Future Security 08: Sicherheit, Gesundheit und ein bisschen Information

[heise.de] Zum dritten Mal versuchten sich Wissenschaftler auf der Future Security
in Karlsruhe zwei Tage lang an einer Standortbestimmung der
Sicherheitsforschung. Während der Unterstaatssekretär des
amerikanischen Department of Homeland Security (DoHS) "Cyber" als die
offene Flanke westlicher Gesellschaften definierte, ist die europäische
Forschung eher auf "konventionelle" Terror-Attacken fokussiert. Die
Sicherheit von Logistik-Ketten und Seehäfen, die Nutzung von Satelliten
als Ergänzung zur Videoüberwachung sowie die IT-gestützte "neue"
Videoüberwachung standen im Mittelpunkt der Vorträge.

Vor dem eigentlichen Kongress der Sicherheitsforscher gab es einen
vom Bundesforschungsministerium veranstalteten Workshop über die
Erkennung von CBRNE-Gefahrstoffen (Chemical, Biological,
Radiological/Nuclear and Explosive), früher unter dem Namen ABC-Schutz
bekannt. Hier wurden verschiedene Verfahren vorgestellt, biologische
und chemische Kampfstoffe mit Infrarot- oder Terahertz-Scannern zu
entdecken. Passend zum Workshop freute sich das Ministerium, insgesamt
18 Projekte mit 33 Millionen Euro zu fördern und darüber die Broschüre "Detektion von Gefahrstoffen" (PDF-Datei) veröffentlichen zu können.

Als weiteren Forschungschwerpunkt nannte Ministerialdirigent
Wolf-Dieter Lukas zum Start der Future Security die Sicherung von
Logistik-Ketten gegen terroristische Bedrohungen. Mit einer feierlichen
Auftaktveranstaltung
soll eine "Informationsplattform Schutz von Verkehrsinfrastrukturen"
nächste Woche an den Start gehen. Insgesamt zeigte sich Lukas sehr
davon angetan, wie die seit der ersten Future Security
2006 vom Forschungs- und Verteidigungsministerium bereitgestellten
Mittel von etwa 130 Millionen Euro erste handfeste Ergebnisse vorweisen
können.

Für den Fraunhofer-Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung
meinte Fraunhofer-Präsident Hans-Jörg Bullinger, dass sich die
Sicherheitsforschung in Deutschland trotz des späten Starts im
Vergleich zu Schweden oder den USA inzwischen sehen lassen könne.
"Sicherheit, Gesundheit, Information und Umwelt", das seien die Themen,
die den Bürger wie den Forscher interessieren.

Unterstaatssekretär Jay Cohen vom US-Heimatschutzministerium (DoHS)
setzte in seinem Vortrag andere Akzente. Alles, was mit "Cyber"
zusammenhänge, habe bei der US-Forschungsförderung oberste Priorität
(PDF-Datei), danach komme die IED-Forschung (Inexpensive Explosive
Devices) und dann lange gar nichts. Cyber sei mehr als das Internet:
"Stellen Sie sich vor, sie stehen vor einem Geldautomaten und können
kein Geld ziehen, weil Terroristen die Kommunikation stören. Dann haben
wir die Gefahr einer sozialen Anarchie zu bekämpfen."

Die europäischen Forscher wollten ihm darin nicht unbedingt folgen.
Sie beschäftigten sich in ihren Vorträgen lieber mit konkreten Themen,
etwa dem Schutz deutscher FIFA-Stadien vor chemischen Angriffen, der
Angriffssicherheit eines großen Einkaufszentrums im Zentrum von
Helsinki oder der Analyse von Schiffsbewegungen im Hafen von Rotterdam.
Wenn es mal grundsätzlicher wurde, dann referierten Juristen. So hält
der Zivilrechtler Wolfgang Schünemann von der TU Dortmund das Verbot
der Angstwerbung für problematisch. Es wäre gut, wenn mit drastischen
Bildern wie dem einer verwüsteten Wohnung oder eines gesprengten Hauses
für echte Sicherheit geworben werden könne.

Im engeren IT-Bereich beschäftigten sich mehrere Referate mit der
Zukunft der Videoüberwachung. Gerd Hofschuster von OHB-System, dem
Hauptlieferanten der deutschen SAR-Lupe, plädierte für die Einbettung von satellitengestützten SAR-Systemen
in die Überwachungstechnik. Bert van den Broek von TNO Defence,
Security & Safety zeigte, wie per SAR ein ansonsten
unübersichtlicher Wochenmarkt im niederländischen Delft überwacht
werden kann.

Für Jürgen Beyerer vom Fraunhofer IITB
liegt die Zukunft in der Kombination der "einfachen" Videoüberwachung
mit einer Vielzahl von Sensoren, die nicht ganz so hoch fliegen müssen.
Bei AMFIS
(Aufklärung und Überwachung mit Miniaturfluggeräten im Sensorverbund)
werden Blimps, Fesselballons und Quadcopter eingesetzt, um ein Areal
"proaktiv" überwachen zu können. Alle Daten fließen in einer SOA
zusammen, die Beyerer mit dem Begriff "Plug & Protect" beschrieb.
Dabei soll eine intelligente Videoanalyse zum Zuge kommen, die
bestimmte Problemsituationen (verdächtiges Gepäck, Vandalismus, Panik,
hilflose Person) selbst erkennen und dann Alarm auslösen kann. Damit
das System funktionieren kann, müssen Gebäudepläne des überwachten
Areals sowie mögliche typische Bewegungen vorab in Rollenschemata
erfasst werden.

Aus Großbritannien berichtete Adam Nilski von der Forschungsabteilung des Home Office vom Projekt I-LIDS (Eyelids, Augenlid). Das ist ein Versuch, in VIPER-GT
Videoereignisse so zu beschreiben, dass sie möglichst allgemeingültig
in Überwachungssystemen einsetzbar sind. Nilski zufolge werden die
entsprechenden Datensätze interessierten Firmen zur Forschung
überlassen, liegen aber noch im Terabyte-Bereich. Er zeigte mit einer
I-LIDS-Demonstration, wie ein Verdächtiger auf einem Flughafen vom
Computer verfolgt werden kann.

Ein ähnliches Sytem stellte Andrzej Czyżewski von der Universität
Danzig mit INDECT vor, einem Video-Tracking-System, das zur Fussball-EM
2012 in Polen in den Wirkbetrieb gehen soll. Das mit Kalman-Filtern
arbeitende INDECT soll die Bewegungen verdächtiger Personen, etwa von
Hooligans, selbstständig verfolgen und den Operator erst dann
alarmieren, wenn sich eine Schlägerei anbahnt. Neben der Video-Analyse
arbeitet INDECT Cyzewski zufolge mit Audio-Sensoren, die per Software
schon heute ziemlich genau bestimmen können, wann Fan-Gesänge in
Schlachtrufe umkippen.

Auch abseits der zahlreichen Referate und Poster-Sessions hielt die Future Security 2008 interessante Einblicke parat. Im vergangenen Jahr
flogen die Quadcopter vor dem Kongresszentrum Patrouille. Diesmal ging
es unspektakulärer zu. So zeigten Vertreter der
Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung eine Bio-Disk
die, mit Opferspuren eines biologischen Angriffes beträufelt, in einen
herkömmlichen CD- oder DVD-Player gesteckt werden kann. Der Player
übernimmt dabei die Rolle einer Zentrifuge, die in der Disk
eingelassene Substanzen zur Analyse zusammenrührt. Die Ergebnisse der
Analyse sollen wiederum maschinenlesbar gespeichert sein und von einer
Software dargestellt werden können. "Computer, bin ich infiziert?", ist
eine neue Form des Mensch-Maschine-Dialogs über Sicherheit und
Gesundheit. (Detlef Borchers) /
(vbr/c’t)

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