Terrorabwehr gegen Bürgerrechte: Das neue Paradigma

Zentrales Netzwerk statt föderale Struktur – nach dem 11. September
begann in Deutschland ein Kurswechsel in der Politik. In Treptow werden
Terroristen auf kurzem Dienstweg gejagt. Doch die Reform der Bundes-
und Landesbehörden im Innenministerium scheint noch nicht abgeschlossen.

[tagesspiegel.de] Berlin – 
Das Rednerpult im Forum der Deutschen Bank in der Berliner
Charlottenstraße ist nur ein, zwei Meter entfernt aufgebaut von der
ersten Sitzreihe. Dort, den Blick auf den Laudator gerichtet, lauscht
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), als ihm der Preis der
Deutschen Gesellschaft verliehen wird. Von Otto Schily am Mikrofon
kommt nur ein nüchterner Blick, dann, nach der Ansprache, ein kurzer
Händedruck. Das war’s. Freundschaft sieht anders aus. Was Schily, den Sozialdemokraten, jedoch mit seinem Nachfolger im Amt
verbindet, ist – neben einer beachtlichen Zahl gemeinsamer Gegner –
eine große Idee: die einer neuen Architektur der deutschen
Sicherheitspolitik. Dennoch: "Purer Unfug“ sei der Vorwurf des
Überwachungsstaats, sagt Schily in seiner Laudatio. Schäuble sei eben
keiner, der sich der Welt anpasse, statt die Welt seinem Willen. Gemäß
diesem Motto setzt Schäuble fort, was Schily nach den Anschlägen im
Herbst 2001 mit seinem ersten "Otto-Katalog“ begann: den Umbau der in
50 Jahren gewachsenen föderalen Sicherheitsstruktur Deutschlands zu
einem zentralgesteuerten Netzwerk.

In Treptow werden die Terroristen gejagt

Der Paradigmenwechsel hat viele Namen. In Berlin ist unter Schilys
Ägide das gemeinsame Terror-Abwehrzentrum (GTAZ) von Polizei und
Nachrichtendiensten, von Bund und Ländern entstanden. Hier laufen die
Fäden der Terror-Ermittlungen aus dem ganzen Land zusammen. Auf dem
weitläufigen Gelände im Stadtteil Treptow wird auch die Trennung von
Polizei und Geheimdiensten auf dem kurzen Dienstweg überbrückt.

Ergänzend zum logistischen Zentrum in der Hauptstadt stammt aus der Ära
Schily auch die Idee für eine Datenbasis der Zusammenarbeit: die
gemeinsame Anti-Terror-Datei. Umgesetzt wurde diese
Informationsvernetzung über potenzielle Terroristen dann unter
Schäuble. Ebenso bereits angestoßen hatte Schily die
Kompetenzerweiterung des Bundesgrenzschutzes und den Umbau zur heutigen
Bundespolizei. Nicht in Berlin,aber deshalb längst nicht weniger dem
nationalen Netzwerk dienlich, soll eine Einrichtung sein, die das
Bundesinnenministerium jetzt in Köln ansiedeln will: eine gemeinsame
Abhörzentrale für Polizei und Verfassungsschutz.

BKA wird zur zentralen Einrichtung der Terrorabwehr umgebaut

Die Opposition fürchtet, dass zudem eine US-amerikanische Einrichtung
Einzug hält: "ein deutsches FBI“, wie es der innenpolitische Sprecher
der Grünen, Wolfgang Wieland, nennt. Im Blick hat er die Pläne zum
Umbau des Bundeskriminalamts. Das BKA, so haben es Union und SPD
beschlossen, soll mehr Kompetenzen erhalten. Einen Gesetzentwurf hat
das Kabinett bereits beschlossen, im Herbst steht die Debatte im
Parlament an. Nach hitzigen Auseinandersetzungen sieht das BKA-Gesetz
nun vor, die Behörde von einer koordinierenden Analyseeinheit zu einer
Zentrale der Terrorabwehr umzuformen.

Auf den künftigen Stellenwert des Bundeskriminalamts – und insbesondere
auf die im BKA-Gesetz vereinbarte Online-Durchsuchung – konzentriert
sich eine der härtesten Debatten seit den Anschlägen vom 11. September.
Nach Jahren der sicherheitspolitischen Nachrüstung unter dem Schock des
islamistischen Terrors hat sich gleichsam als demokratisches
Ausgleichsmoment eine heterogene Bewegung zum Schutz der bürgerlichen
Freiheiten gebildet. Von Telekommunikationsunternehmen über
Journalisten bis zu Bürgerrechtlern. An der Spitze der Bewegung steht
in Deutschland ein sehr machtvoller Partner: das
Bundesverfassungsgericht.

Bundesverfassungsgericht: Sicherheit vor dem Staat muss gewährleistet sein

Ob Großer Lauschangriff, Luftsicherheitsgesetz, Rasterfahndung, Online-
Durchsuchung oder automatisierte Kfz- Kennzeichenerfassung, kaum ein
Sicherheitsgesetz der vergangenen Jahre haben die Männer und Frauen in
den roten Roben unbeanstandet gelassen. Die Richter agieren als
Gegengewicht zu einer Innenpolitik, die aus Karlsruher Sicht kein Maß
mehr kennt bei der Terrorismusbekämpfung. Oder, wie Richterin Christine
Hohmann-Dennhardt mahnt, es gebe "Sicherheit durch den Staat“, aber
auch "Sicherheit vor dem Staat“.

Andere Länder, die nicht einen Gestapo-Apparat wie einen Stasi-Staat zu
ihrer Geschichte zählen müssen, haben sich in den Jahren nach den
Anschlägen von 2001 mit Überwachungsmaßnahmen weniger schwer getan.
Einige Beispiele: In den USA können die Sicherheitsbehörden Telefone
abhören, ohne eine richterliche Genehmigung beantragt zu haben, wie es
die deutsche Strafprozessordnung vorschreibt.

Oder: In Spanien müssen die Kommunikationsdaten von Telefonaten und
E-Mails ein ganzes Jahr gespeichert werden. Die Telekomunternehmen und
Internetprovider in der Bundesrepublik sind jedoch nur zur einer
Vorratsdatenspeicherung von sechs Monaten verpflichtet. Das entspricht
einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, über die Spanien
hinausgeht. In Deutschland dürfen zudem die Sicherheitsbehörden nach
einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts nur in engem Rahmen auf die
gespeicherten Daten zugreifen.

Deutscher Kurs im internationalen Vergleich eher maßvoll

Und: Beim großen Lauschangriff, also der optischen und akustischen
Überwachung der Wohnung eines Tatverdächtigen, wäre es in den
Vereinigten Staaten, Frankreich, Spanien, Italien und anderen Ländern
undenkbar, dass die Ermittler den Aus-Knopf drücken müssen, wenn sich
die überwachte Person zu privaten Dingen äußert. Das
Bundesverfassungsgericht hat jedoch 2004 angeordnet, die Erhebung von
Informationen aus dem durch das Grundgesetz geschützten "Kernbereich
privater Lebensgestaltung“ sei zu unterlassen.

Im Vergleich zur sicherheitspolitischen Aufrüstung vieler Partnerstaaten wirkt der deutsche Kurs eher maßvoll.

Von Frank Jansen und Barbara Junge

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 08.08.2008)
 

Source: http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/11-September-Terrorabwehr-GTAZ;art122,2588292

2 responses to “Terrorabwehr gegen Bürgerrechte: Das neue Paradigma”

  1. kack scheisse

    „Im Vergleich zur sicherheitspolitischen Aufrüstung vieler Partnerstaaten wirkt der deutsche Kurs eher maßvoll. „

    genau. Vergessen wir mal das die Länderoolizei über Institutionen wie Europol an Informationen rankommt die sie ohne supranationale Einrichtung nie bekommen täte …

  2. john

    ahh schön, ist doch nicht so schlimm wenn ich wen erschieße, DER DA hat schließlich 2 erschossen… man sieht wir können uns alle freuen und glücklich schätzen das wir im maßvollen deutschland leben
    schön, schön, schön