Durch die italienische Justizreform könnte sich Berlusconi nicht nur selbst amnestieren, auch das Verfahren gegen die Prügelpolizisten von Genua könnte in letzter Minute gestoppt werden
[telepolis] Unbeeindruckt von der Kritik hat die rechte Mehrheit im italienischen Senat mit großer Mehrheit der umstrittenen Justizreform zugestimmt. Ende Juli soll sie auch in der zweiten Kammer des Parlaments, in dem die Rechte ebenfalls die Mehrheit hat, endgültig verabschiedet werden. In den Medien wird sie immer als Akt der Selbstamnestierung des ewigen Ministerpräsidenten Berlusconi interpretiert. Eine zentrale Bestimmung des Gesetzes sieht ein einjähriges Moratorium für Prozesse für Vergehen vor, die vor Mitte 2002 begangen worden sind. Ausgenommen sind Verfahren wegen Gewaltverbrechen, organisierter Kriminalität, Arbeitsunfälle und andere Straftaten, auf die mehr als zehn Jahre Haft stehen.
Unter das Moratorium fällt auch ein Korruptionsverfahren gegen den dreimaligen Ministerpräsidenten Berlusconi. Er ist wegen der Bestechung des britischen Anwalts David Mills angeklagt. Mills soll belastende Einzelheiten zu Berlusconis Geschäften als Medienmogul zurückgehalten und dafür rund 400.000 Euro erhalten haben. Mit einem Urteil war in Kürze gerechnet worden.
Die parlamentarischen Kritiker konzentrierten sich bei ihrer Kritik an dem Gesetz auf die Selbstamnestierung Berlusconis. Das ist natürlich verständlich, weil sich Berlusconi auch schon in seinen beiden vorherigen Amtszeiten durch maßgeschneiderte Gesetze aus den Fängen der Justiz befreit hat. Wie im Fall Mills ging es auch damals in erster Linie um Anklagen wegen Korruption oder Bestechung im Zusammenhang mit Berlusconis Firmenimperium. Allerdings zeigt auch die abermalige Konzentration auf der Opposition auf diesen Punkt deren Schwäche. Denn gerade Berlusconis jahrelanger Privatkrieg mit den von ihm so titulierten roten Richtern stand seit Jahren im Mittelpunkt diverser Kampagnen der italienischen Opposition.
Als die Mitte-Links-Koalition die Regierung übernommen hatte, gab es allerdings keine ernsthaften Versuche, die inkriminierten Bestimmungen rückgängig zu machen. Berlusconi wurde bei der letzten Wahl wiedergewählt, obwohl die Vorwürfe durchaus nicht vergessen sind. Dabei gereicht es ihm bei einem Teil seiner Wählerbasis sogar zum Vorteil, dass er es immer wieder verstanden hat, alle Anklagen und Verfahren relativ unbeschadet zu überstehen. In einer Gesellschaft, wo das proletarische Klassenbewusstsein bis Anfang der 70er Jahre der Kitt der größten kommunistischen Partei Westeuropas war, hat vielerorts das neoliberale Credo "Jeder ist seines Glückes Schmied" an Bedeutung gewonnen. In dieser Weltanschauung ist Berlusconi dann der Mann, der es schaffte, Karriere zu machen und trotz vieler Widrigkeiten oben zu bleiben.
Gesetzesverstöße werden dann durchaus akzeptiert. Hauptsache nicht erwischen lassen oder einen guten Anwalt haben, der einen vor Gericht rauspaukt"; lautet die Devise. Dafür kann man von der rechten Regierung auch Pardon für illegal errichteter Bungalows erwarten. Die Vertreter einer sauberen Justiz, wie sie am besten vom Vorsitzenden der Partei L’Italia dei Valori, der ehemalige Staatsanwalt Die Pietro repräsentiert wird, haben in dieser Situation wenig Chancen, mehrheitsfähig zu werden. Denn was denn nun die italienischen Werte sind, die seine Partei so vollmundig im Namen trägt, ist zwischen den konträren politischen Lagern strittig.
Wettlauf mit der Zeit
Weil die Opposition wenig alternative Politikvorstellungen einbringt, flüchtet sie auf das Feld der Werteverteidigung. Dazu passt auch, dass nur wenige zivilgerichtliche Organisationen darauf hinweisen, welche Folgen die Gesetzesinitiative noch hat. Sie könnte dazu führen, dass die Polizeigewalt gegen Demonstranten während des G8-Gipfels in Genua nicht mehr gerichtlich geahndet werden kann. Die Anwältin Laura Tartarini vertritt einige der in Genau von Polizisten verletzten Demonstranten als Nebenklägerin. Es handelt sich dabei um Menschen, die beim Polizeiüberfall auf die Diaz-Schule, dem Schlafplatz für G8-Kritiker und in der Polizeikaserne Bolzaneto geschlagen und verletzt worden sind. Von den ca. 300 Nebenklägern kommt fast die Hälfte aus dem Ausland.
Tartarini hofft auf ein erstinstanzliches Urteil noch vor dem Inkrafttreten des Moratoriums und spricht von einem Wettlauf mit der Zeit. Allerdings ist sie nicht sehr optimistisch.
Dass die parlamentarische Opposition bei der Kampagne gegen die Justizreform die drohende von der Rechten immer gewünschten Amnestie der uniformierten Straftäter von Genua nicht in den Mittelpunkt stellt, liegt sicher an den eigenen Versäumnissen. Während ihrer Regierungszeit scheiterte die Verabschiedung eines Abschlußberichts an fehlenden Stimmen aus de eigenen Lager.
Ebenfalls nicht im Mittelpunkt der parlamentarischen Opposition stehen die in der Justizreform enthaltenen Maßnahmen für eine schnellere Abschiebung von Migranten ohne gültige Papiere in Italien und der verstärkte Einsatz von Polizei, verstärkt durch Militär, in den Innenstädten. Zudem sollen von nicht sesshaften Einwanderern Fingerabdrücke genommen und gespeichert werden. Diese Maßnahmen sind bis weit in das Wählerreservoir der Linksparteien populär (Jagd auf Zigeuner). Nur kleine außerparlamentarische Gruppen unterstützen die Flüchtlinge.
Da sich die italienische Opposition vom Wahlausgang (Rom: Bürgermeister mit brauner Vergangenheit) noch nicht erholt hat, sehen jetzt die Gegner der Justizreform im italienischen Staatspräsidenten die letzte Hoffnung. Er kann sich weigern, die Vorlage zu unterzeichnen und damit deren Inkrafttreten verhindern. Menschenrechtsorganisationen haben Präsident Giorgio Napolitano, der kein Freund Berlusconis ist, schon zu diesem Schritt aufgefordert.