„Schutz kritischer Infrastrukturen“ gegen innere und äußere Feinde

Ansprechstellen

[german-foreign-policy] BERLIN (Eigener Bericht) – Im Schatten des Streits um Online-Durchsuchung und Passagierdatenspeicherung treibt die Bundesregierung die Durchdringung ziviler Gesellschaftsbereiche durch Polizei und Geheimdienste voran. Zu den aktuellen Schwerpunkten gehört die Anbindung von Wirtschaftsunternehmen an die Repressionsbehörden und ihre Einbindung in staatliche Verteidigungskonzepte; damit bereitet sich Berlin auf mögliche gewalttätige Angriffe durch irreguläre Kräfte oder feindliche Armeen vor. Erst vor wenigen Tagen hat der Staatssekretär im Bundesinnenministerium August Hanning einen neuen "Leitfaden" vorgestellt, der dem "Schutz Kritischer Infrastrukturen" gewidmet ist und Privatfirmen auffordert, Vorsorge gegen mögliche Anschläge zu treffen. Als zukünftig drohende Gefahren werden ausdrücklich Naturkatastrophen, Terrorattentate und Kriege genannt. Laut verschiedenen "Checklisten" aus dem Bundesinnenministerium sollen Unternehmensleitungen Geheimdienste zu Rate ziehen und ihre Angestellten "überprüfen". Mit dem "Schutz Kritischer Infrastrukturen" gegen feindliche Angriffe befasst sich die Bundesregierung schon seit 1997 – vier Jahre vor den Anschlägen des 11. September. Das Vorhaben unterwirft ohne förmliche Regelung zentrale Wirtschaftsbereiche permanenter staatlicher Kontrolle und erschließt den Repressionsbehörden den Zugang zu bislang zivilen Segmenten der Gesellschaft.

Während die Debatte um die Pläne für weitreichende neue Eingriffe Berlins und Brüssels in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hohe Wellen schlägt und die Vorhaben zur Online-Durchsuchung sowie zur Speicherung von Passagierdaten auf massive Proteste stoßen, treibt die Bundesregierung die Durchdringung ziviler Gesellschaftsbereiche durch Polizei und Geheimdienste voran. Erst Ende der vergangenen Woche hat der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Hanning, ehemals Präsident der deutschen Auslandsspionage, einen neuen "Leitfaden" vorgestellt, der dem Schutz sogenannter Kritischer Infrastrukturen gewidmet ist. Die Broschüre ist Teil eines langfristig angelegten Programms, mit dem das Bundesinnenministerium Firmen für Maßnahmen der Inneren Repression zu nutzen sucht.

Terrorismus und Krieg

Ausgangspunkt des Berliner Programms sind Einrichtungen und infrastrukturelle Netze, die für die Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit Energie, Lebensmitteln und Information eine zentrale Rolle spielen: Kraftwerke, Strom- und Wasserleitungen, Straßen- und Schienenwege, Informationstechnologie und Kommunikationssysteme. "Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen mit besonderer Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen", heißt es in einer Begriffsdefinition des Innenministeriums, "bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden."[1] Wie die Fachleute aus dem Ministerium urteilen, sind die "Kritischen Infrastrukturen" in zunehmendem Maße bedroht: nicht nur durch "Naturereignisse" und "technisches und/oder menschliches Versagen", sondern vor allem auch durch terroristische Anschläge "sowie Kriege".[2]

Verwundbarkeit des Landes

Berlin hat es sich zum Ziel gesetzt, "das Schutzniveau für die kritischen Infrastrukturen insgesamt anzuheben, um die Verwundbarkeit des Landes zu reduzieren".[3] Dabei begannen die Vorbereitungen auf mögliche Angriffe irregulärer Kräfte ("Terrorismus") oder feindlicher Mächte ("Krieg") schon kurz nach dem Ende des Systemkonflikts – gleichzeitig mit der Umrüstung der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee. "Seit 1997 setzt sich der Bund mit dem Schutz sogenannter Kritischer Infrastrukturen auseinander, um den Bedarf zusätzlicher Schutzmaßnahmen zu analysieren", teilt das Innenministerium mit.[4] Der Prozess wurde in Zusammenarbeit mit mehreren Bundesbehörden in Gang gesetzt (THW, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bundeskriminalamt und andere) sowie im Rahmen eines Jour Fixe institutionalisiert ("Arbeitskreis Kritis", "AK KRITIS").[5]

Nur ein Schritt

Der "Arbeitskreis" hatte, zumal zur selben Zeit zahlreiche Versorgungseinrichtungen privatisiert wurden, von Beginn an die Privatwirtschaft im Blick. Heute ist nur noch "ein geringer Teil von Einrichtungen der Kritischen Infrastrukturen (…) in staatlichem Besitz, mehr als 80% werden von ausschließlich privaten bzw. privatisierten Unternehmen betrieben oder gesteuert" [6], teilt die Leiterin des Zentrums "Schutz Kritischer Infrastrukturen" im 2004 gegründeten Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit. Entsprechend zieht das Innenministerium private Firmen zur inneren Formierung Deutschlands heran. Als Instrumente, mit denen die "Verwundbarkeit des Landes" reduziert werden soll, dienen ein schon 2005 veröffentlichtes "Basisschutzkonzept" zum "Schutz Kritischer Infrastrukturen" sowie ein zur praktischen Anwendung bestimmter "Leitfaden", den die Bundesregierung seit kurzem bereithält.[7] Er wurde vor einer Woche im Innenministerium rund 200 Vertretern von Unternehmen und Behörden vorgestellt und soll "nur ein Schritt auf dem Weg weiterer Kooperationen von Staat und Wirtschaft sein".[8]

Anarchismus

Die Regierungsbroschüren enthalten "Fragenkataloge" und "Checklisten", mit deren Hilfe sich Unternehmen umfassend gegen mögliche Anschläge wappnen sollen. Eine Fixierung auf den aktuellen "Anti-Terror-Kampf" gegen islamistische Kräfte findet nicht statt. So haben die Autoren des "Basisschutzkonzepts" nicht nur "glaubensbezogene Motive" als Antrieb möglicher Attentäter im Blick, sondern auch nicht näher bestimmte "politische Radikalität", "Anarchismus" und den Plan zum "Herbeiführen gesellschaftlicher Veränderungen mit Gewalt".[9] Eine Checkliste empfiehlt ausdrücklich, neue Mitarbeiter und externe Beschäftigte einer "Sicherheitsüberprüfung" zu unterziehen. "Weitere Hinweise über präventive Maßnahmen im Bereich Personal erteilen die zuständigen Behörden, insbesondere die Polizeidienststellen, die Landeskriminalämter, das Bundeskriminalamt sowie die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz", raten die Autoren des "Basisschutzkonzepts".[10] Ganz allgemein drängt das Innenministerium auf eine "gute und intensive Zusammenarbeit zwischen den Betreibern Kritischer Infrastrukturen und den Sicherheits- und Gefahrenabwehrbehörden".[11]

Hamburger Hafen

Die vom Bundesinnenministerium verlangte Kooperation zwischen Privatwirtschaft und Repressionsbehörden wird inzwischen auch von Wirtschaftsverbänden forciert (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), eine eng mit dem Kanzleramt kooperierende Institution aus dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums, nimmt sich ihrer ebenfalls an.[13] Zuletzt kamen in der Bundesakademie Ende November Behörden- und Firmenvertreter zusammen, um über gemeinsame Maßnahmen zur Abwehr von Angriffen auf die Kommunikationsinfrastruktur zu beraten. In der zweiten Februarhälfte ist der "Schutz Kritischer Infrastrukturen" Gegenstand des Halbjahres-"Seminares für Sicherheitspolitik 2008" der BAKS. Ausgewählte Mitarbeiter von Industrie, Behörden und Repressionsapparaten bearbeiten die Thematik dann am Beispiel des Hamburger Hafens.

Angriffsziele

Die BAKS, die sich selbst als zentrales Glied einer "Strategic Community" in Berlin begreift, nimmt sich auch möglicher Bedrohungen deutscher Unternehmen im Ausland an. Zuletzt diskutierten im Oktober Experten aus nicht näher beschriebenen Behörden in einem Gesprächskreis der BAKS mit Unternehmensvertretern über "die Sicherheit von deutschen Unternehmen im Ausland". Dabei ging es unter anderem um Geiselnahmen bzw. die Entführung von Firmenmitarbeitern. Anstatt die Firmen zum Rückzug aufzufordern, um Menschenleben zu schonen, standen bei der BAKS "Sicherheitskonzepte", eine gezielte Vorbereitung der Auslandsmitarbeiter sowie eine "frühzeitige Einbindung der regionalen Akteure" auf dem Programm.[14] Man wolle "verstärkten Informationsaustausch" zwischen Industrie und Behörden sowie feste "Ansprechstellen" zur Kommunikation, hieß es: Maßnahmen, die in Kriegs- und Krisengebiete (wie etwa Afghanistan) entsandte Firmenmitarbeiter noch stärker als bisher in den Verdacht bringen, staatlichen Repressionskräften zuzuarbeiten. Damit macht Berlin einmal mehr Zivilisten zum Angriffsziel in der vordersten Linie der deutschen Expansion.

[1] Definition Kritischer Infrastrukturen des AK KRITIS im Bundesministerium des Innern (BMI) vom 17. November 2003
[2] Bundesministerium des Innern: Schutz Kritischer Infrastrukturen – Risiko- und Krisenmanagement. Leitfaden für Unternehmen und Behörden; www.bmi.bund.de
[3] Zuständigkeiten für den Schutz Kritischer Infrastrukturen; www.bmi.bund.de
[4] Bundesministerium des Innern: Schutz Kritischer Infrastrukturen – Risiko- und Krisenmanagement. Leitfaden für Unternehmen und Behörden; www.bmi.bund.de
[5] Zuständigkeiten für den Schutz Kritischer Infrastrukturen; www.bmi.bund.de
[6] Monika John-Koch: Der Schutz Kritischer Infrastrukturen in Deutschland; Homeland Security 3/2007
[7] Bundesministerium des Innern: Schutz Kritischer Infrastrukturen – Risiko- und Krisenmanagement. Leitfaden für Unternehmen und Behörden; www.bmi.bund.de
[8] "Schutz Kritischer Infrastrukturen – Risiko- und Krisenmanagement". Ein Leitfaden für Unternehmen und Behörden; www.bbk.bund.de 29.01.2008
[9], [10], [11] Bundesministerium des Innern: Schutz Kritischer Infrastrukturen – Basisschutzkonzept. Empfehlungen für Unternehmen; www.bmi.bund.de
[12] s. dazu Nationaler Sicherheitsrat
[13] s. dazu Strategic Community und In die Zange nehmen
[14] Zusammenarbeit von Behörden und Wirtschaft in Krisen; www.baks.bundeswehr.de 15.10.2007

Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57147?PHPSESSID=3uffssipe30l4c7afbg187bqf6

One response to “„Schutz kritischer Infrastrukturen“ gegen innere und äußere Feinde”

  1. Michaela

    Armes Deutschland, ds wir uns von solcher Propaganda noch beeinflussen lassen.
    Wie steht es da noch mit der Sicherheit meienr Freiheit?