Fliegende Augen

[rheinischer-merkur.de] Nach
dem Militär entdecken Wissenschaftler die Vorzüge unbemannter
Flugroboter. Die Maschinen dienen als autonome Messstationen bei
unwirtlichen Bedingungen
Ungewöhnliche
Flugbewegungen waren im vergangenen November über der Antarktis zu
beobachten: An mehr als 20 Tagen startete das Forschungsflugzeug M2AV
bei der britischen Forschungsstation Halley, um im Tiefflug über das
Brunt Ice Shelf zu kreuzen. Sensoren am Bug der Maschine erfassten
ständig Wind, Temperatur und Turbulenzen in den bodennahen
Luftschichten. Nach jeweils rund 50 Kilometer Flugstrecke kehrte die
Maschine zur Basis zurück und schlitterte bei der Landung übers Eis,
direkt vor die Füße von Thomas Spieß. Der Meteorologe vom Institut für
Luft- und Raumfahrtsysteme (ILR) der Technischen Universität
Braunschweig musste sich nur noch bücken, um den Flieger aufzuheben und
in den Schutz der Station zurückzutragen. Denn das am ILR entwickelte
M2AV hat nur zwei Meter Spannweite.

Ein herkömmliches Modellflugzeug ist M2AV keineswegs. „Es kann
vollkommen autonom fliegen“, erklärt Spieß. Die gewünschte Flugroute
muss nur per Notebook programmiert werden. Einmal in der Luft, steuert
ein Mini-Bordcomputer das Flugzeug. Der Autopilot orientiert sich
mithilfe von GPS-Navigationssatelliten und folgt automatisch dem
vorgegebenen Weg. Nur bei Start und Landung wird M2AV noch von einem
menschlichen Piloten am Boden ferngesteuert.

Die Messflüge von M2AV in der Antarktis waren der weltweit erste
Einsatz von Roboterflugzeugen in der polaren Klimaforschung. Wieder
zurück in Braunschweig, ist Spieß derzeit mit der Auswertung der
gesammelten Messdaten beschäftigt. Ein Ergebnis steht allerdings schon
fest: Als fliegende Messstation hat sich M2AV, der eisigen Kälte zum
Trotz, bestens bewährt.

Unbemannte Luftfahrzeuge, im Fachjargon kurz UAV (unmanned aerial
vehicle) genannt, rücken zunehmend in das Interesse der Wissenschaft.
Bisher wurden Drohnen meist nur vom Militär als Aufklärungsflugzeuge
eingesetzt. Doch die Vorteile der fliegenden Roboter, vor allem bei
sogenannten 3D-Missionen, überzeugen auch zivile Nutzer. 3D steht für
„dirty, dull and dangerous“: Dreckig, stumpfsinnig und gefährlich darf
es zugehen, wenn sich die UAVs in die Lüfte schwingen. Sie können unter
Bedingungen fliegen, die man aus Sicherheits- und Kostengründen keinem
normalen Flugzeug mit Piloten zumuten würde. Als „dull“ gelten sehr
lange, monotone Überwachungsflüge.

Drohneneinsätze im Dienste der Wissenschaft gab es bislang vor
allem in den USA: So schickten Wissenschaftler des US Geological Survey
2004 den Flugroboter „Silver Fox“ durch die Aschewolken des Vulkans
Mount St. Helens. Mit einer Wärmebildkamera erspähte das UAV neue
Lavaströme im Krater. Sturmforscher der National Oceanic and
Atmospheric Administration (NOAA) ließen eine Drohne des australischen
Herstellers Aerosonde stundenlang im Tiefflug den Wirbelsturm Ophelia
durchkreuzen, der 2005 vor der Küste des US-Staates Virginia tobte. So
konnten sie erstmals meteorologische Daten aus den extrem turbulenten
unteren Luftschichten eines Hurrikans sammeln. Selbst die mutigsten
Sturmpiloten würden sich niemals freiwillig nur 150 Meter hoch über das
aufgepeitschte Wasser wagen.

Beim UAV Altair, das die Nasa und NOAA gemeinsam einsetzen, um
beispielsweise Waldbrände in Kalifornien zu überwachen, steckt
Militärtechnik im zivilen Gewand. Altair ist eine umgebaute Version der
Aufklärungsdrohne Predator, die sonst regelmäßig über dem Irak
Spähflüge macht. Altair ist mit hochauflösenden Kameras und Radar
ausgerüstet und kann bis zu 30 Stunden lang in Flughöhen von über 15
000 Metern kreuzen. Mit einer Spannweite von 28 Metern und einem Preis
von rund zehn Millionen Dollar sprengt sie freilich die im
Forschungsbereich sonst üblichen Dimensionen.

Die meisten Forschungsdrohnen sind erheblich kleiner und billiger.
Flügelspannweiten reichen von 50 Zentimeter bis drei Meter, die Kosten
liegen üblicherweise unter 50 000 Euro. Sie ähneln
Hobby-Modellflugzeugen, die aber mit Hightech-Sensorik und digitaler
Steuerung aufgerüstet sind.

„Vor einigen Jahren konnte man sich noch gar nicht vorstellen, dass
so kleine Flugzeuge auch vollkommen automatisch fliegen können. Die
erforderliche Flugelektronik war einfach noch zu groß und zu schwer“,
sagt Marco Buschmann, Geschäftsführer der Mavionics GmbH. Das
Unternehmen ist eine Ausgründung des Instituts für Luft- und
Raumfahrtsysteme (ILR) der TU Braunschweig. Es vermarktet Bordcomputer
für UAVs. Dank fortschreitender Miniaturisierung ist die am ILR
entwickelte Flugelektronik heute nur noch so groß wie eine
Zigarettenschachtel. Dazu gehört ein GPS-Empfänger zur
Positionsbestimmung, ein Gyroskop, um die Neigung des Flugzeugs
gegenüber dem Horizont zu ermitteln, und ein Kleincomputer, der darüber
wacht, dass die festgelegte Flugroute auch eingehalten wird. Bei Bedarf
kann der Kurs per Funkbefehl jederzeit neu programmiert werden.

Trotz dieser technischen Fortschritte ist kaum zu erwarten, dass
Forschungsdrohnen bald auch über Europa in großer Zahl am Himmel
auftauchen werden. Denn es gibt ungeklärte Sicherheitsfragen: Wie
lassen sich Flugroboter so in den geregelten Luftraum integrieren, dass
sie die bemannte Luftfahrt nicht gefährden? Experten bei der
Europäischen Luftsicherheitsagentur Easa und ihrem US-Pendant FAA
diskutieren bereits über die nötigen Anforderungen. Wann erste
Vorschriften zur Luftsicherheit der UAVs erlassen werden, ist aber noch
nicht absehbar.

Zeitlichen Druck gibt es vor allem vom Militär, das gerne auch über
Europa routinemäßig unbemannte Flugzeuge einsetzen würde. Bisher muss
vor jedem Start einer Drohne bei den Luftaufsichtsbehörden eine
Sperrung des Luftraumes entlang der geplanten Flugrouten beantragt
werden. Ein lästiges wie zeitraubendes Verfahren.

Anfang des Jahres vergab die Europäische Verteidigungsagentur (EDA)
darum an zwölf europäische Luftfahrtkonzerne, darunter EADS und Diehl
BGT Defence aus Deutschland, den Auftrag für das Projekt „Air4All“.
Noch in diesem Sommer sollen die beteiligten Unternehmen einen
Aktionsplan präsentieren, wie militärische UAVs bis spätestens 2015 in
den zivilen Luftraum integriert werden könnten. Forschungsdrohnen
würden von solchen Regelungen gleichermaßen profitieren.

Eine Technik werden die autonomen Flieger in jedem Fall beherrschen
müssen: „see and avoid“, Sehen und Ausweichen. Über Radargeräte oder
Kameras mit automatischer Bildanalyse sollen auch UAVs ihr Flugumfeld
ständig im Blick behalten. Erkennt der Bordcomputer, dass sich ein
anderes Objekt auf Kollisionskurs nähert, muss der Flugroboter sofort
ein sicheres Ausweichmanöver einleiten.

Technisch ist das machbar. Im vergangenen Jahr absolvierte das
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bei Braunschweig erste
erfolgreiche Versuche: Das Forschungsflugzeug Attas, das sowohl von
einem Piloten als auch völlig autonom von einem Computer gesteuert
werden kann, wurde in der Luft auf Kollisionskurs mit einer
zweimotorigen Dornier 228 gebracht. „Der Bordcomputer von Attas hat den
Konflikt erkannt und das Flugzeug automatisch so gesteuert, dass stets
der geforderte seitliche Mindestabstand von 152 Metern eingehalten
wurde“, sagt Dietrich Altenkirch vom DLR-Institut für
Flugsystemtechnik. Der echte Pilot im Cockpit, der im Notfall das Ruder
sofort hätte übernehmen können, musste bei den Tests nicht eingreifen.

See-and-avoid-Systeme auch für kleine Drohnen zu entwickeln stellt
eine große Herausforderung dar. Die nötige Sensorik muss extrem klein
und leicht und dennoch zuverlässig sein. Radartechnik scheidet allein
von der Größe und dem Energiebedarf her aus. Forscher des ILR der Uni
Braunschweig experimentieren derzeit mit Laser-Sensoren. In den
nächsten Wochen wird erstmals ein kleines UAV zu Testflügen starten,
das mit einem Laser am Bug zumindest schon mal Hindernisse erkennen
kann, die genau in Flugrichtung liegen. Im automatischen Landeanflug
ist das wichtig, um beispielsweise Bäumen ausweichen zu können.

Die in der Antarktis eingesetzte Forschungsdrohne M2AV hatte diese
Fähigkeit noch nicht – aber auch nicht nötig. „Das Schelfeis der
Antarktis ist ideal, um dort ein UAV fliegen zu lassen“, sagt
ILR-Meteorologe Spieß. Der gefrorene Untergrund ist topfeben, und weit
und breit um die Forschungsstation herum gibt es keinen einzigen Baum,
der einem Flugzeug zum Verhängnis werden könnte.

Mit Sonnenkraft in die Stratosphäre

In Zukunft sollen Roboterflugzeuge mit Solarantrieb weit
oberhalb der Wolken und des allgemeinen Luftverkehrs wochenlang in der
Luft bleiben können. Als sogenannte Hale-Plattformen (high altitude,
long endurance) könnten sie – bei viel geringeren Kosten – die gleichen
Aufgaben wie Satelliten erfüllen: Telefongespräche weiterleiten,
Fernsehsendungen übertragen und die Erde beobachten.



Kürzlich präsentierte das Deutsche Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) eine Machbarkeitsstudie. Simulationsrechnungen ergaben,
dass sich mit der heute schon verfügbaren Solarzellen- und
Energiespeichertechnik ein Flugzeug bauen ließe, das allein mit
Sonnenenergie eine 250 Kilogramm schwere Nutzlast dauerhaft in der
Stratosphäre stationieren könnte. Das in der Studie beschriebene Modell
Solaris hätte schmale Flügel wie ein
Segelflugzeug und eine riesige Spannweite von über 60 Metern. Die wäre
nötig, um in der dünnen Luft der Stratosphäre überhaupt genügend
Auftrieb zu entwickeln und zugleich auch ausreichend Fläche für den
Einbau der Solarzellen als Energiequelle zu bieten.



Erste reale Versuche in diese Richtung gibt es bereits. Im
vergangenen September meldete das britische Forschungsunternehmen
Qinetiq einen Weltrekord: Zephyr, ein
solarbetriebenes UAV mit 18 Meter Spannweite, absolvierte im sonnigen
US-Staat New Mexico einen Testflug. Dabei stieg es bis in 17 000 Meter
Höhe auf und blieb 54 Stunden ohne Unterbrechung in der Luft – länger
als jedes andere Flugzeug zuvor.

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