ACTA: Zweite Runde in Washington

[futurezone.at] Das Antipiraterieabkommen ACTA beunruhigt weltweit Bürgerrechtler und
Vertreter der Zivilgesellschaft. Am 29. Juli treffen sich die
Unterhändler zur zweiten Verhandlungsrunde in der US-Hauptstadt
Washington. Dabei sind auch Vertreter der EU-Kommission. Sowohl in EU
als auch den USA laufen die ACTA-Entscheidungsprozesse bisher an den
Volksvertretungen vorbei, verbindliche öffentliche Dokumente gibt es
nicht.

Ein Gespenst geht um – nicht nur in Europa, sondern weltweit. Das
Antipiraterieabkommen Anti-Counterfeit Trade Agreement [ACTA] ist zwar
Gegenstand von Erklärungen auf G8-Gipfeln und wird derzeit eifrig von
der EU, den USA und anderen Industriestaaten verhandelt, aber ein
Entwurf des Abkommens ist nicht bekannt.

Auf Grundlage von ACTA wollen vor allem die USA und die EU gegen den
Handel mit unlizenzierten Kopien von Konsum- und Industriegütern
vorgehen – wozu sie auch immaterielle Güter wie Software und Medien
zählen.

Die zweite Verhandlungsrunde, so Michael Jennings, Sprecher des
federführenden EU-Handelskommissars Peter Mandelson zu ORF.at, werde
vom 29. bis zum 31. Juli 2008 in Washington DC stattfinden.


Das Mandet der Kommission

Die Kommission,
so Jennings, habe seit dem 14. April das Mandat der 27
EU-Mitgliedsstaaten, ACTA mit auszuhandeln. "Da wir uns in den
Verhandlungen befinden, können wir, wie üblich, das Mandat nicht publik
machen", so Jennings.

Die Kommission habe sich bereits mit der Industrie und anderen
Interessensgruppen beraten. Es habe auch am 23. Juni ein Treffen mit
den Interessensvertretern in Brüssel gegeben, das auch für Bürger offen
gewesen sei.

Eingriff in die Grundrechte
Seit im Mai die ersten Hinweise auf das Abkommen einer breiteren
Öffentlichkeit durch die anonyme Publikation eines Diskussionspapiers
auf der Whistleblower-Site Wikileaks bekannt geworden sind, haben
Bürgerrechtsorganisationen wie die Electronic Frontier Foundation [EFF]
oder Fachleute wie der kanadische Urheberrechtsexperte Michael Geist
wiederholt davor gewarnt, dass ACTA auch Bestimmungen enthalten könnte,
die tief in die bürgerlichen Grundrechte eingreifen.

So ist in dem Diskussionspapier von anlasslosen Durchsuchungen von Notebooks und Speichermedien am Zoll die Rede.

Mehr zum Thema
Ein Positionspapier des Bundes der Deutschen Industrie, das ORF.at
vorliegt, drängt darauf, den Diebstahl "geistigen Eigentums" – ein sehr
weit gefasster Begriff – der Entwendung physischer Güter
gleichzustellen – unter spezieller Berücksichtigung der
Internetpiraterie.
IPod-Kontrollen auf dem Flughafen
Auf den Spuren des ACTA-Abkommens
Nur die Konturen bekannt

Die
US-Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge hat ein umfangreiches
Dossier über ACTA ins Netz gestellt. Dem zufolge hat das Abkommen drei
Säulen: Internationale Kooperation, Regeln für die Strafverfolgung und
die gesetzlichen Rahmenbediungungen.

Das älteste bekannte Dokument über ACTA in dieser Sammlung ist ein Fact
Sheet des US-Beauftragten für den Internationalen Handel [USTR] vom
Oktober 2007.

Obwohl dieses Dokument nicht mehr als eine vage Skizze des Vorhabens
darstellt, ist auch dort schon deutlich zu lesen, dass man von US-Seite
gegen Piraterie via Internet und andere Informationstechnologien
vorgehen und dazu auch neue Maßnahmen an den Grenzen einsetzen wolle.

Bürgerrechtler wollen Abkommen sehen
Als besonders besorgniserregend bezeichnet Public Knowledge die
Tatsache, dass ACTA seitens der USA als "Executive Agreement"
betrachtet wird. Dabei handelt es sich um Übereinkommen, die vom
US-Präsidenten abgeschlossen werden und die nicht vom US-Senat
ratifiziert werden müssen. Auch die Freihandelszone NAFTA und das
Handelsabkommen GATT sind auf Grundlage solcher Executive Agreements
zustande gekommen.

Public Knowledge fordert daher von der US-Regierung – ebenso wie die
EFF und die Free Software Foundation [FSF] – den aktuellen Entwurf von
ACTA zu publizieren, damit eine öffentliche Diskussion darüber
stattfinden kann. Die FSF warnt angesichts der anlasslosen Durchsuchung
von Speichermedien vor einer "Kultur der Überwachung und des
Misstrauens", die der Arbeit an Freier Software entgegenstehe.

 

Noch kein Entwurf

"Soweit ich weiß gibt
es noch gar keinen Entwurf", sagt Michael Jennings, "Wir sind noch in
einer frühen Phase der Verhandlungen." Die Bedenken der Bürgerrechtler
möchte Jennings zerstreuen: "Was die ‚Gerüchte‘ angeht, die sich auf
mögliche Verletzungen von Bürgerrechten beziehen, kann ich folgendes
sagen: Bei ACTA geht es darum, die Aktivitäten krimineller
Organisationen in Zaum zu halten, die die öffentliche Sicherheit und
Gesundheit gefährden."

Kampf gegen Schmuggler

Die Verhandlungen
drehten sich nicht nur um Medien, sondern auch um gefälschte
Medikamente, Nahrungsmittel, Kosmetika, Spielwaren und
Auto-Ersatzteile.

"Es geht nicht darum, die bürgerlichen Grundrechte einzuschränken oder
Konsumenten zu belästigen", so Jennings, "Ich möchte darauf hinweisen,
dass die EU-Gesetzgebung eine ‚de minimis‘-Klausel beinhaltet, die
Reisende von Überprüfungen ausnimmt, wenn die beanstandeten Güter nicht
Teil eines groß angelegten Schmuggelunternehmens sind. Die Zollbeamten
in den Mitgliedsstaaten sind täglich mit organisiertem Drogen-, Waffen-
und Menschenschmuggel konfrontiert. Darauf liegt auch ihr
Hauptaugenmerk."

ACTA – Kein reines Handelsabkommen

Im
weiteren Prozess der Verhandlungen spiele die EU-Präsidentschaft – bis
Ende 2008 in den Händen der Franzosen unter Präsident Nicolas Sarkozy –
eine Rolle, da es hierbei auch um Strafgesetzgebung gehe. ACTA sei kein
reines Handelsabkommen, sondern ein gemischter Vertrag, so Jennings.

Die Kommission habe dutzende Male öffentlich über ACTA gesprochen,
darunter dreimal im Ausschuss für internationalen Handel [INTA] des
EU-Parlaments. Aufgrund des gemischten Charakters des Abkommens sei es
aber nicht sicher, ob das Parlament im weiteren Vorgehen eine Rolle
spiele.

Dies sei noch zu prüfen, sagt Jennings, der weitere Treffen mit
Organisationen der Zivilgesellschaft in Sachen ACTA in Aussicht stellt.
Wann der Öffentlichkeit ein verbindliches Entwurfspapier des Abkommens
zur Verfügung stehen wird, konnte er auf Anfrage von ORF.at bisher
nicht mitteilen.

"Politikwäsche"

Die US-Bürgerrechtler von
Public Knowledge, zu denen hochrangige Akademiker und Berater sowie
Internet-Veteranen wie Brewster Kahle [archive.org] zählen, befürchten
unterdessen, dass ACTA zum "policy laundering" [vgl. "money laundering"
– Geldwäsche] dienen wird, also dazu, unpopuläre Maßnahmen an den
Parlamenten und internationalen Foren wie WIPO oder WTO vorbei über
einen möglichst lange geheimgehaltenen internationalen Vertrag
durchzusetzen.

So oder so würde es angesichts der weitreichenden Folgen, die der
Abschluss dieses Abkommens für alle Bürger haben würde, allen
beteiligten Institutionen gut zu Gesicht stehen, den
Verhandlungsprozess klar offenzulegen und eine politische Diskussion
über das Abkommen zuzulassen.

[futurezone | Günter Hack]

Source: futurezone.orf.at