EURO 08: «Massnahmen zur Sicherheit wirken»

[espace.ch] In der Berner General-Guisan-Kaserne amtet der Solothurner
Polizeikommandant Martin Jäggi als Sicherheitskoordinator der Euro
2008. Im Interview sagt er, warum die 3-D-Strategie der Schweiz
funktioniert.
   

Aus Sicht des Sicherheitsexperten: Welche Schlüsse können Sie bereits jetzt aus der Euro 08 ziehen?

Martin
Jäggi: Wir sind sehr glücklich, dass alles so friedlich verlaufen ist
und dass tatsächlich ein Fussballfest gefeiert werden konnte. Das
freundliche, aber bestimmte Auftreten der Sicherheitskräfte und die
vielen friedlichen Fans haben dazu beigetragen. Die nationale
Kooperation aller Sicherheitspartner funktioniert, und die
internationale Zusammenarbeit bewährt sich. Ich kann auch sagen, dass
die verschiedenen Filter zur Fernhaltung von gewaltbereiten Personen
aus dem Ausland funktionieren und dass die Massnahmen gegen Gewalt im
Sport wirken.

Wie lässt sich die Sicherheit in diesen Dimensionen organisieren?

Diese
Aufgabe ist eine Herausforderung, die sich so noch nie stellte. Wir
meisterten allerdings als interkantonaler Polizeieinsatz 2003 in Genf
und Lausanne den G-8-Gipfel, der wertvolle Lehren über Führungs- und
Einsatzabläufe ermöglichte. Diese Erkenntnisse mündeten in politische
Beschlüsse, die seither verbindlich festlegen, wie ein Kanton
vorzugehen hat, wenn er für einen Polizeieinsatz zu wenig Kräfte hat.

Und doch ist an der Euro 08 vermutlich vieles anders.

Der
Euro-2008-Auftrag hat ganz andere Dimensionen, dauert deutlich länger –
insgesamt sogar länger als die drei Wochen des Turniers –, und er ist
zudem enorm vielfältig.

Vielfältig?

Über sämtliche
Polizeikorps der Kantone und Gemeinden hinaus, die alle irgendwie
involviert sind, machen verschiedene Sicherheitspartner mit: Polizisten
aus allen Teilnehmerländern, 13000 Armeeangehörige, das
Grenzwachtkorps, Tausende von Zivilschützern und Sanitätern, der
Koordinierte Sanitätsdienst als flächendeckender Apparat, unzählige
Feuerwehren, mehrere der insgesamt 24 Sonderstäbe des Bundes – etwa
jene bei Geiselnahmen oder bei Pandemien – sowie die Bundesämter für
Bevölkerungsschutz und für Verkehr. Und, und, und.

Warum diese Vernetzung?

Die
polizeiliche Gefahrenabwehr ist nur ein Teil unserer Aufgabe. Die nicht
polizeiliche, öffentlich kaum sichtbare ist eine andere, jedoch nicht
minder wichtige und aufwändige Aufgabe.

Die Polizeihoheit liegt bei den Kantonen. Gabs deswegen Probleme?

Im
ersten Organigramm, das wir vor vier Jahren vorgelegt hatten, wehrten
sich die Kantone und auch die Austragungsorte vehement dagegen, bloss
kleine Ausführungsorgane eines zentralen, schweizweiten
Führungsapparats zu sein. Jetzt amtet auf der obersten Ebene der
politische Ausschuss unter VBS-Chef Bundesrat Samuel Schmid. Eine Stufe
tiefer wirkt der Steuerungsausschuss, geleitet von Benedikt Weibel, als
operatives Gremium. Das ist letztlich ein Schachzug, der den Kantonen
keine Kompetenzen wegnimmt und uns auf Bundesebene keine
Weisungsbefugnisse zugesteht.

Wie läuft eigentlich das Tagesgeschäft ab?

Täglich
trifft sich das Gremium hier in der General-Guisan-Kaserne in Bern
unter Benedikt Weibel um 7 Uhr zu einer Lagekonferenz, an der das
Police Information and Coordination Center (PICC) des Bundesamtes für
Polizei jeweils eine «integrale Lage» unterbreitet; sie umfasst
Informationen über Terrorismusgefahr oder Hooliganismus ebenso wie über
das Wetter oder den Verkehr auf Schienen und Strassen – alles Fakten
also, die es beim zweiten Rapport, dem «operativen Dialog» der
«Plattform Sicherheit Schweiz» unter meiner Leitung um 8.30 Uhr,
ermöglichen, entsprechend zu reagieren.

Von der Guisan-Kaserne in Bern aus werden somit keine polizeilichen oder andere Interventionen befohlen?

Nein.
Das Gremium schafft die optimalen Voraussetzungen, um Sicherheit zu
produzieren, ohne dass zuvor Abläufe geschaffen und Absprachen
getroffen werden müssen. Und zwar, indem es koordiniert, wo es zu
koordinieren gibt, was angesichts einer Unmenge von Schnittstellen
allerdings enorm viel ist. Das «Nationale Sicherheitskonzept» umfasst
67 Seiten und ist alles andere als geheim: Es kann unter
www.switzerland.com. eingesehen und heruntergeladen werden.

Erklären Sie bitte eine solche Koordinationsaufgabe.

Nehmen
wir an, die Drohnen-Aufklärung der Luftwaffe oder der Dienst für
Analyse und Prävention (DAP) meldeten, dass Attacken auf das Hotel des
deutschen Teams in Ascona geplant seien und die Tessiner Polizei habe
deswegen um Unterstützung durch die interkantonale Polizeireserve
ersucht. Zeitgleich hätten Basel und Genf aus anderen Gründen ebenfalls
um Hilfe gebeten. Hier hätte der Nationale Koordinationsstab Schweiz
dank seiner Schnittstellenfunktion bei der Konferenz der kantonalen
Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) innert einer halben Stunde einen
politisch abgestützten Beschluss über die Prioritäten erwirken können.

Gibt es so etwas wie kulturelle Unterschiede zwischen den Host-Citys?

Das
ist ein wichtiger Punkt. Flächendeckend – in den vier Host-Citys ebenso
wie in allen Kantonen mit ihren 16 UBS-Arenen und über 150 weiteren
Public Viewings – gilt die 3-D-Strategie für Sicherheitskräfte: Dialog,
Deeskalation, Durchgreifen. Sie macht nur Sinn, wenn sie überall und
überall gleich konsequent umgesetzt wird. Zur Kultur: Verwendeten die
Organisatoren der Fussball-WM 2006 in Deutschland den Begriff
«Gefangenensammelstellen», so reden wir in der Schweiz von
Örtlichkeiten für vorübergehende Festnahmen. Das tönt zwar
technokratisch, ist aber psychologisch nicht so problematisch, weil
weniger martialisch.

Was glauben Sie, welche Erkenntnisse dieser Euro 08 nützen langfristig?

Diese
engmaschige Vernetzung unter den Sicherheitskräften – polizeilichen und
nichtpolizeilichen – der Schweiz, die für die Euro 2008 aufgebaut, und
die Kontakte, die geschaffen wurden, sollten sich auch für künftige
grössere Ereignisse nutzen lassen. Die Zusammenarbeit und gegenseitige
Hilfe ist nun erprobt und verfestigt.

Interview: Herbert Fischer

Source: http://www.espace.ch/artikel_536485.html