Sicher ins Finale – Der Einsatz von Soldaten bei der Fußball-EM

[imi-online] Das österreichische Bundesheer gab sich im April für die UEFA-EM im Juni 2008 das Motto „Sicher ins Finale.“
Bekanntlich schied Österreich als schlechtester Gastgeber der
EM-Geschichte bereits in der Vorrunde aus und verfehlte die
Finalteilnahme, aber militärisch betrachtet, bedeutet die Fußball-EM
ein Sieg der verordneten „Sicherheit.“
Auch in der Schweiz, dem zweiten Gastgeber, setzte schon lange vor
Beginn der EM eine Ausweitung der Armeebefugnisse für Einsätze im
Innern ein. Sowohl in Österreich als auch in der Schweiz wurde dabei
ein Schritt der Sicherheitspolitik nachvollzogen, den die meisten
EU-Staaten bereits hinter sich haben.
Erfahrungen aus Deutschland während der FIFA-WM 2006 wurden
aufgegriffen. Wenn es auch in den betroffenen Staaten Kritik von
unterschiedlichsten Seiten gab, bekamen und bekommen die Armeen
Befugnisse und Waffen zur Verfügung gestellt, die nicht der
Landesverteidigung gegen äußere Angreifer, sondern allein dem Zweck der
„Aufstandsbekämpfung“ gegen im Innern des eigenen Staates entdeckte
Feinde dienen. Kritik daran von unerwarteter Seite sprach Jean Pierre
Monti, der Generalsekretär des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter
(VSPB), bereits im November 2002 aus:

„Es kann nicht angehen, dass Kräfte mit kombattantem Status zivile
polizeiliche Aufgaben übernehmen und die Polizei belasten, nur weil die
Landesregierung im Streit um die innere Sicherheit offenbar nicht mehr
den politischen Willen hat, eine klare Trennung zwischen dem
Gewaltenmonopol von Polizei und Militär aufrechtzuerhalten. Der VSPB
verlangt vom Bundesrat, dass der polizeiliche Bereich der inneren
Sicherheit nach wie vor von Polizistinnen und Polizisten wahrgenommen
wird, die dafür ausgebildet sind und nebst den beruflichen auch über
entsprechende soziale Kompetenzen verfügen.“ Diese Kritik wurde von den
Regierungen schnell verworfen und nicht weiter beachtet.

Übungen wie „Wachhund 99“ im Jahr 1999 in Österreich und reale Einsätze
der Armee zur Erlangung von Erfahrungen, wie während der FIFA-WM 2006
in Deutschland, dienen dagegen der „Verbesserung der
Einsatzmöglichkeiten“ von Armeen im Innern gegen eigene Staatsbürger
und damit der Gewöhnung an militärische Einsätze im zivilen Leben.

Grundlagen

Während das deutsche Grundgesetz der Bundeswehr im Art. 87a einem
Einsatz im Innern strikte Grenzen setzt, gibt das Österreichische
Verfassungsgesetz dem Militär diesbezüglich mehr Freiheiten (Art. 79b
VG):

(1) Dem Bundesheer obliegt die militärische Landesverteidigung. Es ist nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten
(2) Das Bundesheer ist, soweit die gesetzmäßige zivile Gewalt seine Mitwirkung in Anspruch nimmt, ferner bestimmt
1. auch über den Bereich der militärischen Landesverteidigung hinaus
a) zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer
Handlungsfähigkeit sowie der demokratischen Freiheiten der Einwohner
b) zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt;
2. zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges.

Die Schweiz benennt in ihrer Bundesverfassung der österreichischen sehr ähnliche Befugnisse der Armee (Art. 58):

(1) Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
(2) Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung
des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie
unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender
Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer
ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.

Im schweizerischen Militärgesetz von 1995 (§§ 67, 70, 92) und in der
Verordnung über Polizeibefugnisse der Armee von 1994 (Art. 4) wurde
detailliert geregelt, dass zum Erhalt der "Inneren Sicherheit" der
Armee verschiedene Maßnahmen wie Passkontrollen, Vernehmungen,
Durchsuchung der mitgebrachten Gegenstände, Platzverweise und
Festnahmen bis hin zum Waffengebrauch erlaubt sind. Diese gesetzlichen
Regelungen wurden im Zusammenhang mit den Weltwirtschaftsforen in Davos
eingeführt.
Die Erfahrungen der Schweizer Armee im Bereich der „Inneren Sicherheit“
konnten durch die Erfahrungen der deutschen Polizeien und der
Bundeswehr während der FIFA-WM 2006 ergänzt werden. Denn Fußballfans
sind nicht per se systemkritisch und wollen auch nicht protestieren.
Sie wollen in erster Linie feiern und gemeinsam Spaß haben. Das gilt es
staatlich zu kanalisieren. Polizei und Bundeswehr haben vor zwei Jahren
„gut zusammen gearbeitet,“ wie in einer Mitteilung des deutschen
Bundesinnenministeriums bilanziert wurde. Etwa 2.000 Soldaten waren
damals in die Stadien der WM (in ziviler Kleidung) kommandiert worden.
Auch kam die NATO mit ihren AWACS-Kriegsfliegern zum Einsatz. Das
sollte sich nun alles wiederholen.

Der kooperative Einsatz im Innern

Schon lange vor Beginn der EM wurden zur Koordination mehr oder weniger
regelmäßige Treffen der Organisatoren der EM mit Polizei- und
Militärkräften organisiert. Vertreter der Polizeien und der Armeen
Österreichs, der Schweiz und Deutschlands nahmen daran teil.
Erfahrungsaustausch und gemeinsame Planung für die EM wurden als Ziele
benannt. Konkret wurden dabei Amtshilfen abgesprochen. Dies geschah von
der Öffentlichkeit fast unbemerkt, obwohl die Tatsache der Treffen
nicht verheimlicht wurde. Einige Ergebnisse der Treffen wurden noch vor
Beginn der EM veröffentlicht. Allerdings sind die Informationen über
den finanziellen Aufwand und über die eingesetzte Ausrüstung in den
Staaten unterschiedlich genau.

So stellte die deutsche Bundeswehr im grenznahen Raum Kasernen zur
Unterbringung von Kräften der Bundespolizei und/oder Sanitätsdiensten
zur Verfügung (z.B. Prinz-Eugen-Kaserne München aber auch
Liegenschaften in Kempten und Mühlheim).
In Klagenfurt und Wien (Spielorte des DFB in der Vorrunde) sowie in
Basel (Spielort des DFB im Viertel- und Halbfinale) war ein massives
Aufgebot deutscher Polizei zu sehen. Die Bundeswehr war wohl in beiden
Staaten nicht öffentlich aktiv. Allerdings stellte die Bundeswehr in
Meßstetten (Zollernalbkreis/Ba-Wü) zwei Verbindungsoffiziere für den
Polizei-Hubschraubereinsatz zur Verfügung. Ferner half die Bundeswehr
beim Abgleich von Halterinformationen für KfZs und im taktischen
Bereich im Radar- und Funkdienst während der EM. Davon und besonders
von den Luftlageinformationen der Bundeswehr profitierten
absprachegemäß auch entsprechende Stellen in Österreich und der
Schweiz.

Einsatzbeispiele

Die NATO stellte wieder ihre AWACS-Kriegsflieger zur Überwachung des
Luftraums zur Verfügung. In diesen Kriegsflugzeugen „arbeiten“
größtenteils Bundeswehr-Soldaten.

In Österreich wurden von der Bundesregierung 3.000 Soldaten für den
Einsatz im Innern abgestellt. 1,7 Millionen EUR wendete das Bundesheer
auf, um den österreichischen Bundesländern finanziell zu helfen, die
„Sicherheit“ zu gewährleisten (Presseeinlassung des
Verteidigungsministers).
Österreichs Armee trat hier besonders mit Helikoptern und Abfangjägern
zur Überwachung des weiträumigen Überflugverbotes (zwei Stunden vor
Spielbeginn bis ebenso lange nach Spielschluss) in Erscheinung. Nach
Informationen des Verteidigungsministers Norbert Darabos kamen dabei
zum Einsatz: Flugzeuge der Typen F-5E "Tiger" II, Eurofighter
"Typhoon", Saab 105 Ö und Pilatus PC-7 "Turbo Trainer", Hubschrauber
der Typen S-70 "Black Hawk", Bell OH-58 B "Kiowa", Augusta Bell 212 und
Alouette III sowie das Radarsystem "Goldhaube".
Das Militärkommando Kärnten hatte am ersten Spieltag in Klagenfurt nach
eigenen Angaben 600 Soldaten im Einsatz: Krankenträger,
Fernmeldespezialisten, Sanitätskräfte, Versorgungseinheiten,
Fliegerkräfte und ABC-Abwehrkräfte (sic!) hielt das Militärkommando für
die Sicherheit rund um die EM bereit und war damit (Zitat) „auf jede
Eventualität vorbereitet.“

Mehrere Polizeieinheiten wurden in insgesamt vier Kärntner Kasernen
untergebracht. Das Catering für diese Polizeikräfte und das
Österreichische Rote Kreuz wurde durch das Bundesheer organisiert.
Ähnlich war es an allen anderen Spielorten in Österreich.

Da die österreichische Armee über keine unbemannten Drohnen zur
Überwachung des Luftraums verfügt, übernahm die Schweizer Armee diese
Aufgabe alleine. Kurz vor Beginn des Spiels Österreich gegen
Deutschland überflogen zwei Abfangjäger (Länderkennung unklar, aber
wahrscheinlich Österreich) die Millionenstadt Wien und das
Ernst-Happel-Stadion. Der Sinn dieser Aktion konnte nicht geklärt
werden, denn einen Luftzwischenfall (Angriff feindlicher Flugzeuge oder
eine Flugzeugentführung), der den Start der Abfangjäger erforderlich
gemacht hätte, gab es laut offizieller Presseeinlassung nicht.

Der Schweizer Bundesrat hatte vor Beginn der EM bis zu 15.000 Soldaten
für den Einsatz im Innern während des Fußballturniers bewilligt, die
wohl doch nicht alle abgerufen wurden. Neben den bereits erwähnten
Drohnen kamen an den Spielorten zahlreich Helikopter zur Überwachung
der Menschenströme zum Einsatz und Abfangjäger zur großräumigen
Luftraumüberwachung. Darüber hinaus wurden um die offiziellen Fanzonen
und um die Stadien herum besondere „Sicherheitszonen“ eingerichtet, die
das unbegründete Aussprechen von Platzverweisen und den Gebrauch
polizeilicher sowie militärischer Gewalt gegen Privatpersonen
erleichterten. Ferner wurden an allen Spielorten und Spieltagen jeweils
100 bis 150 Sanitätskräfte abgestellt.

Fazit

Der militärische Aufwand für die Durchführung der UEFA-EM war riesig
und entsprach einer abstrusen Gefahrenprognose. So wurde – ohne die
Quellen zu nennen – von österreichischen Sicherheitskräften in
Klagenfurt behauptet, dass „wir leider ganz andere Erkenntnisse über
Gewalt haben. Auch bei der WM in Deutschland gab es viel Gewalt und
alles wurde verschwiegen! Deswegen sind wir hier.“ Zusätzlich wurde von
Behörden und Polizei unter Mithilfe einer bereitwilligen Presse in
Österreich ein Gewaltszenario entworfen, das „600 zusätzliche
Vergewaltigungen“ während der EM erwarten ließ. So sei es jedenfalls
bei der WM vor zwei Jahren gewesen (die Quelle für diese Behauptung
wurde nicht genannt).

Die derart erzeugte Gewaltangst und das daraus resultierende staatlich
erwünschte „Sicherheitsverlangen“ der Bevölkerung bereiteten den Boden
für diese massive Militärpräsenz – auch wenn völlig unklar ist, was
Soldaten etwa gegen Vergewaltigungen, die ja häufig eher abseits des
Geschehens stattfinden, für eine Wirksamkeit haben.

Das zumeist besonnene Verhalten der Fans und der anderen Touristen
ließen Polizei und Armee aber wenig Möglichkeiten, die vorher herbei
geredeten Gewalttaten auch zu bekämpfen.

Die Fußball-EM wurde von den drei Regierungen Österreichs, der Schweiz
und Deutschlands genutzt, das Militärische wieder einmal als normal und
notwendig erscheinen zu lassen. Dies scheint offenbar auch gelungen zu
sein. Außer ein paar Fan-Organisationen, die unter dem Motto
„Fußballfans sind keine Verbrecher“ sich zu wehren versuchten, gab es
wenig Protest gegen den massiven Polizei- und Armee-Einsatz während der
EM. Ganz im Gegenteil, es wurde meistens Verständnis geäußert und
zaghafte Versuche, sich dem Kontrollzwang zu entziehen, wurden von den
anderen Passanten mit Unmut beantwortet. Das war besonders an den
Eingängen zu den Fanzonen zu beobachten.

Insofern hat die staatliche „Sicherheit“ 3 : 0 gegen die Freiheit
gewonnen. Österreichs Verteidigungsminister Darabos bilanziert, „Für
die Sicherheit der EURO war unter großer Mitwirkung des
Österreichischen Bundesheeres gesorgt!"

Aussicht

Das Militär ergreift zunehmend das Zepter auch im internationalen
Sport. So ist in Deutschland zwar der für den Sport zuständige Minister
der Bundesinnenminister. Aber trotzdem unterstehen viele Sportler und
Sportlerinnen der Olympia-Mannschaft nicht als Bundespolizisten dem
Innen-, sondern als so genannte Sportsoldaten dem
Verteidigungsminister. Auch wurde das deutsche Olympia-Team bis zum 31.
Juli nicht zufällig in der „Kurmainz-Kaserne“ (Mainz) für Peking
ausgestattet. Dafür wurden 40 Soldaten eingesetzt.
Militärs erheben nicht nur den Anspruch, sportlich zu sein, sondern der
Sport selbst wird zunehmend militärisch. Dies geschieht ganz im Sinne
der Tradition des „Turnvaters“ Jahn. Die Olympischen Spiele in Peking
werden den geschilderten Trend zur Militarisierung des Sports verstärkt
fortführen.
Dagegen und überhaupt gegen die zunehmende Militarisierung der
Gesellschaft im Allgemeinen und des Sports im Speziellen gilt es sich
zu wehren. Dazu sind Vernetzungen der antimilitaristischen Bewegung mit
Sportfans möglich und nötig.

Uwe Reinecke

Source: http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1803