinnert fühlen, wenn der freiheitliche Staat auf klarer rechtlicher Grundlage Durchsuchungsmaßnahmen in wenigen, eng definierten Fällen vorsieht.
 
Mein Verständnis von Datenschutz ist nicht, dass der Staat wegschauen muss, wenn es um die Vorbereitung schwerster Straftaten geht. Datenschutz bedeutet vielmehr, dass der Gesetzgeber transparente Grundlagen schafft, wer beispielsweise welche Daten wofür erhebt, welche Daten vernetzt werden können und wie lange sie gespeichert werden dürfen.
 
So bietet etwa der Vertrag von Prüm nach Auffassung von Datenschutzexpertenein hohes Datenschutzniveau. Durch das so genannte No-Hit-Verfahren im Bereich der sensiblen DNA- und Fingerabdruckdaten erfolgt zunächst nur ein Zugriff auf anonymisierte Daten. Insgesamt sieht der Vertrag abgestufte Möglichkeiten der Datenabfrage im Verhältnis zur Sensibilität der jeweiligen Daten vor.
 
Nicht zuletzt eröffnet der Informationsaustausch erhebliche Möglichkeiten, die polizeilichen Ressourcen besser zu nutzen. Gerade bei der Kontrolle des Internets mit seinen riesigen Datenbergen müssen wir die vorhandenen Kapazitäten – vor allem bei der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten – effizient vernetzen.
 
Wenn Terroristen eine weltweit beachtete Erklärung über das Internet verbreiten, macht es wenig Sinn, wenn die Experten aller 27 Mitgliedstaaten diese jeweils für sich im Internet suchen, aus einem seltenen arabischen Dialekt übersetzen und analysieren. Hier können wir unnötige Doppelarbeit vermeiden. Deutschland hat deshalb im letzten Jahr das Projekt „check the web“ auf europäischer Ebene eingebracht. Damitsteht nun allen Mitgliedsstaaten ein Informationsportal zur Verfügung, über das sie ihre Erkenntnisse bei der Terrorismusbekämpfung austauschen können.
 
Heute gibt es zum Glück nicht mehr die Art von militärischer Bedrohung, die wir noch aus den Zeiten des Kalten Krieges kennen. Wir haben eine ganz andere Sicherheitslage, die man mit den Stichworten asymmetrische Kriegsführung, failing states und internationaler Terrorismus beschreiben kann.
 
Auch Deutschland ist Teil des weltweiten Gefahrenraums. Mit etwas Glück und dank der guten Arbeit unserer Sicherheitskräfte sind wir bislang von einem Anschlag verschont geblieben. Wir dürfen uns aber nicht nur auf das Glück verlassen. Als verantwortlicher Minister muss ich denjenigen, die gegen Terroristen ermitteln, klare gesetzliche Regelungen an die Hand geben, damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen können – auf dem aktuellen Stand der Technik. Solange das Auto nicht erfunden war, musste die Polizei auch keine Dienstfahrzeuge haben. Heute muss sie es aber.
 
Dementsprechend müssen wir unseren Sicherheitsbehörden die Mittel an die Hand geben, damit sie mit den rasanten Entwicklungen gerade in der Internetkommunikation, die Terrornetzwerke bevorzugt nutzen, Schritt halten können. Das Bundeskriminalamt benötigt deshalb auch eine Rechtsgrundlage zur Durchführung von Online-Durchsuchungen. Selbstverständlich werden wir dafür strenge verfahrensrechtliche Vorkehrungen treffen, die ein transparentes Verfahren und den Schutz der persönlichen Daten sicherstellen.
 
Für die Terrorismusbekämpfung reichen weder nationale noch europäische Regelungen aus. Wir brauchen darüber hinaus eine Kooperation vor allem mit den Vereinigten Staaten und auch mit Russland. Dem Informationsaustausch zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union dient zum Beispiel das Abkommen zur Übermittlung von Fluggastdaten, das wir im Juni letzten Jahres ausgehandelt haben. Den Zugang zu Fluggastdaten müssen wir auch innerhalb der Europäischen Union verbessern. Die Kommission hat dafür einen Regelungsentwurf vorgelegt, den wir noch diskutieren müssen – auch mit dem europäischen Parlament. Ein entsprechendes Gesetz wird wohl nicht in der dritten – intergouvernementalen – Säule verabschiedet werden.
 
Dass wir europaweit und darüber hinaus polizeilich eng zusammenarbeiten müssen, steht außer Frage. Ich halte eine föderalistische Sicherheitsarchitektur am ehesten für zukunftsträchtig und bleibe ein überzeugter Anhänger des Föderalismus. Niemand weiß besser als die Verantwortlichen vor Ort, was die genauen Bedürfnisse sind, welche konkreten Umstände berücksichtigt werden müssen und mit welchen Mitteln sie die beste Lösung erreichen können. Und auch eine enge Vernetzung der Kräfte wird durch den Föderalismus gefördert.
 
In Deutschland haben wir damit auch und gerade im Sicherheitsbereich gute Erfahrungen gemacht. Ich nenne an dieser Stelle nur die Arbeit des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums oder des Gemeinsamen Internetzentrums ebenso wie den einvernehmlichen Aufbau der gemeinsamen Antiterrordatei.
 
Wir sollten auch auf europäischer Ebene nicht glauben, dass eine Zentralinstanz allein Terrorismus, organisierte Kriminalität oder Drogenhandel wirksamer bekämpfen könnte. Ich glaube auch, dass es wenig zielführend wäre, Europol zu einem europäischen FBI auszubauen. Was wir brauchen, sind Stellen, die Informationen vernetzen und einzelne Aktivitäten zusammenführen. Aber die eigentliche Verantwortung muss bei den Polizeien der Mitgliedsländer bleiben.
 
Institutionen tendieren dazu, in kurzen Zeiträumen zu denken. Die Europäische Union macht da keine Ausnahme. Meistens schieben sich die nächsten Entscheidungen in den Vordergrund und es bleibt nicht genügend Zeit, um über das Tagesgeschäft hinaus zu denken.
 
Deshalb hat sich auf meinen Vorschlag hin die so genannte Zukunftsgruppe gebildet. Sie bestehtaus den acht Innenministern der Länder, die von 2007 bis 2010 den Vorsitz des Rates innehaben. Den Vorsitz haben der Vizepräsident der Europäischen Kommission Franco Frattini und der jeweilige Ratspräsident. In diesem Kreis diskutieren wir über die Grundlagen der Europäischen Innenpolitik für die Zeit nach dem Haager-Programm, das bis 2010 reicht. Bei den Gesprächen geht es um künftige Arbeitsschwerpunkte. Wir brauchen mehr Effizienz und Transparenz, und das vermischt sich auch mit der neuen Säulenarchitektur, die sich aus dem Vertrag von Lissabon ergibt.
 
Eingangs habe ich gesagt, dass sich der Rahmen, in dem der freiheitliche Rechtsstaat für die Sicherheit seiner Bürger Sorge trägt, verändert hat. Er ist internationaler, er ist europäischer geworden. Ein Staat, der glaubt, alles im Alleingang regeln zu können, würdenicht weit kommen. Kein anderes europäisches Land hat so viele Nachbarn wie Deutschland. Deshalb sind wir besonders an der europäischen Zusammenarbeit interessiert. Wir brauchen ein handlungsfähiges Europa, um den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger auch angesichts der neuen Herausforderungen zu gewährleisten. Dieser Schutz betrifft die Sicherheit und die Menschenrechte gleichermaßen.

Source: BMI