Österreich: Hintergrundwissen zu §278a StGB

Dabei sein ist alles – Informationen zum § 278a StGB in Österreich – Eine Info der Rechtshilfe, 28. 05. 2008

Als
am 21. Mai 2008 23 Wohnungen, Büros und Häuser von
TierrechtsaktivistInnen in Wien, Niederösterreich, der Steiermark,
Salzburg und Tirol durch Sondereinheiten der Polizei gestürmt und
durchsucht wurden, sowie zeitgleich Haftbefehle gegen 10 der
Betroffenen ergingen, stellte sich schnell heraus, was als Begründung
für dieses massive Repression gegen linke AktivistInnen herhalten muss.
Den Inhaftierten wird die Bildung einer kriminellen Organisation nach §
278a StGB vorgeworfen.

Dieser Paragraph wurde ursprünglich 1993 gemeinsam mit dem § 165 StGB
gegen Geldwäsche eingeführt, um bei der Bekämpfung der organisierte
Kriminalität bereits die Mitgliedschaft in einer kriminellen
Organisation unter Strafe zu stellen, ohne das von dieser kriminellen
Organisation bzw. deren Mitgliedern bereits konkrete Taten begangen
worden sind. Der Straftatbestand ist ein sogenanntes
"Vorbereitungsdelikt", das heißt, dass der Tatbestand der kriminellen
Organisation ein im Vorfeld zukünftiger verbrecherischer Aktivitäten
liegendes Verhalten erfasst, das für sich alleine gesehen straflos wäre.

Mehrere Voraussetzungen müssen gleichzeitig vorliegen, um den
Tatbestand der kriminellen Organisation zu erfüllen; im weiteren folgen
nun Erläuterungen zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen.

Die kriminelle Organisation muss auf längere Zeit angelegt sein, das
heißt auf unbestimmte Zeit oder mindestens auf mehrere Wochen. Die
Judikatur spricht konkret von ca. 3 Monaten. Weiters muss der
Zusammenschluss "unternehmensähnlich" aufgebaut sein, was sich
zusammenfassend erklären lässt mit dem Vorliegen von Arbeitsteilung (zB
Planung und Ausführung), hierarchischem Aufbau (Weisungsbefugnisse bzw
-gebundenheit), und einer bestimmten vorhandenen Infrastruktur (zB
Organisationsvermögen). Eine größere Anzahl von Personen ist als
weiteres Merkmal einer kriminellen Organisation erforderlich – hier hat
die Rechtsprechung einen Richtwert von zehn Personen entwickelt – was
für ein Zufall, dass nun genau 10 wahllos zusammengewürfelte
TierrechtsaktivistInnen in Untersuchungshaft sitzen. Eine kriminelle
Organisation benötigt natürlich auch eine Zielsetzung – die
strafrechtlichen Möglichkeiten diesbezüglich finden sich im den Ziffern
1 bis 3. Jeweils eine Alternative aus jeder einzelnen Ziffer muss
gemeinsam vorliegen, damit der Tatbestand erfüllt ist. Die Gesetzgebung
hatte bei der Einführung des Delikts der kriminellen Organisation klare
Vorstellungen, welche Bereiche der organisierten Kriminalität damit
pönalisiert werden sollen, weswegen im Absatz zur Ziffer 1 des § 278a
StGB z.B. Suchtmittelhandel, Schlepperei oder Waffenhandel dezidiert
erwähnt werden.

Geschützte Rechtsgüter sind jedenfalls Leib, Leben, Gesundheit oder
Eigentum – die kriminelle Organisation muss es sich zum Ziel gesetzt
haben wiederkehrend und geplant schwerwiegende strafbare Handlungen
gegen diese Rechtsgüter zu begehen.

Die Ziffer 2 behandelt das Streben der kriminellen Organisation nach
massiven finanziellen Vorteilen (> 50.000 Euro) oder einem großen
Einfluss auf Politik oder Wirtschaft – dieser angestrebter Einfluss
muss ein erheblicher sein, das bedeutet, dass grundsätzliche
Entscheidungen politisch oder wirtschaftlich Verantwortlicher dadurch
massiv beeinflusst werden sollen. Die Beeinflussung einzelner
Unternehmen ist nicht ausreichend – der angestrebte Einfluss bezieht
sich auf Wirtschaft oder Politik als Ganzes.

Die Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnamen oder alternativ die
Bestechung und Einschüchterung anderer sind die Strafbestandsmerkmale
der Ziffer 3. Was genau unter Abschirmung gegen
Strafverfolgungsmaßnahmen zu verstehen ist, wurde von Lehre und
Rechtsprechung entwickelt. Es müssen jedenfalls Mittel sein, die zum
Schutz der kriminellen Organisation vor Strafverfolgung gegen die
Behörden ergriffen werden und über die ohnedies üblichen
Vorsichtsmaßnamen bei der Verwirklichung verbrecherischer Vorhaben
hinausgehen, wie z.B. die Gründung von Scheinfirmen zu Tarnzwecken, der
häufige Wechsel von Wertkartenhandys, Verwendung von Codes bei der
internen Kommunikation, die Anmietung von konspirativen Wohnungen oder
andere Strategien, die die Strafverfolgung erschweren oder unmöglich
machen sollen. Es gibt aber auch abweichende Lehrmeinungen, die im
häufigen Wechsel von Wertkartenhandys und dem Verwenden von Codewörtern
noch keine Abschirmung in besonderer Weise sehen

Diese erwähnten Merkmale einer kriminellen Organisation nach § 278a
StGB sind dann erfüllt, wenn eine solche Organisation gegründet wird
oder wenn sich wer an einer solchen als Mitglied beteiligt. Das Delikt
benötigt als weiteres Element Vorsatz hinsichtlich aller
Organisationsmerkmale.

Das alles klingt nicht neu, sondern wohl bekannt. Alle, die sich mit
dem deutschen §129a StGB – der Bildung einer terroristischen
Vereinigung – auseinandergesetzt haben, kennen die konstruierten
Vorwürfe im Kontext der Kriminalisierung linker Strukturen – unabhängig
von Tierrechten, antifaschistischen Aktionen oder G8-Mobilisierungen,
die offenbar einzig und allein dazu dienen, mittels der Delikte der
terroristischen Vereinigung dem Staat Einblick in linke Gruppierungen
bzw. Arbeit zu ermöglichen. Ganz allgemein führen in Deutschland nur 1%
(!!!) der eingeleiteten Strafverfahren wegen der Bildung einer
terroristischen Vereinigung zu tatsächlichen Verurteilungen.

Das österreichische Strafrecht kennt neben dem §278a auch noch die
Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 278 StGB, die sich –
abgesehen von der niedrigeren Strafandrohung (drei statt fünf Jahre
Freiheitsstrafe) nur durch den weniger bis gar nicht ausgeprägten
Organisationsgrad und die geringere Personenanzahl (ab 3 kann mensch
Teil einer kriminellen Vereinigung sein) von der kriminellen
Organisation unterscheidet.

Der Versuch der Behörden politisch aktive Menschen als kriminelle
Organisation zu werten, Ermittlungen gegen sie einzuleiten, breite
Überwachungsmaßnahmen einzusetzen und in Haft zu nehmen aufgrund
vollkommen haltloser und unbegründeter Phantasien des
Verfassungsschutzes und/oder einer Staatsanwaltschaft, ist in der
Geschichte der österreichischen Justiz sowie der Linken ein absolutes
Novum. Noch nie zuvor kam es in Österreich zu einer dermaßen groß
angelegten Repressionwelle gegen linke AktivistInnen, die in der
Verhaftung von 10 und der Hausdurchsuchung von 23 Wohnungen vergangenen
Mittwoch gipfelte. Dies muss auch als Versuch gewertet werden linke
widerständige Praxen einzuschüchtern und im Lichte der medialen
Öffentlichkeit zu diskreditieren bzw zu kriminalisieren.

Beim Durchlesen der Anordnung der Festnahmen sowie der Durchsuchungen
finden sich die genauen Textstellen des Gesetzes wieder, die
angelasteten Delikte wurden – wage umschrieben, ohne offensichtlich
begründetem Tatverdacht, ohne genaue Vorwürfe – einfach eingefügt.
Außerdem sind Hinweise auf massive Telefon- und Computerüberwachung zu
finden – wie weit die Ausmaße diesbezüglich gehen, ist nicht
einschätzbar. Durch die Änderungen im Sicherheitspolizeigesetz mit 01.
01. 2008 wurde der Exekutive für die Telefonüberwachung – via
Rufdatenerfassung ohne richterliche Genehmigung und durch die
Anschaffung von sogenannten IMSI-Catchern auch den einfachen Zugang zur
Gesprächserfassung – Tür und Tor für eine breite Überwachung
x-beliebiger Personen geöffnet. Es muss davon ausgegangen werden, dass
diese Möglichkeiten zur flächendeckenden Überwachung via Telefon auch
großzügig genutzt werden, genügt doch ein Fax der Polizei an die
Provider.

Wie bereits erwähnt, ist die Bildung einer kriminellen Organisation ein
Vorbereitungsdelikt, das heißt, es genügt bereits die Gründung bzw.
Mitgliedschaft in einer solchen Organisation ohne das deren Mitglieder
bereits konkrete Straftaten verübt hätten.
Die Vorbereitung und Bildung einer kriminellen Organisation – wenn denn
dem Staat der Nachweis, dass tatsächlich eine vorliegt, gelingt – ist
bereits strafbar. Warum die Staatsanwaltschaft jahrelang ermittelt und
untätig bleibt, ist eines der großen Fragen, die sich derzeit alle
stellen. Offensichtlich sind aber weder angebliche Beweise oder
Indizien gegen die Betroffenen vorhanden, sodass nun zu dermassen
drastischen Mitteln gegriffen wird.

Wir fordern die sofortige Freilassung aller Betroffenen, die
Einstellung aller Verfahren bezüglich der kriminellen Organisation bzw.
eventuellen anderen und die Löschung sämtlicher erfasster Daten!

Politisches Engagement ist kein Verbrechen!
Eure Repression kriegt uns nicht nicht klein – wir sind alle § 278a!

http://antirep2008.lnxnt.org/
antirep2008 (at) gmx.at

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Source: http://no-racism.net/article/2577/